Nach Sturz Assads Hanauer Islamist wirbt online für Syriens neue Machthaber
Ein Mann aus Hanau schloss sich vor zehn Jahren dem Dschihad in Syrien an. Heute wirbt er mit Videos für die islamistische HTS-Miliz, die mittlerweile die Macht in dem Land übernommen hat. Sicherheitsexperten halten den Influencer nach wie vor für problematisch.
Nach dem Umsturz in Syrien im vergangenen Dezember beschäftigt die internationale Öffentlichkeit vor allem eine Frage: Was haben die neuen Machthaber der islamistischen Miliz Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) mit dem Land vor? Während sich die Gruppe nach außen pragmatisch gibt, stufen die Vereinten Nationen und die EU sie nach wie vor als Terrororganisation ein.
Einblicke in die militärischen, ideologischen und religiösen Ziele der islamistischen Allianz rund um die HTS verbreitet der gebürtige Hanauer Samet D. auf seinen Social-Media-Kanälen. Er hat sich in den vergangenen zehn Jahren zu einer der prominentesten Stimmen der HTS-nahen Milizen in Syrien entwickelt.
D. verbreitet auf seinem Telegram-Kanal täglich News aus Syrien - auf Türkisch und Englisch. Er berichtet davon, wie die HTS auf dem internationalen diplomatischen Parkett als neue syrische Regierung anerkannt werden möchte. Unter anderem teilte er ein Video über den Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei HTS-Chef al-Scharaa.
Aufruf zum Dschihad
Vor zehn Jahren fiel Samet D. im Zusammenhang mit weitaus radikaleren Inhalten auf. 2014 reiste der damals 21-Jährige mit mehreren jungen Männern nach Syrien aus. Wenig später tauchte ein Video aus dem Kampfgebiet auf, über das der hr 2015 berichtete. Darin animiert ein junger Mann Gleichaltrige, ebenfalls für einen islamischen Gottesstaat zu kämpfen: "Du musst kein Anabol-Junkie sein, der drei Meter breit ist," sagt er in dem Video. Oft seien die "kleinen Jungs" die Stärksten an der Front.
Den militärischen Charakter der Rekrutierung unterstreicht der Mann mit einer Kalaschnikow auf seinem Schoß: "Wenn du es willst, frage deinen Herren um den Weg nach Syrien."
Sicherheitskreise gehen damals wie heute davon aus, dass es sich bei dem Mann um D. handelt. Zehn Jahre nach seiner Ausreise lebt er in Syrien. Der hr hat mit ihm Kontakt aufgenommen. Er bestreitet, der Mann aus dem Video zu sein. "Der in dem Video war nicht ich, sondern jemand anderes aus Frankfurt, der später zu ISIS gegangen ist und dort dann nach meinen Informationen auch starb", erklärt er über den Messengerdienst Telegram.
Radikalisierung in salafistischer Moschee
Radikalisiert hatte sich die Gruppe um Samet D. nach der damaligen hr-Recherche in einer salafistischen "Hinterhofmoschee" im Hanauer Stadtteil Lamboy. Sie wies Bezüge zum Unterstützerumfeld der Al-Kaida-nahen Al-Nusra-Front auf. Aus dieser dschihadistischen Terrorgruppe ging später die HTS hervor. Nach Bekanntwerden der Ausreise der Jugendlichen im Jahr 2015 schloss die Stadtverwaltung die Moschee aus baurechtlichen Gründen.
D. bestreitet, zum Kämpfen nach Syrien gereist zu sein. Er wolle lediglich "jedem unterdrückten Muslim auf der ganzen Welt helfen". Damals habe er eine Ausbildung zum Mediengestalter gemacht: "Deswegen habe ich es so ausgesucht, den Syrern hier mit meinen Medien-Skills zu helfen." In einem Interview mit einem Nahostexperten erklärte D. seine Rolle im Dschihad einmal so: "Meine Waffe ist die Kamera."
Mehrere Dutzend Deutsche bei HTS
D. ist nicht der einzige Deutsche, der nach Syrien ausgereist ist und sich im Umfeld der HTS aufhält. Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht davon aus, dass sich eine "mittlere zweistellige Anzahl von Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit bei der HTS" oder ihr verbündeter "dschihadistischen Gruppierungen" angeschlossen hat.
Das Bundesinnenministerium teilt auf Anfrage mit, dass sich der "überwiegende" Teil der Deutschen in Al-Kaida-nahen Gruppen aufhalte, die der HTS "angehören".
In der Türkei auf der Terrorliste
Die HTS hat sich 2017 von der Terrororganisation Al Kaida losgesagt und sich seitdem auf die Machtübernahme in Syrien konzentriert. Die "Mutterorganisation" des zeitgenössischen islamistischen Terrors dagegen kämpft weiterhin für einen weltweiten Gottesstaat und schreckt auch vor Selbstmordattentaten und Bombenterror nicht zurück.
Aus Sicht der türkischen Sicherheitsbehörden gehört D. offenbar zu dem Lager innerhalb der HTS, das seine ideologischen Verbindungen zu Al Kaida nicht gekappt hat. Sein Name findet sich unter Verweis auf seinen Geburtsort Hanau auf der türkischen Terrorliste. D. wird vom türkischen Innenministerium wegen möglicher Verbindung zu der Terrororganisation gesucht.
D. bestreitet Terrorismus-Vorwürfe
D. hält es für einen Fehler der türkischen Behörden, ihn in die Nähe von Al Kaida zu rücken. "Ich war sehr überrascht, dass die Türkei mich auf die Terrorliste gesetzt hat," erklärt D. auf hr-Anfrage. Er sei sicher, dass man ihn von der Liste streichen werde.
Anders sieht das der Terrorexperte und Islamwissenschaftler Guido Steinberg: "Wenn die Türkei einzelne Mitglieder der HTS als Terroristen sucht, dann ist das schon ein Hinweis darauf, dass es sich da nicht um ganz gewöhnliche HTS-Mitglieder handelt, sondern um solche, die auch die alte Orientierung auf einen internationalen Dschihad weitertragen."
Im Visier der Sicherheitsbehörden
Den deutschen Sicherheitsbehörden ist D. seit seiner Radikalisierung in der Hanauer Moschee bekannt. "Samet D. glorifiziert in seinen Beiträgen seine Auswanderung aus Deutschland in ein muslimisches Land und hebt diese als positives Beispiel hervor," erklärt ein Sprecher des Hessischen Landesamts für Verfassungsschutz auf hr-Anfrage.
Verbunden mit der durchweg positiven Darstellung der Ereignisse vor Ort seien seine "Beiträge grundsätzlich geeignet, als Aufforderung zur Ausreise in das Gebiet der HTS gedeutet zu werden". Nach seiner Ausreise ermittelte die Staatsanwaltschaft Frankfurt gegen ihn wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Nach Angaben der Behörde wurde das Verfahren 2016 eingestellt. D. erklärt, er habe die türkische Staatsangehörigkeit. Seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis in Deutschland hätten die Behörden kurz nach seiner Ausreise "gecancelt".