Neue Schöffen braucht das Land Kein Job für Abnicker
Schöffinnen und Schöffen sind für die deutsche Justiz unerlässlich. 2023 werden die ehrenamtlichen Richterstellen neu besetzt. Allein in Hessen werden rund 4.500 Laienrichter gesucht.
Für Jörg Schmitz hätte es sicherlich weniger anspruchsvolle Möglichkeiten gegeben, sich gesellschaftlich zu engagieren. Knapp fünf Jahre ist es her, dass sich der heute 53-Jährige entschloss, ein Ehrenamt zu übernehmen. Andere Menschen betreuen Kindersportgruppen, leiten unbezahlt Fortbildungsangebote. Doch wenn Schmitz sein Ehrenamt ausübt, geht es nicht selten um das Schicksal eines Menschen.
Dann stehen langjährige, manchmal auch lebenslange Freiheitsstrafen zur Debatte, Sicherungsverwahrung oder die Unterbringung in einer Psychiatrie. Schmitz hat nie Jura studiert. Und doch spricht er Recht im Namen des Volkes - als Schöffe am Landgericht Hanau. "Harte Arbeit" sei das mitunter, betont Schmitz, "aber für den Rechtsstaat unerlässlich".
9.000 Namen für Vorschlagslisten gesucht
Tatsächlich sind die Laienrichter aus der deutschen Justiz nicht wegzudenken. Sie wirken an den Amts- und Landgerichten bei Straf- und Jugendstrafverfahren mit. Ihre Stimme zählt bei der Urteilsfindung genau so viel, wie die der hauptberuflichen Richter, denen sie zur Seite gestellt sind. Das bedeutet auch, dass - zumindest am Amtsgericht und den kleinen Strafkammern der Landgerichte - zwei Schöffinnen oder Schöffen den Vorsitzenden Richter überstimmen können.
2023 werden die Schöffenämter bundesweit neu besetzt. In Hessen allein beläuft sich der Bedarf an ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern auf 4.488 Haupt- und Jugendschöffen. Für jeden von ihnen muss zusätzlich ein Ersatzschöffe nominiert werden. Das bedeutet, dass in den kommenden Monaten alles in allem rund 9.000 Namen auf die Vorschlagslisten der hessischen Kommunen gesetzt werden müssen. Voraussichtlich im Herbst entscheiden dann die Wahlausschüsse an den Amtsgerichten über die Besetzung der Schöffenstellen.
Schöffen werden Verfahren zugelost
Wie jedes Ehrenamt, bedeutet auch die Tätigkeit als Schöffe den Verzicht auf Freizeit. "Doch anders als bei anderen Ehrenämtern hat man hierbei keine freie Zeiteinteilung", erklärt Schmitz. Schöffinnen und Schöffen können sich nicht aussuchen, an welchen Verfahren sie teilnehmen, sondern werden diesen zugelost.
Das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), in dem das Schöffenamt geregelt ist, geht davon aus, dass Laienrichter in der Regel nicht mehr als zwölf Sitzungstagen im Jahr beiwohnen sollten. Eine Richtlinie, die gerade bei Strafprozessen oft nicht einzuhalten ist. Allein schon diese Arbeitsbelastung macht das Ehrenamt für viele Berufstätige unattraktiv - auch wenn sie von Rechts wegen für die Schöffentätigkeit von ihren Arbeitgebern freigestellt werden müssten.
Gesellschaft nicht in Gänze abgebildet
"Was dann folgt, ist sehr penible Arbeit", sagt Schmitz. Sitzungstage, die sich über acht Stunden erstrecken, seien keine Seltenheit. Er selbst kann sich als freischaffender Künstler seine Arbeitszeit weitgehend frei einteilen, im Zweifel den Arbeitstag um den Verhandlungstag herum organisieren. "Dem Bäckergesellen aber, der ab drei Uhr morgens in der Backstube steht, ist es natürlich nicht zu vermitteln, dass er sich dafür auch noch freiwillig melden soll."
Dabei hätte das Gerichtsverfassungsgesetz nur allzu gerne auch Bäckergesellen auf der Richterbank sitzen. "Bei der Wahl soll darauf geachtet werden, dass alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung angemessen berücksichtigt werden", heißt es darin. Die Liste der Berufe und Ämter, die den Ausschluss vom Schöffenamt bewirken, ist entsprechend kurz.
Inwieweit die hessische Schöffenschaft die Gesellschaft in ihrer ganzen Breite abbildet, lässt sich nicht genau sagen. Entsprechende Statistiken werden seit Ende der 1990er nicht mehr erhoben. "Doch ich persönlich kenne keine Mitschöffen um die 25", sagt Schmitz. Es dominieren Ältere und Menschen, deren Arbeitgeber sie bereitwillig freistellt - beispielsweise Mitarbeiter staatlicher Institutionen.
Kaum Vorbereitung auf das Amt
Neben der zeitlichen Aufwand sei es vor allem auch die lange Amtszeit, die junge Leute abschrecke. Wer das Schöffenamt antritt, verpflichtet sich für fünf Jahre. "Wer bindet sich heutzutage so lange? Besser wäre es sie auf zwei bis drei Jahre zu verkürzen." Nicht der einzige Punkt, an dem Schmitz einen "dringenden Reformbedarf" ausmacht.
Hinzu komme, dass neue Schöffen nicht adäquat auf ihr neues Amt vorbereitet würden. "Eigentlich hätte ich erwartet, dass ich irgendwelche Fortbildungen bekomme. Ich musste dann lernen, dass dem nicht so ist", sagt Schmitz. Es bestehe eine eklatante Lücke zwischen dem "hohen Anspruch" des Amtes und Unterstützung, die Schöffen erhielten.
Infos auf eigenem Youtube-Kanal
Schmitz hat sich deshalb entschieden, selbst Abhilfe zu schaffen. Seit knapp zwei Jahren betreibt er bei YouTube den Kanal "Schöffen TV". In kurzen Videos widmet sich Schmitz Themen rund um das Ehrenamt - oft unterstützt von Interviewpartnern aus Justiz und Politik. Entstanden sei das Projekt als eine Art "publizistische Notwehr", um eine Lücke zu füllen. Für die aktuelle Schöffenwahl will der Kanal nochmals eine eigene Kampagne starten, um Interesse an dem Ehrenamt zu wecken.
Bei aller Kritik an der Ausgestaltung, ist Schmitz dennoch von der Wichtigkeit des Schöffensystems überzeugt: "Wenn wir im Namen des Volkes urteilen, sollte das Volk daran auch beteiligt sein." Wichtig sei es aber, die Laienrichter in die Lage zu versetzen, ihr Amt auch richtig auszufüllen. "Denn das ist kein Job für Abnicker", so Schmitz.
Sendung: hr-fernsehen, maintower, 09.02.2023, 18 Uhr
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