Rettung per Ferndiagnose Hessen will flächendeckend Telenotarztsystem einführen
Nach dem Willen der Landesregierung soll der sogenannte Telenotarzt flächendeckend zum Einsatz kommen. In bestimmten Fällen könnte dann ein Rettungswagen ohne einen Notarzt kommen - dieser ist per Funk mit den Sanitätern verbunden.
Ein medizinischer Notfall irgendwo auf dem Land in Hessen - der Rettungswagen kommt mit Rettungssanitätern, ein Notarzt ist nicht dabei. So sieht es das Telenotarztsystem vor. Benötigen die Sanitäter vor Ort dann einen Rat, zum Beispiel welches Medikament sie einem Patienten verabreichen sollen, dann können sie das den Telenotarzt fragen. Der Mediziner ist in solchen Fällen von der Leitstelle live per Videoschalte dazugeschaltet und kann von dort Anweisungen geben.
Im Rettungswagen sind dafür Bildschirme und Kameras installiert, sodass der Telenotarzt den Einsatz im Fahrzeug sehen und mitverfolgen kann. Der Telenotarzt entscheidet dann, ob der Patient ins Krankenhaus muss oder wie er sonst behandelt werden soll.
System soll Notarzt nicht ersetzen
Die Landesregierung will das sogenannte Telenotarztsystem flächendeckend einführen. Nach Angaben des Sozialministeriums werden seit Anfang 2022 in mehreren Arbeitsgruppen die technischen sowie organisatorischen Rahmenbedingungen mit Expertinnen und Experten beraten. Dabei gehe es etwa darum, in welchen Fällen und auf welche Art der Einsatz eines Telenotarztes oder einer Telenotärztin sinnvoll ist und wie die Einsätze am besten koordiniert werden. Zudem werde mit der Landesärztekammer geklärt, welche Qualifikation ein Telenotarzt haben sollte.
Den Notarzt bei Einsätzen wird es auch weiterhin geben. Bei einem Herzinfarkt oder Schlaganfall zum Beispiel wird ein Notarzt vor Ort gebraucht. Wenn bei einem Notruf aber schon klar wird, dass ein Notarzt vor Ort nicht erforderlich ist oder die Fahrt aufs Land sehr lange dauert, dann kommt der Telenotarzt zum Einsatz.
Landesärztekammer: System ist sinnvoll
Der Main-Kinzig-Kreis testet bereits seit vier Jahren das Telenotarztsystem und seit knapp drei Jahren auch der Kreis Waldeck-Frankenberg. Bei dem Pilotprojekt entscheide die Besatzung des Rettungswagens am Einsatzort, wann eine telenotärztliche Beratung notwendig oder sinnvoll sei, erläuterte das Sozialministerium. Dann trete das Team eigenständig mit einem Telenotarzt in Kontakt.
Der Standort des Arbeitsplatzes des Mediziners oder der Medizinerin sei dabei theoretisch frei wählbar. Wegen der guten Erfahrungen soll das System nach Willen des Sozialministeriums in den kommenden beiden Jahren auch im Rest von Hessen eingeführt werden.
Auch die Landesärztekammer hält das System für sinnvoll, "um die immer knapper werdende Ressource Notarzt entlasten zu können", wie ihr Präsident Edgar Pinkowski sagt. "Selbstverständlich soll und kann der Telenotarzt den Notarzt nicht ersetzen." Die Notfallsanitäter könnten die Zeit bis zum Eintreffen des Notarztes überbrücken oder - gegebenenfalls in Absprache mit dem Telenotarzt - Maßnahmen ergreifen und Medikamente verabreichen.
Zahl der Rettungseinsätze gestiegen
"Eine flächendeckende Einführung in der Form, dass jeder Landkreis einen Telenotarzt beschäftigt, wird sicherlich nicht nötig und sinnvoll sein", so Pinkowski: Ein Telenotarzt könne mehrere Rettungsdienstbezirke abdecken - somit wäre das System in ganz Hessen verfügbar.
Auch der steigende Bedarf spreche für die Einführung des Systems: Alleine im Main-Kinzig-Kreis mit seinen rund 450.000 Einwohnern hatten die Rettungsdienste im vergangenen Jahr rund 95.000 Einsätze - und damit etwa 10.000 mehr als im Vorjahr.
Laut dem Ministerium gibt es in Hessen ein weiteres Telenotarzt-Pilotprojekt, das technisch nicht ganz so aufwendig sei. Bei "Telemedizin im Rettungsdienst in Mittelhessen" werden auch Vitaldaten durch das EKG an einen Telenotarzt oder eine Telenotärztin übertragen. Die Kommunikation laufe derweil jedoch über ein Smartphone, im Rettungswagen ist keine Kamera verbaut. Mithilfe des EKG kann die Funktion des Herzens überprüft werden.
Sendung: hr-iNFO, 24.01.2023, 7 Uhr
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