Hessische Städte überfordert Wenn das Warten aufs Wohngeld die Existenz bedroht
Wohnen, warten, bangen: Durch die Wohngeldreform haben seit Januar 2023 deutlich mehr Menschen Anspruch auf Wohngeld. Doch Antragsteller müssen oft bis zu zwölf Monate auf die Unterstützung warten. Das kann existenzbedrohend sein.
Tom, der eigentlich anders heißt, ist alleinerziehend und lebt mit seinen drei Kindern in Frankfurt. Er arbeitet als Industriemechaniker 30 Stunden die Woche. Trotzdem reicht das Geld nach seinen Angaben nicht, um über die Runden zu kommen.
"Man weiß nicht, wie man über die Runden kommt"
Tom hat Anspruch auf 400 Euro Wohngeld im Monat. Doch bis sein Erstantrag bewilligt wurde, musste er sechs Monate warten. Das sei lange gewesen, sagt der 38-Jährige. Vor allem für ihn als Alleinerziehendem mit Kindern sei das existenzbedrohend. "Weil man nicht weiß, wie man über die Runden kommt, gerade weil die Preise erhöht wurden. Also das ist schon sehr schwierig." Er selbst habe dann nur noch einmal am Tag gegessen, das sei für ihn die letzte Einsparmöglichkeit gewesen.
Tom sollte wie andere Alleinerziehende, Familien und Rentner eigentlich schnell von der Wohngeldreform des Bundes profitieren, denn sie leiden besonders unter der Last hoher Mieten und steigender Heizkosten - vor allem in Städten wie Frankfurt.
Bedürftige stellen deutlich mehr Anträge
Im September 2022 wurde die Reform von der Bundesregierung - nach eigenen Angaben als größte Wohngeldreform in der Geschichte Deutschlands - verabschiedet. Doch was gut gemeint ist, fällt den Kommunen offenbar auf die Füße. Sie sind verantwortlich für die Umsetzung. Eine hr-Nachfrage bei den fünf kreisfreien Städten in Hessen zeigt: Überall gibt es lange Wartezeiten, Spitzenreiter ist Wiesbaden.
Die langen Bearbeitungszeiten sind auch für Andreas Bertram, Leiter der Wohngeldbehörde im Amt für Wohnungswesen in Frankfurt, unbefriedigend. Der Unmut bei den Bürgern sei groß und nachvollziehbar, sagt er. Aber seit die Reform Anfang 2023 umgesetzt wurde, komme seine Behöre nicht mehr hinterher. Die Anträge seien im Vergleich zum Vorjahr von 12.162 auf rund 18.699 gestiegen. "Tatsächlich waren wir schon mal schneller. Das waren die Zeiten vor der Wohngeldreform." Auf die Masse der Anträge, die nun zusätzlich gekommen sei, sein man in der Behörde nicht vorbereitet gewesen.
Es fehlt an Mitarbeitenden im Amt
Der Gesetzgeber habe es geschafft, so Amtsleiter Bertram, recht schnell die Wohngeldreform auf den Weg zu bringen. Das sei zwar gut, aber das Personal sei nicht vorhanden, um die deutlich gestiegene Zahl der Anträge zu bearbeiten. Neue Kollegen zu finden, sei nicht einfach in Zeiten des Fachkräftemangels. Und einstellen allein reiche nicht, sagt der 44-jährige Verwaltungswirt.
Das Wohngeldgesetz sei zwar ein "kleines Gesetz", aber doch ziemlich kompliziert. Neue Mitarbeitende einzuarbeiten, dauere bis zu zwölf Monate. "Wir können nicht mehr als arbeiten." Die Behörde arbeite besser, als ihr Ruf in die Öffentlichkeit schalle.
Notfälle sollen zuerst bearbeitet werden
In Wiesbaden sei die Zahl der Anträge im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent gestiegen, sagt die zuständige Sozialdezernentin Patricia Becher. Auch sie versteht nach eigenen Angaben die Not und Frustration über die Wartezeiten. Die Behörde tue alles, um den Stau abzuarbeiten.
Seit März seien zehn weitere Vollzeitstellen besetzt, die Einarbeitung dauere. Aber: Wer in eine Notsituation komme, solle sich beim Sozialleistungs- und Jobcenter melden. Dort sei die Wohngeldstelle angesiedelt. Kolleginnen und Kollegen würden diese Anträge prioritär bearbeiten.
Situation seit Jahren nicht mehr "normal"
Seit Anfang des Jahres 2024 kann in Wiesbaden zudem das Wohngeld online beantragt werden. Das werde mittelfristig dazu beitragen, die Bearbeitungsdauer zu verkürzen, sagt die Sozialdezernentin. Wichtig sei, dass bei der Antragsstellung die erforderlichen Unterlagen vollständig vorlägen, um Nachforderungen zu vermeiden, die wiederum die Bearbeitung verzögerten.
Auch für die Sachbearbeitenden in der Wohngeldstelle sie dies keine zufriedenstellende Situation. "In einer normalen Situation befinden wir uns jetzt seit mehreren Jahren nicht mehr." Die Wiesbadener Sozialdezernentin betont aber: "Kein Anspruch geht verloren."
Wartende sparen an Essen und Kleidung
"Die Menschen, die Anspruch auf Wohngeld haben, sind keine Großverdiener", sagt Eva-Maria Winckelmann, Verbandsdirektorin des Landesverbandes Hessen des Deutschen Mieterbundes. "Meist seien das Mieterinnen und Mieter, die keine ergänzenden Hilfen zum Lebensunterhalt erhielten, weil sie "zu viel" verdienten.
"Im Endeffekt geht es ihnen dann, solange der Antrag nicht bewilligt ist, schlechter als den Menschen, die Hilfe zu Lebensunterhalt erhalten, weil sie alle Kosten zunächst allein tragen müssen." Wenn dann Anspruch auf Wohngeld bestehe, aber nicht bearbeitet werde, fehle das Geld an anderen Stellen, etwa für Essen, Kleidung oder die Teilhabe am kulturellen Leben.
Mehrkosten für die Kommunen in Millionenhöhe
Auch die Hessischen Landkreise gehen aktuell in Schätzungen mindestens von einer Verdopplung der Fallzahlen aus, sagt Lorenz Wobbe von der Geschäftsstelle des Hessischen Landkreistages. Die gestiegene Antragszahl konnte von den Wohngeldbehörden bislang mit erheblichen Anstrengungen bewältigt werden, was auch zusätzliches Personal erforderte.
Daraus resultierten nicht unerhebliche Mehrkosten, die spiegelbildlich mindestens eine Verdoppelung der Verwaltungskosten erwarten ließen, so Wobbe. Entsprechende Ausgleichsforderungen würden an das Land adressiert. Die Hessischen Landkreise rechnen mit Mehrkosten für Personal und Verwaltung in Millionenhöhe.
Hilfe über Mietervereine
Eva Maria Winkelmann vom Mieterbund Hessen rät allen Betroffenen, die auf ihr Wohngeld warten, bei der Behörde nachzufragen und sich weitere Hilfe etwa über die Mietervereine zu holen.
Das sei wichtig, damit bekannt wird, wie groß der finanzielle Druck für die Betroffenen sei. Der 38-jährige Tom aus Frankfurt ist jedenfalls dankbar, dass sein Antrag nach sechs Monaten schließlich genehmigt wurde.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 30.04.2024, 19.30 Uhr
Ende der weiteren InformationenAnmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes wurde Andreas Bertram als Leiter des Amts für Wohnungswesen in Frankfurt bezeichnet. Tatsächlich ist er Leiter der Wohngeldbehörde im Amt für Wohnungswesen. Wir haben dieses Passage korrigiert.