Hessische Tafeln stoßen an Grenzen "So leer wie jetzt waren die Lebensmittellager noch nie"
Ukraine-Krieg, Inflation, Lebensmittel-Knappheit: Weil die Nachfrage anhaltend hoch ist und die Lebensmittelspenden zurückgehen, müssen viele Tafeln Aufnahmestopps verhängen oder ihre Ausgabemengen reduzieren.
Etwa 500 Menschen hatte die Tafel in Dillenburg (Lahn-Dill) zeitweise auf der Warteliste – fast so viele Menschen, wie die Tafel insgesamt eigentlich unterstützen kann.
Die Tafel entschied deshalb: Die Kunden dürfen statt wöchentlich derzeit nur noch alle zwei Wochen kommen. So kann die Tafel auf einen Schlag deutlich mehr Menschen unterstützen – allerdings bekommen alle auch nur noch halb so oft Lebensmittel.
Die hessischen Tafeln sind im Dauerkrisenmodus. Die Nachfrage ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen, besonders seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Gleichzeitig sinken die Lebensmittelspenden. Inzwischen müssen immer mehr Tafeln Aufnahmestopps verhängen, Wartelisten einführen oder die Abgabemengen reduzieren.
Aufnahmestopps in vielen Städten
In Frankfurt, Marburg und Weilburg beispielsweise werden derzeit keine Neukunden mehr aufgenommen. "Keine Ausnahmen!", schreibt etwa die Frankfurter Tafel auf ihrer Internetseite in dicken roten Lettern.
Auch in Kassel, wo bereits Ende vergangenen Jahres ein Aufnahmestopp verhängt wurde, heißt es online: Es werden weiterhin keine neuen Kunden aufgenommen.
Landesverband: Monatelange Wartezeiten
Willi Schmid, Vorsitzender des Landesverbands Tafel Hessen sagt: Mancherorts müssen Menschen mittlerweile monatelang auf Aufnahme warten. Zwar verzeichne man nicht mehr die extremen Steigerungen der vergangenen Jahre. "Wir sind aber auf einem sehr hohen Niveau von Kunden hängengeblieben."
Das liegt auch daran, dass die Tafeln weniger Lebensmittel zur Verfügung haben, die sie verteilen können. Die Tafel Wetzlar (Lahn-Dill), wo Schmid selbst Vorsitzender ist, habe beispielweise im vergangenen Jahr noch 43 Tonnen Lebensmittel im Monat an Bedürftige weitergegeben. In diesem Jahr seien es bisher nur 31 Tonnen gewesen.
Tafel Wetzlar: Lager sind leer
So leer wie aktuell seien die Lebensmittellager noch nie gewesen, heißt es in Wetzlar. Selbst im Zentrallager für die hessischen Tafeln herrsche ein akuter Mangel. Zudem suche man händeringend Ehrenamtliche.
In Wetzlar habe man zwar bisher keinen Aufnahmestopp verhängt, dafür aber die Ausgabemenge an Lebensmitteln deutlich reduziert, sagt Willi Schmid. "Derzeit geben wir zwischen neun und zehn Kilo wöchentlich pro Person aus", erklärt Schmid. Vor einiger Zeit seien es noch rund 15 Kilo gewesen.
Ein Lichtblick: Die Tafel in Wetzlar hat die Zusage für 100.000 Euro Fördergeld von der Deutschen Fernsehlotterie bekommen. 75.000 wurden gerade übergeben. Damit soll ein neuer Kühltransporter angeschafft und die Stundenanzahl von Mitarbeitern erhöht werden.
Gießen: Ausgabefrequenz halbiert
Auch in Gießen hat die Tafel an ihren sechs Ausgabestellen von einer wöchentlichen Ausgabe pro Person auf einen 14-tägigen Zeitraum umgestellt. Hier werden derzeit rund 5.200 Menschen unterstützt. Vor etwa einem Jahr waren es noch etwa 3.400.
Anna Conrad, die Leiterin der Gießener Tafeln sagt, die Entscheidung, die Ausgabefrequenz zu halbieren, sei nicht leicht gewesen. Aber man habe sie gemeinsam mit allen Ehrenamtlichen getroffen. "Wir finden es besser, mehr Menschen unterstützen zu können, als einige gar nicht."
Vorher habe es in Gießen Wartezeiten von bis zu eineinhalb Jahren gegeben. Der neue Ausgaberhythmus habe diese Zeit auf wenige Monate reduziert. "Bisher haben wir von den Nutzerinnen und Nutzern dazu auch keine negative Resonanz bekommen."
Immer mehr Menschen kommen nicht mehr klar
Conrad stellt fest, dass inzwischen viele Menschen zur Tafel kommen, die vor der Kostensteigerung zwar auch schon am Existenzminimum gelebt hätten, aber gerade noch so klar gekommen seien.
Darunter seien viele Alleinerziehende, Rentner und sogenannte Aufstocker, also Menschen, die mit ihrer Arbeit so wenig verdienen, dass sie zur Existenzsicherung zusätzlich Geld vom Jobcenter bekommen. "Die kommen jetzt zu uns, weil es einfach nicht mehr geht."
Auch in Gießen sei die Tafel derzeit ausgelastet, betont Conrad. Trotzdem setze man niemanden vor die Tür. "Wenn jemand kommt und sagt: Ich habe nichts, ich habe jetzt Hunger - dann haben wir dafür immer Notfallpakete da."