Erstaufnahme in Friedberg Hilfe mit Bollerwagen: Wie Geflüchtete psychosozial unterstützt werden

Viele Menschen mit Fluchterfahrungen brauchen potenziell psychotherapeutische Hilfe. Nur wenigen wird tatsächlich geholfen. Sozialpsychologe Raem gibt in der Erstaufnahme in Friedberg Einblicke, wie dort die psychosoziale Arbeit mit Geflüchteten funktioniert.

Ein Mann steht vor einer Wand, an welcher viele selbstgemalte Bilder hängen.
Sozialpsychologe Raem zeigt Kinderbilder, die an der Wand in der Erstaufnahme in Friedberg hängen. Bild © Tim-Tih Kost
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Aliev, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte, klopft mit einem Hammer alte Nägel in noch ältere Paletten. Daraus entstehen dann Bänke oder auch Tische. Bestimmt sind sie für die Geflüchteten, die sich in der Erstaufnahmeeinrichtung in Friedberg draußen aufhalten wollen. 

Der Mann, der aus Montenegro geflohen ist, lebt schon seit Januar 2024 in der Erstaufnahme. Er hat inzwischen schon viele Bänke gebaut. "Ich bin beschäftigt, ich habe keine Zeit zum Nachdenken", sagt er. Man könne in der Einrichtung ja sonst nicht viel machen. 

Ein Geflüchteter in der Erstaufnahme in Friedberg
Ali baut Bänke und Tische für die anderen Geflüchteten. Bild © hr

 "Die Kreativität gibt mir Freiheit", sagt er. In Montenegro habe er Probleme gehabt. "Ich war früher politisch sehr aktiv." 

Wie Aliev befinden sich auch viele andere Schutzsuchende in der Erstaufnahme in einem ungewissen Wartezustand. Momentan sind an dem Standort in Friedberg 717 Menschen untergebracht, die Einrichtung ist auf maximal rund 1.500 Geflüchtete ausgelegt.  

Psychologische Unterstützung für Geflüchtete

Wissenschaftliche Studien gehen davon aus, dass geschätzt rund 30 Prozent der Schutzsuchenden weltweit einen psychosozialen Bedarf haben. In Deutschland gibt es verschiedene psychosoziale Angebote für Geflüchtete. Eines davon ist die sogenannte aufsuchende Arbeit in der Erstaufnahme in Friedberg. 

"Wir wollen hier ein niedrigschwelliges Angebot zur Verfügung stellen, indem wir mit den Menschen direkt in ihrem Alltag ins Gespräch und in Kontakt kommen", sagt Sozialpsychologe Raem (Nachname ist der Redaktion bekannt). Er arbeitet für das Sigmund-Freud-Institut, das zum Psychosozialen Verbund Rhein-Main (PSV) gehört.  

Raem und seine Kolleginnen sind bei ihrem Rundgang in der Erstaufnahme ganz unkonventionell mit einem Bollerwagen unterwegs. Darin befinden sich auch Thermoskannen und Getränke. Aliev freut sich über einen Becher Kaffee - schwarz und ohne Zucker. Auch Brettspiele und Tischtennisschläger sind dabei, für die Kinder liegt Kreide bereit. 

Von Schlafproblemen bis Traumafolge-Störungen  

Bei den Neuankömmlingen nehmen sein Team und er oftmals eine "unfassbare Überforderung" wahr, wie Raem berichtet. Einige seien psychisch sehr belastet. "Was häufig aufkommt, sind Schlafstörungen", so der Sozialpsychologe. "Wir haben auch Menschen, die depressiv sind mit allem, was dazugehört. Die Menschen stecken mitten in traumatischen Prozessen." 

Die Herausforderungen sind groß. Es konnten im Jahr 2022 allerdings nur 3,1 Prozent der Geflüchteten, die psychisch belastet sind, von den Psychosozialen Zentren (PSZ) mit Angeboten versorgt werden. Das teilte die bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V. (BAfF) auf hr-Anfrage mit. 

In Hessen lag die Quote 2022 bei 1,6 Prozent. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor. 

Zentren in Hessen erhalten 400.000 Euro pro Jahr 

Patrick Meurs, Professor an der Uni Kassel und Direktor am Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt, hält die präventiven und niedrigschwelligen Angebote in Hessen für sehr wichtig und bereits für gut ausgearbeitet. Er weiß aber auch, dass in diesen Bereich zu wenig Geld investiert wird. "Der Bedarf an psychosozialer Beratung ist viel größer als das Angebot", so Meurs.  

"Die vier Psychosozialen Zentren in Hessen kriegen alle jährlich 400.000 Euro an Förderung", erklärt Meurs. Sie befinden sich in Nordhessen (Kassel), Südhessen (Darmstadt), in der Umgebung von Gießen und im Rhein-Main-Gebiet (Frankfurt). Zur Landesförderung kommen noch Bundesmittel hinzu.  

Die Investition in die Angebote für Geflüchtete zahlt sich Meurs Meinung nach später für die Gesellschaft aus. Psychisch belastete Menschen, die früh eine Betreuung oder Beratung bekommen, weisen nach Untersuchungen hinterher eine geringere Symptomatik auf.  

Fachkräfte zu finden,  ist schwierig 

Auch Yukako Karato von der Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V. bemängelt eine Finanzierungsunsicherheit. Sowohl bei der Landes- als auch bei der Bundesfinanzierung werde die Finanzierung für das Folgejahr immer erst Ende des Jahres bekannt gegeben. Es sei für die PSZ auch schwierig, Fachkräfte für diese sehr belastende Arbeit zu finden.  

"Es ist wichtig zu betonen, dass insbesondere die Aufnahme- und Unterbringungssituation in Deutschland einen hohen Einfluss auf das Risiko haben, eine Traumafolgestörung zu entwickeln", sagt Yukako Karato. Geflüchtete Menschen seien aber oft auch extrem resilient und mussten das sein, um die langen und unsicheren Fluchtrouten zu überstehen. 

Damit die Kinder in der Erstaufnahmeeinrichtung in Friedberg ihre traumatischen Erfahrungen ausdrücken können, bieten Raem und sein Team eine Malgruppe an. Im Raum hängen Bilder, die Angst ausdrücken zwischen Regenbögen und Blumenwiesen. Die Wand ist ein Sinnbild für den Spagat zwischen Unsicherheit und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Deutschland.  

Weitere Informationen

Rund 30.000 Geflüchtete in hessischer Erstaufnahme im Jahr 2024 

In der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen (EAEH) sind im vergangenen Jahr rund 30.000 Menschen angekommen. Darunter waren etwa 21.000 reguläre Asylantragsteller und knapp 8.400 ukrainische Kriegsvertriebene, wie das Regierungspräsidium Gießen mitteilte. Hauptherkunftsländer waren die Ukraine, Afghanistan, Syrien und die Türkei.  

Im vergangenen Jahr betrug die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der regulären Asylantragsteller 85 Tage, wie das Regierungspräsidium erklärte. Menschen aus dem Ukraine-Verfahren hielten sich durchschnittlich 23 Tage in der Erstaufnahmeeinrichtung auf. 

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Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de