Gleiche Arbeit, mehr Freizeit? Hochtaunus-Kliniken führen Viertagewoche ein
Mogelpackung, oder echte Entlastung? Die Hochtaunus-Kliniken in Bad Homburg, Usingen und Königstein führen ab Januar die Viertagewoche für ihre Beschäftigten ein. Die Patienten sollen das nicht spüren, die Mitarbeiter so aber mehr Freizeit haben. Kritik gibt es aus Gewerkschaftskreisen.
Seine gelben Schuhe aus Gummi quietschen etwas, als Intensivpfleger Christian Scharf das Patientenzimmer betritt. "Ich wollte nochmal Ihren Blutdruck überprüfen und die Infusion neu legen", sagt der 47-Jährige zu der älteren Patientin, "gleich ist nämlich Schichtwechsel".
Scharfs Schicht geht an diesem Tag offiziell achteinhalb Stunden. Ab dem ersten Januar wird sie länger: Christian Scharf wird die Viertagewoche annehmen, die die Hochtaunus-Kliniken ihren Mitarbeitenden anbietet.
Für ihn überwiegen die Vorteile: "Für uns war es zuhause eine kleine Umstellung, wir mussten die Kinderbetreuung anders regeln. Aber durch den dritten freien Tag pro Woche kann ich einfach mehr Zeit mit meiner Familie und meinen Hobbys genießen."
Entscheidung freiwillig
Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachkräfte und Mitarbeitende in der Verwaltung können nach Angaben der Klinik alle frei entscheiden, ob sie ab dem 1. Januar 2024 zur Viertagewoche wechseln oder weiterhin an fünf Tagen arbeiten. An der Wochenarbeitszeit ändere sich nichts, wer sich für die Viertagewoche entscheide, habe dafür längere Schichten.
"Das heißt, es falllen keine Pflegekapazitäten weg. Es fällt auch keine ärztliche Zeit weg, die Patientenversorgung bleibt gewährleistet", betont Klinik-Geschäftsführerin Julia Hefty. "Wir hoffen, dass unsere Beschäftigten ihr Privatleben noch besser mit dem Beruf vereinbaren können und gesund und engagiert bei uns bleiben." Mit dem neuen Modell wolle man auch potenziellen neue Fachkräften zeigen, dass die Hochtaunus-Kliniken ein "attraktiver Arbeitgeber" seien.
Mitarbeitende noch zögerlich
Bis Ende September müssen sich die Mitarbeitenden der Klinik entscheiden, ob sie im kommenden Jahr vier oder fünf Tage pro Woche arbeiten wollen. Sie können sich danach jährlich umentscheiden. Oberärztin Daniela Schulte will nach eigenen Angaben weiterhin fünf Tage pro Woche arbeiten. "Ich habe zwei kleine Kinder. Eine Viertagewoche würde bedeuten, dass ich abends erst gegen viertel nach sieben zuhause bin." Dann könne sie mit ihren beiden Söhnen unter der Woche "fast gar keine Zeit mehr verbringen". Für Schulte ist das kein attraktives Angebot.
Außerdem sei die Fünftagewoche von Vorteil für die Patientenversorgung. Es sei eine Kontinuität gegeben, dass immer derselbe Arzt die Patienten betreut. Allerdings sieht Schulte auch die Vorteile: "Wenn die Kollegen eine höhere Lebensqualität dadurch haben, sind sie auch hier im Dienst ausgeruhter."
Organisatorische Herausforderung
Auf der Intensvipflegestation von Christian Scharf werden sich haben sich bislang zehn von fünfzig Pflegefachkräften für die Viertagewoche entscheiden. Scharf macht als Abteilungsleiter auch die Dienstpläne und steht nach eigenen Angaben vor einer Herausforderung. "So wie es jetzt aussieht, lassen wir die Schichtpläne so wie sie sind und integrieren die Kolleginnen und Kollegen, die sich für die Viertagewoche entscheiden." Zumindest auf dem Papier funktioniere das.
Am Ende arbeitet das Personal im Notfall doch fünf Tage
Ob die Viertagewoche für ihn und die anderen Pflegefachkräfte auf der Intensivstation wirklich eine Entlastung bedeute, kann Scharf noch nicht einschätzen. Das größte Problem: Der dritte freie Tag pro Woche könnte spontanem Aushelfen zum Opfer fallen. "Das wird sich in unserer Berufsgruppe einfach nicht ändern. Wir werden auch weiterhin Mitarbeiter anrufen müssen, ob sie einspringen können."
Gewerkschaft spricht von Mogelpackung
An diesen Punkt knüpft die Kritik der Gewerkschaft Verdi an. Klinikexpertin Hilke Sauthof-Schäfer begrüßt zwar grundsätzlich die Viertagewoche an den Hochtaunus-Kliniken, aber nicht die gleichbleibende Wochenarbeitszeit. "So ist es eine Mogelpackung."
Zu einer echten Entlastung der Pflegefachkräfte gehörten eine Arbeitszeitverkürzung und eine ordentliche Personalausstattung. Wünschenswert seien Entlastungstarifverträge, die die Arbeitszeit bei gleichbleibendem Gehalt reduzieren und eine Perosnalaufstockung mit sich führen.
Wie sich die Viertagewoche wirklich auf die Arbeit der Pflegefachkräfte, aber auch der Ärztinnen und Ärzte und der Mitarbeitenden in der Verwaltung auswirkt, wird ab dem 1. Januar zu sehen sein.
"Wir werden dann natürlich auswerten, wie zufrieden die Mitarbeitenden sind, die sich für das neue Modell entschieden haben und wo eventuell noch Schwierigkeiten sind", sagt Klinik-Geschäftsführerin Julia Hefty. Christian Scharf von der Intensivstation sieht sich als Pionier. "Wir sind in einer Vorreiterposition. Das ist ein Abenteuer."
Sendung: hr-fernsehen, 22.09.2023, 19.30 Uhr
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