Inkluencer aus Hessen Es kann okay sein, das eigene Kind mit Down-Syndrom auf Instagram zu zeigen

Fredi aus Frankfurt und Niko aus Marburg gehen mit ihrer eigenen Behinderung oder der ihres Kindes ganz offen in den Sozialen Medien um. Sie wollen so Mauern einreißen, an denen sie sich zu oft stoßen. Über Inklusion auf Instagram.

Inkluencerin Fredi mit ihrem Sohn Lion auf einem Spielplatz, beide lachen in die Kamera
Inkluencerin Fredi mit ihrem Sohn Lion auf einem Spielplatz. Bild © privat
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Fredi Schönecker sitzt mit ihrem Sohn Lion auf dem Boden in ihrer Wohnung im Frankfurter Ostend. Sie spielen Ball, Lion strahlt. Er ist fünf Jahre alt und anscheinend ein offenes Kind. Als die hr-Reporterin zur Tür reinkommt, streckt er gleich die Hand entgegen. Er lacht, wirkt neugierig, liebevoll.

Seine Mutter Fredi studiert Englisch, Deutsch und katholische Religion auf Lehramt. Und sie ist Inkluencerin. Die Wort-Kombination aus Influencerin und Inklusion sagt schon, worum es der 27-Jährigen geht. Sie zeigt auf Instagram ihr Leben mit Lion, der das Down-Syndrom hat (@triplepower_lion).

Warum? "Weil es in der Gesellschaft hier noch immer so ist, dass Menschen mit und ohne Behinderung zwei verschiedene Wege gehen", sagt Fredi. Inklusion sei in Deutschland noch nicht so ausgeprägt, daher sei es sehr wahrscheinlich für Nichtbetroffene, dass sie ihr Leben lang keinerlei Kontakt zu Menschen mit Behinderung haben.

Zu mehr Begegnung beitragen

Diese getrennten Welten wirken sich durchaus aus: Ein Kindergartenplatz, Teilhabe, vieles ist für Fredi und Lion nicht selbstverständlich. "Wir erleben im Alltag weniger Schwerelosigkeit. Für einen Kitaplatz mussten wir uns dreimal so doll anstrengen", erzählt die junge Mutter.

Inkluencerin Fredi steht mit ihrem Sohn Lion in einem Hof unter einem Baum
Inkluencerin Fredi steht mit ihrem Sohn Lion unter einem Baum. Bild © privat

Viele Kitas haben keine Erfahrung mit Behinderung. Den Kitaplatz für Lion fand Fredi durch Zufall, wie sie berichtet. Eine Erzieherin dort kannte ein Kind mit Down-Syndrom und wusste: Das funktioniert. Sie freute sich auf Lion. "Wir hatten Glück, diese Erzieherin getroffen zu haben", betont Fredi.

Die 27-Jährige aus Frankfurt wünscht sich, dass Menschen ohne Behinderung durch ihre Videos Berührungsängste abbauen. Sie will dadurch zu mehr Begegnung beitragen.

Ein selbstständiges Leben zeigen

Genauso geht es Nikolaos Rizidis. Auch er setzt sich auf Instagram für Inklusion und Barrierefreiheit (@nikolaos.pegasos) ein. Niko ist 31 und lebt nahe Marburg zusammen mit seiner Frau Sarah und den beiden Hunden Orlando und Loki. Seit zehn Jahren ist Niko blind, bis dahin war er hochgradig sehbeeinträchtigt. Die Ärzte vermuten einen Zusammenhang mit seiner frühen Geburt.

"Mein Ziel ist es zu zeigen: Hey, ich führe trotzdem ein selbstständiges Leben. Auch wenn ich ein paar Gadgets im Alltag nutze", sagt Niko zu seinen Aktivitäten als Inkluencer. Als pädagogische Fachkraft in einem inklusiven Café betreut er vor allem Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Inkluencer Niko steht mit seiner Frau Sarah vor einer Holzwand, beide lächeln in die Kamera
Inkluencer Niko mit seiner Frau Sarah. Bild © privat

Im Internet will er nicht nur Menschen mit Beeinträchtigung erreichen, sondern gerade Menschen, die sich nicht vorstellen können, wie ein Blinder sein Leben meistert. Nikos Frau ist immer dabei. Sie filmt oder erzählt vom gemeinsamen Leben. MIt Ironie spießt Sarah im Feed Vorurteile auf: "Ich bin mit einem Blinden verheiratet, aber nur wegen des Blindengeldes." - "Ich bin mit einem Blinden verheiratet, aber nur, weil ich seine Putzfrau bin …"

Blindenhund Orlando ist oft auf Nikos Kanal zu sehen. Das ist ihm wichtig, Niko will zeigen, was ihm im Alltag hilft. Wie gehe ich sicher über die Straße? Wie nutze ich eine Küchenwaage? Wie fülle ich ohne Verbrennungen eine Tasse mit heißer Flüssigkeit?

Anderen Kraft geben

"Ich habe einen sogenannten Füllstandsmesser mit zwei Stäben", erklärt Niko: "Den hängt man in die Tasse. Sobald die Flüssigkeit die Stäbe berührt, fängt das Gerät an zu piepsen. So weiß ich, dass die Tasse voll ist." In den Videos: ein sprechendes Fieberthermometer, eine sprechende Waage, ein sprechender Fernseher, eine sprechende Uhr. "Einfach alles zu Hause spricht bei uns", sagt Sarah in einem Video.

Eltern mit erblindeten Kindern schreiben dem Paar, dass die Videos ihnen Mut machten. "Weil sie sich nach der Geburt manchmal nicht vorstellen können, wie das Leben mit Blindheit aussehen kann", sagt Niko: "Wenn sie sehen, wie es bei mir funktioniert, gibt es ihnen Kraft."

Auch Inkluencerin Fredi liest regelmäßig Dankbarkeit in den Kommentaren ihrer Followerinnen und Follower.Aber, es gibt auch ableistische Kommentare", sagt sie. Ableismus ist Diskriminierung, die sich auf Menschen mit Behinderung bezieht. Fredi erzählt: "Da heißt es dann: Sie redet sich doch nur ein, dass sie glücklich ist. Keiner will ein behindertes Kind." Sie lasse so etwas an sich abprallen, möchte lieber Mut machen.

Ein positives Vorbild sein

"Triplepower Lion" heißt Fredis Profil bei Instagram, eine Anspielung auf das dritte Chromosom 21 beim Down-Syndrom (Trisomie 21). Dort zeigt sie, wie Lion Laufrad fährt, Urlaub am Meer macht oder Plätzchen backt. Oder wie Lion nach nur drei Plätzchen in Gebärdensprache zeigt: Feierabend! Sie lachen. In einem anderen Video tanzt sie mit Lion, zieht Grimassen. "Wenn mich Leute fragen, ob ich lieber ein 'normales' Kind gehabt hätte", schreibt Fredi unter den Post: "Nope. He’s perfect."

Ihr selbst fehlte ein positives Vorbild. Die Diagnose Trisomie 21 erhielt Fredi, als sie mit Lion im fünften Monat schwanger war. Was sie im Netz dazu erfuhr oder von Ärzten hörte, war durchweg negativ geprägt. Ein Arzt forderte sie ungeschönt auf abzutreiben, wie sie erzählt: "Babys mit Down-Syndrom werden von manchen zu einem vermeidbaren Übel erklärt, wodurch Schwangere unter Druck geraten. Sie haben einfach die Annahme: Das Kind ist behindert, also will die Mutter es nicht haben."

Inkluencer Niko mit seinem Blindenhund Orlando auf einer Sitzbank
Inkluencer Niko mit seinem Blindenhund Orlando. Bild © privat

Unter einem Video schreibt Fredi: "Menschen leiden nicht am Down-Syndrom, sie sind damit geboren. Sie haben das Down-Syndrom." Das Wort Leid in dem Kontext zu verwenden, sei ableistisch. Als würden Menschen mit Down-Syndrom ein bemitleidenswertes Leben führen.

Menschen mit Behinderung normalisieren

Dabei bringe Lion nicht nur in ihr Leben viel Freude, sagt Fredi. Der Fünfjährige spricht zwar grundsätzlich kaum, aber zeigt seine Gefühle deutlich. Auf dem Spielplatz oder in Cafés kommt Fredi mit allen Menschen ins Gespräch, weil Lion alle anlächelt und anspricht, wie sie sagt: "Lion öffnet für sich selbst viele Türen."

Bleibt die Frage: Ist es okay, das eigene Kind auf Instagram zu zeigen? Mit dieser Frage beschäftigt sich Fredi immer wieder, sie stellt Vorteile und Nachteile regelmäßig gegenüber. Sie hofft und beantwortet die Frage für sich damit, dass das Positive überwiegt: "Ich kann das eigene Narrativ gestalten - vor allem in Lions Sinne, hoffe ich. Dass ich für ihn kämpfe und versuche, das System zu verändern. Repräsentation hilft einfach, Sachen zu normalisieren. Je mehr Menschen andere Menschen mit Behinderung sehen, desto mehr gehört es auch zum Alltag."

Weitere Informationen

Sendung: hr2-kultur, 08.02.2024, 8.20 Uhr

Redaktion: Stephan Loichinger

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Quelle: hessenschau.de