Klagewelle gegen private Hochschule Ein Architektur-Studium, mit dem man nicht Architekt werden konnte

Die Internationale Hochschule in Frankfurt warb lange mit ihrem "innovativen" Architektur-Studiengang. Der war aber nicht offiziell anerkannt - mit fatalen Folgen für Studierende. Betroffene klagen gegen die private Hochschule.

Ein beleuchteter Schriftzug der IU Internationalen Hochschule an einer dunklen Hauswand
Die IU Internationale Hochschule hat Standorte in ganz Deutschland - auch in Frankfurt. Bild © Imago Images
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Marie-Luis Hickisch sitzt im Landgericht Frankfurt. Die 33-Jährige möchte ihre ehemalige Hochschule verklagen. Sie erzählt Ende September dem Richter von ihren Erfahrungen mit der Internationalen Hochschule (IU) Frankfurt – und fängt ganz von vorne an.

2021 stößt sie auf ein Angebot, das perfekt erscheint: In Frankfurt bietet die IU den dualen Bachelor-Studiengang Architektur an. An der privaten Hochschule kann man Online-Vorlesungen von überall besuchen und muss dank der Arbeit im dualen Partnerunternehmen keine Studiengebühren bezahlen.

Marie-Luis setzt alles auf das IU-Architekturstudium

Sie kündigt ihren Job, zieht extra von München nach Frankfurt, studiert mehrere Semester – setzt alles auf eine Karte für ihren Traumjob, erzählt sie dem Richter. Andere Studierende berichten uns, dass zu diesem Zeitraum bereits Gerüchte die Runde machen. Studierende in höheren Semestern haben einen Verdacht: Mit diesem Studium kann man nicht Architekt werden. Wie das? Was soll das heißen? Die Studierenden fragen bei der IU nach. Die Hochschule antwortet, es gebe Probleme mit den Formalitäten, aber man werde sich darum kümmern.

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Architektur: Ein Studiengang, der "kammerfähig" sein muss

Wer sich Architekt oder Architektin nennen möchte, muss in die Architektenkammer des jeweiligen Bundeslandes aufgenommen werden. Dafür müssen angehende Architekten und Architektinnen mindestens vier Jahre Architektur-Vollzeitstudium (in einem anerkannten Studiengang) und zwei Jahre Berufserfahrung vorweisen. Da Architekten und Architektinnen sensible und kostenintensive Leistungen erbringen, ist die Kammer ein wichtiges Instrument zur Qualitätskontrolle.

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Im Wintersemester 2021/22 fingen 404 Studierende das Architekturstudium an. 2022/23 waren es 368. Wie viele andere Architekturstudenten um sie herum, wird Marie-Luis nervös, schildert sie in der mündlichen Verhandlung. Auch wenn Info-Broschüren und Homepage eigentlich keinen Anlass zum Zweifel geben.

Von Studierenden hat der Hessische Rundfunk einen Studiengangs-Flyer bekommen, in dem steht: "Außerdem besteht für Absolventen die Möglichkeit, im Anschluss und mithilfe des IUBH Fernstudienangebots, anerkannter Architekt zu werden." Dieser Flyer soll bis 2021 im Umlauf gewesen sein.

Architektenkammer wusste nichts von dem IU-Studiengang

Die Studierenden wollen Klarheit und wenden sich an die hessische Architektenkammer. Die weiß laut eigener Aussage zu diesem Zeitpunkt nicht mal von dem Studiengang an der IU in Frankfurt. Und ein halbes Jahr später bestätigt die Bundesarchitektenkammer in Berlin: Das duale Bachelorstudium Architektur an der IU entspricht nicht den Anforderungen, um später in die Architektenkammer aufgenommen zu werden und sich Architekt nennen zu dürfen.

Ein Werbeplakat der IU Internationalen Hochschule
Ein Werbeplakat der IU Internationalen Hochschule. Bild © Imago Images

Ein Schock für Marie-Luis, erzählt sie im Landgericht Frankfurt. Sie hatte schon viel Geld in das Studium investiert. Das will sie jetzt zurück. Mit uns direkt kann sie nicht sprechen, denn sie hat Angst, dass sich ein Interview negativ auf die Verhandlung auswirken könnte.

Andere sind schon einen Vergleich eingegangen und haben Teile ihrer Studiengebühren zurückbekommen. Dabei mussten sie eine beidseitige Verschwiegenheitserklärung unterschreiben und können deswegen nicht mit der Presse sprechen.

Welche Schuld trifft die Internationale Hochschule?

Stellt sich die Frage, wie es so weit kommen konnte. Ein Blick zurück: Die IU plant 2019, den Bachelor of Arts Architektur in ihr Angebot aufzunehmen. Vorher muss die Hochschule diesen Studiengang erst einmal akkreditieren lassen. Dabei wird überprüft, ob Lehrinhalte und Abläufe – also Seminare, Praxisanteile oder Vorlesungsinhalte – die nötige Qualität aufweisen.

Externe Gutachter erkennen Mängel

Die Internationale Hochschule darf diese Qualitätsprüfung 2019 selbst durchführen, wenn sie externe Gutachter mit ins Boot holt. Die sprechen sich für eine Akkreditierung des Studiengangs aus, allerdings nur unter der Bedingung, dass die Hochschule die Beschreibung der Berufsaussichten anpasst. Sie also auf der Homepage, auf Flyern und Plakaten keine Kammerzulassung als Architekt oder Architektin mehr in Aussicht stellt – auch nicht, wenn die Studierenden sich außerhalb des Studiums weiterbilden.

Doch auch nach diesem Gutachten wirbt die IU offenbar mit zumindest fragwürdigen Formulierungen für den dualen Architektur-Studiengang. Wie in dem Flyer, der laut Studierender auch 2021 noch im Umlauf war.

Expertin sieht Pflichtverletzung seitens der IU

Eine Frau Anfang 30 mit dunklen Haaren und einer dunkelblauen Bluse steht vor einer weißen Wand.
Mirjam Rose, Anwältin in Frankfurt und Expertin für Hochschulrecht. Bild © Mirjam Rose

In den Jahren danach scheinen Formulierungen wie "anerkannter Architekt" zwar zu verschwinden, dafür steht auf der Homepage noch 2022: "Mit deinem Studium Architektur hast du ein gutes Fundament, um deine Karriere weiter auszubauen. Mit deinen speziellen Kenntnissen überzeugst du zum Beispiel als Projektleiter:in in Architekturbüros, im öffentlichen Dienst oder in der Bauwirtschaft."

Mirjam Rose, Frankfurter Anwältin und Expertin für Hochschulrecht, sieht zwar eine gewisse Verantwortung bei den Studierenden, sagt aber deutlich: "Die Formulierungen sind so getroffen, dass sie Raum für Interpretation lassen und bewusst so formuliert, dass man dieses Studium auch anstrebt." Sie sehe in diesem Fall eine Pflichtverletzung seitens der IU.

Architektenkammer: "So krass gab es das noch nie"

Abgesehen von der zumindest in Teilen täuschenden Werbung stellt sich außerdem die Frage: Warum hat sich die Hochschule nicht einfach darum gekümmert, den Studiengang kammerfähig zu machen? Ein ungewöhnliches Versäumnis, sagt Tillman Prinz von der Bundesarchitektenkammer: "So krass gab es das noch nie. Es war sehr schwer, die IU davon zu überzeugen, überhaupt mit uns zu sprechen."

Normalerweise kämen private Hochschulen mit neuen Architekturstudiengängen immer gleich auf die Bundesarchitektenkammer zu, um den Studiengang kammerfähig zu gestalten. Im Fall der IU sei die Bundesarchitektenkammer durch viele engagierte und vernetzte Studierende auf die Probleme an der Hochschule aufmerksam geworden. "Es gab irgendwann so viele Beschwerden, dass wir uns an die IU gewandt und gefragt haben: Was macht ihr da? Warum sprecht ihr nicht mit uns?", erinnert sich Prinz.

Internationale Hochschule: Haben uns selbst gekümmert

Anders klingt es im Statement der Internationalen Hochschule, nachdem der Hessische Rundfunk sie mit den Vorwürfen konfrontiert: "Die IU hat mit der Bundesarchitektenkammer in einem sehr konstruktiven Austausch eine Lösung erarbeitet, um sowohl für zukünftige dual Studierende als auch bisherige Studierende eine Kammerfähigkeit zu erreichen."

Dazu habe die Hochschule Anfang 2023 einen neuen Akkreditierungsprozess gestartet und dabei Experten der Bundesarchitektenkammer als Gutachter eingebunden.

Egal von wem 2023 die Initiative ausging, den Studiengang kammerfähig zu machen - in den Jahren davor hat sich die private Hochschule offenbar nicht aktiv darum bemüht. Genauso wenig, wie sie den Studierenden transparent mitgeteilt hat, dass sie später bei der Kammereintragung Probleme bekommen könnten.

Besserung in Sicht?

Mittlerweile ist das anders. Auf der Homepage ist überall der Hinweis zu sehen, dass der Studiengang Architektur aktuell nicht kammerfähig ist. Das neu aufgesetzte Akkreditierungsverfahren war zudem erfolgreich, ab dem Wintersemester 2024 ist der Studiengang an den IU-Standorten Frankfurt, Berlin, Hamburg, München, Stuttgart kammerfähig.

Für alle bislang im dualen Studiengang eingeschriebenen Studierenden und Absolventen biete die IU ein kostenloses Angebot an, "um durch zusätzliche Kurse auch die Kammerfähigkeit zu erlangen."

Klagewelle der ehemaligen Studierenden

Vielen ehemaligen Studierenden, wie Marie-Luis, hilft das wenig. Sie hat ihr Studium abgebrochen als klar war, dass es sie nicht zum Beruf des Architekten bringt und vorher Lebenszeit und viel Geld investiert, um an der IU Architektur zu studieren. Am Landgericht Frankfurt werden aktuell sieben Fälle verhandelt, in denen Studierende eine finanzielle Entschädigung fordern.

Eine stichprobenartige Umfrage ergab: In Düsseldorf laufen fünf solcher Verfahren, in München sechs, in Stuttgart eins. In Erfurt klagen 30 Parteien – Studierende und die ehemaligen Praxisbetriebe. Doch nicht alle Studierenden klagen, und so dürfte die Zahl der Betroffenen deutlich höher sein.

Marie-Luis will Entschädigung. Sie erzählt dem Richter: "Weiter studieren kann ich mir jetzt einfach nicht mehr leisten. Alle meine Ersparnisse sind weg." Jetzt arbeitet sie in der IT. Der Weg zum Traumjob Architektur ist erstmal verbaut.

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de