Internet-Hetze im Mordfall Lübcke Hass, der nicht verschwindet

Erst wurde er bedroht, dann sein Tod bejubelt: Seit dem Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke vor genau fünf Jahren nehmen Politik, Justiz und Gesellschaft Hetze im Internet richtig ernst. Doch noch immer wimmelt es dort von bösartigen Kommentaren.

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Auch nach fünf Jahren klingt mehr als pietätvolle Routine aus dem Gedenken an Walter Lübcke. Kein Erinnern an den Ermordeten, in dem zum Todestag neben Respekt, Traurigkeit und Fassungslosigkeit nicht auch Entschlossenheit im Kampf gegen Hass und Hetze bekundet wird.

Als der Rechtsextremist Stephan Ernst den CDU-Politiker am 2. Juni 2019 auf dessen Terrasse im nordhessischen Wolfhagen-Istha (Kassel) erschoss, war der Tat eine bis dahin nicht gekannte verbale Jagd im Internet vorausgegangen. Ihr folgte eine verstörend böse virale Freude über den Ausgang. Sie verstört bis heute.

Allen Kampfansagen zum Trotz: Man kann noch immer schier endlos durch hämische Kommentare scrollen, die im Internet stehen: "Gut das er tot ist“, "Er hat bekommen, was er verdient hat", "Viel Spass im Paradis", "Tja, selber schuld!", "Abgehobenes Arschloch", "Heute verfault er" - so tönt das Gebell deutscher Unmenschen in nicht immer korrekter Rechtschreibung fort.

"Das ist schauerlich!"

Die meisten dieser Einträge sind einige Jahre alt, manche aber erst ein halbes. Dass diese Botschaften ungelöscht bleiben, ist für die Familie "schauerlich, ganz schrecklich". So formuliert es der Kommunikationsberater Dirk Metz. Der hessische CDU-Politiker und Ex-Regierungssprecher war langjähriger Weggefährte Lübckes und vertritt die Hinterbliebenen in der Öffentlichkeit.

Was es für die Familie noch bitterer macht: Solche Postings stehen nicht irgendwo versteckt, sondern vor allem unter einem allzu bekannten YouTube-Video. Es hat bis jetzt knapp 423.000 Aufrufe und Lübcke einst bis über Deutschland hinaus die erbitterte Feindschaft von Rechtsextremisten erst eingebracht.

Der einminütige Clip wurde 2015 gleich an dem Abend ins Netz gestellt, als Lübcke als Regierungspräsident Bürgern in Lohfelden (Kassel) Pläne für eine Flüchtlingsunterkunft vorstellte und dort für eine humane Asylpolitik warb.

Pöbelnden Zwischenrufen wie "Scheiß Staat" entgegnete der Politiker: Es lohne sich, in diesem Land zu leben. Da müsse man für Werte eintreten. "Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit das Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist."

Kurz vor dem Mord machte das Video noch einmal die Runde in der rechtsextremistischen Szene. Mutmaßlich motivierte das Stephan Ernst zur Tat. In einem später widerrufenen Geständnis gab er an: Das Video hätten er selbst und sein später vom Vorwurf der Mord-Mittäterschaft freigesprochener Neo-Nazi-Kumpan Markus H. im Account "Professor Moriatti" auf Youtube eingestellt.

Ermittler im Schmutz

"Da muss der Staat eingreifen", fordert Metz. Aber der Sprecher der Hinterbliebenen, die mangelnden staatlichen Schutz für Lübcke beklagen, schränkt ein: Es sei wohl nicht immer so einfach. Was die Lehren aus dem Mord in Wolfhagen betrifft, sei Hessen immerhin weiter als viele andere Bundesländer.

Auch Oberstaatsanwalt Benjamin Kruse weiß, dass im Internet noch immer viel Schmutz über den Toten zu lesen ist. Als Eingeständnis dafür, dass die Ermittler zu wenig unternehmen, will der Sprecher der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) bei der Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt das nicht verstanden wissen.

"Die Strafverfolgungsbehörden haben für die Löschung keine Befugnis und sind auf die Kooperation der Plattformbetreiber angewiesen", sagt Krause. Trotz Bemühungen um schärfere Gesetze und entgegen der Bekenntnisse der Betreiber-Konzerne gegen Hass im Netz gilt immer noch: Selbst eine Verurteilung in Deutschland bedeutet noch immer nicht, dass die Plattformen Eifer an den Tag legen und betreffende Kommentare tilgen.

7.500 Kommentare beleuchtet

Hinzu kommt laut Krause, dass fragliche Kommentare vielleicht noch nicht angezeigt worden seien. Trotzdem ist der ZIT-Oberstaatsanwalt vom Abschreckungserfolg der eigenen Arbeit überzeugt: "Wir haben einen starken Ermittlungsdruck ausgeübt und der Gesellschaft gezeigt, dass die Strafverfolgungsbehörden etwas tun."

Im gemeinsamen Projekt "Hasskommentare gegen Walter Lübcke" prüften ZIT-Experten mit Kollegen des Landeskriminalamtes (LKA): Wer rief seit 2015 im Netz zum Mord an Lübcke auf, wer befürwortete ihn später? Rund 7.500 Kommentare zum Mordfall Lübcke in sozialen Netzwerken wurden bis Ende des vergangenen Jahres unter die Lupe genommen.

Den Behörden half ein Online-Meldeportal, das Ende 2019 als direkte Folge des Lübcke-Mordes entstand: Opfer und Zeugen von Hate Speech können sich melden. Die gemeinnützige Beratungsstelle Hate Aid lobte: Damit habe das Land Hessen bundesweit eine "Vorreiterrolle" bei der Beteiligung der Zivilgesellschaft eingenommen.

Zwölf Verfahren in Hessen

Wie äußerst zäh die Strafverfolgung ist, zeigen die Zahlen aber auch. Zu 250 Ermittlungsverfahren kam es in Hessen. Die wenigsten aber verfassen Mordjubel unter ihrem wirklichen Namen oder hinterlassen andere Spuren: 85 Tatverdächtige wurden am Ende identifiziert.

Zwölf von ihnen kamen aus Hessen, weshalb die Fälle hier auch angeklagt werden. Bis auf einen Fall wurden alle inzwischen gerichtlich abgehandelt.

Viele Männer unter den Hetzern

Fast immer handelt es sich bei diesen Hetzern um Männer, die meisten sind über 60 Jahre alt. Mal fand ein 68-Jähriger vor einem Kasseler Baumarkt: "Der Täter hat einen Orden verdient." Mal bewertete eine 63-Jährige den Mord auf Facebook als "einen guten Anfang".

Mehrere Verfahren endeten mit Geldstrafen. Als ersten traf es im Sommer 2020 einen 71-Jährigen wegen "Billigung einer Straftat". Er hatte einen Tag nach dem Mord in einer Facebook-Gruppe mit 15.000 Mitgliedern geschrieben: "Hoffentlich ist er langsam gestorben."

Freispruch für "selbst schuld"

Wer Reue zeigte, vorher unauffällig war und Geld an eine gemeinnützige Einrichtung überwies, kam ganz ohne Vorstrafe davon. Drei der Strafverfahren wurden unter diesen Vorzeichen eingestellt. Und längst nicht jeder ekelhafte Kommentar ist strafbar. Auch das erklärt, warum so vieles noch online ist.

Erst Anfang dieses Jahres erreichte ein 50-Jähriger vor dem Landgericht Kassel einen Freispruch in einem Berufungsverfahren. Er hatte zum Mord gepostet: "… selbst Schuld Herr Lübcke. Man legt sich nicht mit einem ganzen, seinem eigen Volk in der Öffentlichkeit so an … Das war mehr als daneben." Das Amtsgericht hatte ihn noch verurteilt.

Nur noch vereinzelte Anzeigen

"Das Internet ist kein rechtsfreier Raum", betont anlässlich des Todestags Justizminister Christian Heinz (CDU). Gerade traf er sich mit Vertretern von Hate Aid. Er kündigt an, dass die bisherigen Aktivitäten ausgebaut würden. Dazu zähle, die Staatsanwaltschaften zu stärken und Aus- und Fortbildung zu erweitern.

Was noch an Social-Media-Häme gegen den ermordeten Lübcke auftaucht, untersuchen die hessischen Staatsanwaltschaften seit Anfang des Jahres in Eigenregie. Denn ihr gemeinsames Projekt haben Generalstaatsanwaltschaft und LKA eingestellt. Die Zahl aller Ermittlungsverfahren stieg zwar 2023 nicht zuletzt nach dem Angriff der Hamas auf Israel und der israelischen Reaktion auf den Höchststand von 4.000. Zu Lübcke seien aber kaum noch Meldungen eingegangen, sagt ZIT-Sprecher Krause.

Auch beim hessischen Online-Meldeportal spielt der Fall nur noch eine geringe Rolle. Seit Dezember bezogen sich laut Innenministerium acht neue Hinweise in der Sache auf insgesamt zwei Kommentare, die strafrechtlich relevant erschienen.

"Bleiben Sie standhaft!"

Die Lübckes bleiben nach fünf Jahren aufmerksam, wollen jeden neuen Fall anzeigen. Es geht nicht allein um das Andenken des Ermordeten. In einem öffentlichen Aufruf hat die Familie zum Todestag gerade mehr Schutz für politisch Aktive gefordert und sie ermutigt: "Bleiben Sie standhaft!"

Nachdem sie bereits Verurteilungen zu Geldstrafen im vierstelligen Bereich erwirkt hat, setzt ihr Sprecher Dirk Metz auf Abschreckung und Erziehung gleichermaßen: "Die Menschen merken vielleicht nicht nur, dass der Staat das nicht einfach geschehen lässt. Sondern auch, was sie anderen Leuten zumuten."

Abschrecken und erziehen

Gut möglich, dass Abschreckung am meisten hilft. Zwischen den vielen bösen Sprüchen, die sich zum fünften Todestag unter dem YouTube-Video von Lohfelden noch immer stapeln, finden sich zwar immer wieder Nutzer, die einschreiten. "Ich finde es abstoßend wie viele Menschen sich hier in den Kommentaren positiv zu diesem schrecklichen Mord äußern", heißt es da zum Beispiel.

Zum Schweigen brachte das die Hater nicht. Der jüngste Kommentar lautet aber: "Passt auf was ihr hier schreibt, da sitzt ein grünes männeken und zeigt euch an und ihr werdet als nazi dargestellt ..." Vor sechs Monaten wurde er abgesetzt. Bis heute folgte keiner mehr.

  

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Sendung: hr1, 31.05.2024, 13.15 Uhr

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Quelle: Christoph Scheld, hessenschau.de