Interview mit Diakonie-Berater "Täter wollen in Beziehungen ihre Macht demonstrieren"

Die jüngste Umfrage zur Gewaltbereitschaft junger Männer macht betroffen. Den Berater Michael Calmano von der Diakonie Main-Taunus überrascht es allerdings nicht, dass einige Männer handgreiflich werden. Sie setzten Gewalt ein, um ihre Macht zu demonstrieren, sagt er im Interview. Das ziehe sich durch alle Schichten.

Schatten einer Person, die von zwei anderen geschlagen wird.
Bild © picture-alliance/dpa
  • Link kopiert!
Videobeitrag

Gewalttätige Männer

mt
Bild © hr
Ende des Videobeitrags

Eine Befragung von Plan International hat ergeben, dass einige junge Männer es für legitim halten, in Beziehungen Gewalt anzuwenden. Das will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ändern: Sie spricht von einem "großen gesellschaftlichen Problem" und will Frauen ermutigen, Gewalttaten anzuzeigen.

Die Beratenden und Psychologen bei Sozialverbänden befassen sich täglich mit diesem Problem. Die Ergebnisse der Umfrage "Spannungsfeld Männlichkeit"  überraschen den Täterberater Michael Calmano von der Diakonie Main-Taunus in Hofheim deshalb nicht.

Es gibt zwar Kritik an der Methodik der Umfrage, dass Gewalt in Beziehungen immer noch verbreitet ist, steht aber außer Frage. Im Interview mit dem hr sagt Calmano, dass oft unerfüllte Bedürfnisse und Erwartungen in der Beziehung zu gewalttätigem Verhalten führen.

hessenschau.de: Herr Calmano, einer Umfrage von Plan International zufolge findet es ein Drittel der befragten Männer in Ordnung, handgreiflich zu werden. Überrascht Sie dieses Ergebnis als Männer- und Täterberater?

Michael Calmano: Das überrascht mich nicht. Es ist eine Erfahrung, die ich hier mache. Manche meiner Klienten versuchen, ihr Verhalten zu legitimieren. Sie sagen etwa: "Ich bin ja nur gewalttätig geworden, weil ich so provoziert wurde, und ich keinen anderen Ausweg gefunden habe." Das kommt relativ häufig vor.

hessenschau.de: Wie definieren Sie häusliche Gewalt?

Calmano: Gewalt fängt nicht beim Schlagen an. Es gibt neben körperlicher auch psychische, soziale und materielle Gewalt.

Unter psychische Gewalt fallen etwa Beleidigungen und Bedrohungen. Bei der sozialen Gewalt geht es um soziale Ausgrenzung. Und von materieller Gewalt spricht man etwa, wenn einer in der Partnerschaft die komplette Kontrolle über das Konto und alles andere Materielle hat. Wir arbeiten mit allen Bereichen.

Michael Calmano
Der Sozialpädagoge Michael Calmano arbeitet in der Männer- und Täterberatung bei der Diakonie in Hofheim. Bild © hr

hessenschau.de: Warum üben diese Männer Gewalt gegen Frauen aus?

Calmano: Es gibt verschiedene Ursachen. Meist sind es unerfüllte Bedürfnisse und Erwartungen in der Beziehung, die zu gewalttätigem Verhalten führen. Die Männer nehmen es persönlich oder fühlen sich angegriffen, wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt werden. 

Wenn ein Mann Gewalt ausübt, ist das immer auch eine Machtdemonstration. Manche Männer sagen, dass sie aus ihrer Ohnmacht heraus wieder in ihre Macht kommen wollen. Deshalb hätten sie gewalttätig gehandelt. 

hessenschau.de: Wie arbeiten Sie mit den Männern?

Calmano: Es geht darum, eine Verhaltensveränderung zu erreichen. Ich selbst kann keinen Mann verändern. Der Klient muss für sich selbst erkennen, dass er sein Verhalten ändern kann. Dafür muss das eigene Verhalten erstmal reflektiert werden. Das heißt, der Mann muss die volle Verantwortung für sein Verhalten übernehmen.

Und ich schaue zusammen mit den Klienten, ob es nicht andere Möglichkeiten der Konfliktlösung gibt - also eine gewaltfreie Lösung von Beziehungskonflikten. Das kennen manche nicht. 

hessenschau.de: Das klingt nach einer Rollenverteilung, wie vor 40,50 Jahren. Hat sich das Männerbild nicht gewandelt?

Calmano: Das hat sich schon weiterentwickelt. Inzwischen arbeiten meist beide Partner, auch weil sie es müssen. Aber in den meisten Fällen verdienen Männer immer noch mehr als Frauen. Auch gewisse Aufgaben - wie Küche und Kinder - sind noch geschlechtsspezifisch.  

hessenschau.de: Warum hat sich das Männerbild bei gewalttätigen Männern nicht gewandelt?

Calmano: Das hat viel mit der Erziehung zu tun. Was habe ich von meiner Herkunftsfamilie gelernt? Welche Muster habe ich übernommen, welche konnte ich ablegen?

Wenn jemand im Elternhaus häusliche Gewalt mitbekommen hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er/sie später Täter oder Opfer wird, um ein Vielfaches höher als bei Menschen, die das nicht erleben mussten. Das ist wissenschaftlich erwiesen.

Bei jungen Männern sind die Hauptrisikofaktoren für Gewalt: die Schwangerschaft der Partnerin und die Geburt des ersten Kindes. Da verändert sich ganz viel. Mann und Frau müssen dann von der Paarbeziehung zur Elternbeziehung kommen. 

Videobeitrag

Umfrage zu Männlichkeit

hs
Bild © hr
Ende des Videobeitrags

hessenschau.de: Welche Hintergründe haben denn die Männer, die gewalttätig werden?

Calmano: Die Männer kommen aus allen Schichten, aus allen Religionen, aus allen Kulturen, aus allen Altersklassen. Da gibt es kein Muster. Nur die Motivation für die Gewalt kann unterschiedlich sein. Neben der Motivation der Täter Macht zu demonstrieren, gibt es noch Verstärker der Gewalt: Armut etwa oder Alkoholmissbrauch.  

hessenschau.de: Wie landen Männer denn bei Ihnen in der Beratung?

Calmano: Mittlerweile kommen einige Männer von sich aus zu uns, als sogenannte "Selbstmelder". Sie merken, dass sie ein Problem mit ihren Aggressionen haben und fürchten um ihre Beziehung.

Es gibt aber auch Männer, die wegen Auflagen und Überweisungen zu uns geschickt werden - von der Amtsanwaltschaft oder Gerichten zum Beispiel. Die meisten, die in die Beratung kommen, sind Ende 20 bis Anfang 50 Jahre alt. 

Viele Klienten sind offen für eine Beratung, sie wollen etwas ändern. Denn sie haben auch Angst vor den Konsequenzen. Einige sagen: Ich möchte die Beziehung, die ich habe, nicht gefährden. Ich möchte den Kontakt zu meinen Kindern behalten.

Das gilt auch für Täter, die wegen einer Auflage kommen - wenn sie Beratungsangebote annehmen, wird oftmals das Verfahren gegen sie eingestellt. Wenn nicht, kann es zu Geldstrafen oder Haftstrafen kommen.

Weitere Informationen

Hier finden Frauen Hilfe bei Gewalt

Bei akuter Gefährdung: Polizeinotruf 110

Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" ist unter der bundeseinheitlichen Telefonnummer 08000-116016 rund um die Uhr, kostenfrei, anonym, barrierefrei erreichbar - auch online. Der Anruf und die Nummer erscheinen nicht auf der Telefonabrechnung. Die Beratung erfolgt vertraulich und auf Wunsch anonym. Eine Beratung ist in 18 Fremdsprachen möglich.

Die Beraterinnen leisten psychosoziale Erstberatung sowie Krisenintervention und vermitteln auf Wunsch an Unterstützungseinrichtungen vor Ort weiter, etwa an eine Frauenberatungsstelle oder ein Frauenhaus in der Nähe. Auch Menschen aus dem sozialen Umfeld der Gewaltbetroffenen können sich an das Hilfetelefon wenden.

Weitere Informationen zu Hilfsangeboten bei häuslicher Gewalt finden sich auf der Seite des Hessischen Sozialministeriums.

Ende der weiteren Informationen

Das Gespräch führte Koray Elele, hr-fernsehen

Weitere Informationen

Sendebezug: hr-fernsehen, maintower, 12.06.2023, 18:00 Uhr

Ende der weiteren Informationen

Quelle: hessenschau.de/Susanne Mayer