Kinderrechte nicht nur am Weltkindertag "Wir alle tragen die Verantwortung für Kinder"
In 145 Ländern wird heute der Weltkindertag mit politischen Aktionen und Demonstrationen begangen. Wie steht es um die Kinderrechte in Hessen? Ein Interview mit der Landesbeauftragten für Kinder- und Jugendrechte, Miriam Zeleke.
Deutschland hat die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet, nach der Kinder zehn Grundrechte haben, aufgeteilt in Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte. Man könnte meinen, Kinder sind in Deutschland optimal geschützt. Braucht es in Hessen eine Beauftragte für Kinder- und Jugendrechte überhaupt?
Ja, dringend sogar, sagt Miriam Zeleke. Die Erziehungswissenschaftlerin ist seit drei Jahren hessische Landesbeauftragte für Kinder- und Jugendrechte. Sie ist dafür da, dass diese vielfach festgeschriebenen Rechte eingehalten und bekannter gemacht werden. Was sie bislang erreichen konnte und wie Kinder und Jugendliche in Hessen aktiv eingebunden werden, erzählt sie im hessenschau.de-Interview.
Die Fragen stellte Hannah Jäger.
Ende der weiteren Informationenhessenschau.de: Vor welchen Herausforderungen stehen die Kinder- und Jugendrechte in Hessen im Jahr 2023?
Miriam Zeleke: Wenn ich mit Kindern und Jugendlichen spreche, nennen sie häufig den wachsenden finanziellen Druck auf ihre Familien und steigende Preise. Aber sie erwähnen auch das große Thema Bildung in ganz vielen Facetten, Diskriminierung, Rassismus und Gewalt. Und an der Stelle muss ich auch sagen, dass ich immer wieder total beeindruckt davon bin, wie präzise Kinder und Jugendliche ihre Themen und ihre Herausforderungen benennen können – und gleichzeitig auch Vorschläge dazu haben, wie man besser damit umgehen kann.
hessenschau.de: Kennen Kinder und Jugendliche in Hessen überhaupt ihre Rechte?
Miriam Zeleke: Hessen ist das erste Bundesland, das entschieden hat, systematisch zu schauen, wie gut wir bei der Umsetzung der Kinderrechte sind. Das setzt in unserem Auftrag das Deutsche Institut für Menschenrechte um. Im August haben wir die ersten Zahlen veröffentlicht. Ein spannendes Ergebnis ist, dass 24 Prozent der Kinder und Jugendlichen sagen, dass sie die Kinderrechte gut kennen. Und damit liegen sie deutlich über dem Bundesdurchschnitt. 27 Prozent der Eltern sagen, dass sie die Kinderrechte gut kennen. Ich glaube, dazu hat auch Corona einen Beitrag geleistet. Herausfordernd ist aber, dass fast 90 Prozent der hessischen Verwaltung die Kinderrechte nur vom Namen her kennen. Dabei sind das die zentralen Orte der Umsetzung der Kinderrechte.
hessenschau.de: Stichwort Beteiligung: Wie werden Kinder aktiv eingebunden?
Miriam Zeleke: Kinder und Jugendliche haben in Hessen ganz viele unterschiedliche festgeschriebene Beteiligungsrechte. Da wo Kinder und Jugendliche wohnen, sollten sie sich auf verschiedenen Ebenen beteiligen können, zum Beispiel wenn die Bushaltestelle neu gestaltet wird oder es eine Form von Jugendparlament gibt. Das sind alles Formate, wo junge Menschen nach ihrer Meinung gefragt werden sollten. Ob das dann tatsächlich stattfindet, ist sehr unterschiedlich und wird von den jungen Menschen auch sehr unterschiedlich erlebt. Ich höre oft, dass sie sich von der Politik nicht genug gefragt fühlen.
hessenschau.de: Wenn Sie uns an einem Tag mitnehmen könnten: Wie sieht Ihr Alltag als Kinder- und Jugendrechtsbeauftragte aus?
Miriam Zeleke: Sehr unterschiedlich, wir wollen die Kinderrechte ja sowohl unter Kindern als auch unter Erwachsenen und in der Verwaltung stärken. Deshalb wirke ich an Veröffentlichungen mit wie an Magazinen, Podcasts oder auch unserem Instagram-Account, um über Kinderrechte aufzuklären. Mit demselben Ziel halte ich ungefähr 65 Vorträge pro Jahr – egal ob bei der Polizei, in Kitas oder beim Netzwerk gegen Gewalt. Aber ich gehe auch viel in Kitas und Schulen oder tausche mich mit jungen Menschen in Jugendparlamenten, dem Landesheimrat oder der Landesschülervertretung aus. Da bleibe ich dann auch mal länger, weil die Kinder und Jugendlichen so viel zu berichten haben.
hessenschau.de: Was machen Sie mit dem, was die Kinder und Jugendlichen Ihnen erzählen?
Miriam Zeleke: Neulich wurde ich in einer Schule gefragt, ob man zum Essen gezwungen werden darf, weil das Schulessen nicht geschmeckt hat. Da haben wir dann über das Recht auf Gesundheit gesprochen. Aber in der Regel erzählen mir Kinder immer auch von Kindeswohlverletzungen. Das zeigt, wie wichtig es ist, mit ihnen über ihre Rechte zu sprechen. Ich muss dann abwägen, was ich der Lehrerin oder dem Schulsozialarbeiter noch weitergebe und was in dem Raum bleibt, in dem ich mit den jungen Menschen war.
hessenschau.de: Wie kann man konkret Kinderrechte schützen?
Miriam Zeleke: Jeder Mensch hat die Verantwortung für Kinder, nicht nur die eigenen, sondern die, die man täglich sieht. Jeder kann sich an ein Jugendamt wenden und dort anonym eine Meldung machen. Und dazu rate ich auch immer wieder, das wirklich zu nutzen, weil das Jugendamt verpflichtet ist, dieser Meldung nachzukommen. Es muss ja nicht bedeuten, dass das Kind aus der Familie genommen wird, sondern vielleicht bekommt eine Familie eine Unterstützung oder eine Hilfe. Aber auch Beratungsstellen für unterschiedlichste Themen wie Sucht oder sexualisierte Gewalt haben immer ein offenes Ohr. Das Jugendamt kann hier aber auch weitervermitteln.
hessenschau.de: Ihr Amt existiert in Hessen seit drei Jahren. Wenn Sie Bilanz ziehen: Was haben Sie in diesen drei Jahren für Kinder und Jugendrechte erreichen können?
Miriam Zeleke: Das Wichtigste ist das Monitoring zu den Kinderrechten. Da ist Hessen Pionier. Kein anderes Bundesland stellt sich systematisch die Frage, wie bekannt Kinderrechte sind und inwieweit sie umgesetzt werden. Wir haben einen Landesaktionsplan gegen sexualisierte Gewalt auf den Weg gebracht und eine Beratungsstelle für Kinder mit einem Elternteil in Haft gegründet. Ebenfalls wichtig ist das große Landesprogramm "Präventionsketten gegen Kinderarmut", das wir mitumgesetzt und initiiert haben.
hessenschau.de: Worum geht es bei diesem Programm?
Miriam Zeleke: In Hessen ist jedes vierte bis fünfte Kind von Armut betroffen. Eine Präventionskette ist eine Strategie von unterschiedlichen Maßnahmen, die eine Kommune entwickelt, um Kinder zu unterstützen. Das heißt, das kann so etwas Niedrigschwelliges sein, wie der Treff in der Nachbarschaft, in dem Kinder und Jugendliche nachmittags abhängen können. Es gibt etwas zu essen und Freizeitangebote. Der Treff kooperiert mit einer Beratungsstelle, die dabei hilft, einen Job zu finden und Zukunftspläne nach der Schule zu schmieden. Die Maßnahmen sind hier also ineinander verschränkt.
hessenschau.de: Was sind die Herausforderungen in Ihrem Job?
Miriam Zeleke: Die tägliche Sensibilisierungsarbeit und zu erklären, dass wir alle für Kinder verantwortlich sind. Die größte Herausforderung sind für mich Personen, die denken, dass sie mit Kinderrechten nichts zu tun haben.
hessenschau.de: Was fordern Sie zum Weltkindertag?
Miriam Zeleke: Beteiligung. Ich sehe, dass Entscheidungen zukünftig nicht mehr ohne die Einschätzung von Kindern und Jugendlichen, natürlich angemessen an ihr Alter, getroffen werden können. Wir sind auf die jungen Menschen als Experten ihrer Lebenswelt in dieser digitalen und komplexen Gesellschaft angewiesen - nicht andersrum.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 20.09.2023, 19.30 Uhr
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