Kampagne "Lehrkräfte gegen Rechts" Wie politisch darf eine Lehrerin sein?
Die junge Gesamtschullehrerin Linn Hardt aus Lich hat eine erfolgreiche Social-Media-Kampagne gestartet, mit der sie sich gegen rechtsextremes Gedankengut, Rechtspopulismus und Ausgrenzung stark macht. Aber was dürfen Lehrkräfte überhaupt sagen?
Linn Hardts Wohnung ist genau so bunt wie ihr Instagram-Profil. Knallig lackierte alte Schulstühle stehen um den Tisch, Zimmerpflanzen ragen aus pinken Plastikkisten.
Und auch im Netz gibt die 30-jährige Gesamtschullehrerin als "Frau.Haa" kunterbunte Einblicke in ihren Alltag: Sie veröffentlicht Tipps zur kreativen Unterrichtsgestaltung oder zum Klassenraum-Upcycling.
In ihren jüngsten Beiträgen spricht sie aber deutlich ernstere Themen an als sonst. Gemeinsam mit mehreren anderen "Lehrer-Influencern" positioniert sie sich gegen rechtsextremes Gedankengut.
In einem gemeinsamen Video kritisieren die Lehrkräfte beispielsweise eine aus ihrer Sicht wachsende Zunahme von Vorurteilen, Spaltung der Gesellschaft und Bedrohung demokratischer Prinzipien. Und sie rufen Menschen aus Politik und Gesellschaft dazu auf, sich klar dagegen zu stellen. Parteinamen werden bei der Aktion nicht genannt.
Anlass: "Aktuelle Ereignisse"
Linn Hardt, die selbst noch eine vergleichsweise kleine Follower-Zahl hat, konnte für ihnen Post mehrere reichweitenstarke Kanäle mobilisieren, etwa den norddeutschen Grundschullehrer Emmanuel Krüss, dem als "Emulution" allein auf TikTok über 800.000 Menschen folgen.
So wurde der Appell gegen rechts innerhalb weniger Tage tausendfach geliked, kommentiert und geteilt - und das Video erreichte schnell über 350.000 Aufrufe auf Instagram.
"Tatsächlich schlage ich diese ernsten Töne sehr oft im Unterricht an", sagt Lehrerin Hardt. Rassismus und Ausgrenzung seien häufig Thema in der Schule. Der Anlass, nun auch eine öffentliche Kampagne zu starten, seien für sie aber "die aktuellen politischen Debatten und Ereignisse" gewesen.
Lehrerin sieht sich in der Pflicht
Hardt unterrichtet Schülerinnen und Schüler von der siebten bis zur zehnten Klasse – allerdings nicht in Politik, sondern in Arbeitslehre und Deutsch. Und trotzdem stellt sie fest: Aktuelle politische Themen sind auch im Unterricht hochaktuell.
"Weil in der Schule Menschen aller gesellschaftlicher Schichten zusammenkommen, beschäftigen uns hier auch alle möglichen gesellschaftlichen Probleme", sagt Hardt. "Meistens kommt dieses Thema in meinem Unterricht dann auf, wenn jemand rassistisch beleidigt wurde", berichtet die Lehrerin.
Sie meint: In solchen Fällen sei es wichtig, als Lehrkraft ganz genau hinzuschauen, Betroffenen zuzuhören und schließlich auch selbst klar Stellung zu beziehen.
Wie neutral müssen Lehrkräfte sein?
Aber wie politisch darf eine Lehrkraft überhaupt sein? Das wird auch in den Kommentarspalten immer wieder gefragt: Müssen Lehrkräfte nicht neutral sein?
Der Wetterauer Gymnasiallehrer Peter Zeichner leitet bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) das Referat Mitbestimmung und gewerkschaftliche Bildungsarbeit. Er beschäftigt sich seit Langem damit, was Lehrerinnen und Lehrer dürfen und was nicht – und was ihre Pflichten sind.
Lehrer unterliegen Mäßigungsgebot
Zeichner erklärt: Lehrkräfte dürfen laut ihrem Diensteid und dem hessischen Schulgesetz in der Schule nicht offensiv für oder gegen eine einzelne Partei werben und unterliegen als Beamte in der Öffentlichkeit dem sogenannten "Mäßigungsgebot".
Das fordere sie im Hinblick auf politische Betätigung zu einer gewissen Zurückhaltung auf, mit dem Ziel, nicht das "Vertrauen in ihre Unabhängigkeit" zu gefährden, meint er. Was das konkret bedeute, sei in Konfliktfällen allerdings meist eine Einzelfallentscheidung.
Meinungsfreiheit gilt auch für Lehrer
Zeichner betont aber: Politische Betätigung oder Parteizugehörigkeit sei dadurch keinesfalls grundsätzlich untersagt - so lange man sich dabei im Rahmen des Grundgesetzes bewege. Lehrer dürften auch in der Schule politische Haltungen vertreten oder die Aussagen anderer kritisch einordnen.
"Auch Lehrkräfte haben im Unterricht ein Recht auf freie Meinungsäußerung, aber natürlich nicht als Lehrmeinung, die von allen Schülern zu übernehmen ist", so Zeichner. Wichtig sei, dass dabei unterschiedliche Meinungen vorkommen und gelten gelassen werden. Zudem dürften Lehrer niemanden aufgrund politischer Ansichten bevorzugen oder benachteiligen.
bpb: Mythos Neutralität
Der Rechtswissenschaftler Joachim Wieland spricht in einer Analyse, die von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) veröffentlicht wurde, sogar vom "Mythos Neutralität" und gibt Hinweise zur Rechtssprechung und dazu, wie Lehrkräfte sich in unterschiedlichen Situationen verhalten sollten. Dabei werden auch konkrete Fallbeispiele aufgeführt, etwa, was sie erwidern können, wenn Schüler Vorurteile gegenüber Geflüchteten im Klassenzimmer äußern.
Eine wichtige Leitlinie für politische Bildung im Unterricht stellt zudem seit fast fünfzig Jahren der sogenannte Beutelsbacher Konsens dar, der damals das Ergebnis einer Tagung der baden-württembergischen Landeszentrale für Politische Bildung war. Er basiert auf drei Grundsätzen:
- Überwältigungsverbot: Schülerinnen und Schüler dürfen nicht mit politischen Meinungen überrumpelt werden.
- Kontroversitätsgebot: Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.
- Interessenlage: Die Schülerinnen und Schüler müssen in die Lage versetzt werden, politische Situationen und eigene Interessenlagen zu analysieren.
Vermittlung demokratischer Werte ist Erziehungs- und Bildungsauftrag
Ähnlich wie die bpb in ihren Publikationen sieht auch GEW-Sprecher Zeichner Pädagogen im Staatsdienst in gewissen Fällen sogar in der Pflicht, klare Haltung zu zeigen und damit ihren gesetzlich festgelegten Bildungs- und Erziehungsauftrag zu erfüllen: Nämlich den, demokratische Grundwerte auf Basis des Grundgesetzes und der hessischen Landesverfassung zu vermitteln.
"Das sind sehr starke Werte", meint Peter Zeichner und verweist auf eine lange Liste im Hessischen Schulgesetz. Sie besagt zum Beispiel: Schulen sollen Schülerinnen und Schüler befähigen, Menschen anderer Herkunft, Religion und Weltanschauung vorurteilsfrei zu begegnen, zum friedlichen Zusammenleben verschiedener Kulturen beizutragen und für die Gleichheit und das Lebensrecht aller Menschen einzutreten.
"Und wenn irgendjemand, ob er oder sie nun einer Partei angehört oder nicht, Äußerungen von sich gibt, die diesen Werten widerspricht, dann ist es unsere Verpflichtung, das zumindest zu kommentieren und dazu nicht neutral zu sein", so Zeichner.
Mit "rechts" soll nicht "konservativ" gemeint sein
In diesem Rahmen bewege sich aus seiner Sicht auch die Social-Media-Aktion der Lehrkräfte, so Zeichner. Etwas ungünstig gewählt sei allerdings der Begriff "Rechts" im Titel. Er meint: Besser wäre es gewesen, die Aktion "Lehrkräfte gegen Rechtsextremismus" zu nennen. "Denn mit 'rechts' kann ja ein breites Spektrum gemeint sein", erklärt er.
Hier sei aber nicht etwa Konservativismus gemeint, sondern Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus - also etwas, was im Widerspruch zu den Werten des Grundgesetzes stehe. Sich dagegen zu stellen, entspreche klar dem allgemeinen Bildungs- und Erziehungsauftrag.
Auch Linn Hardt betont: Die Aktion richte sich nicht gegen konservative Haltungen, sondern gegen Rassismus und Diskriminierung. Und sie ist überzeugt: Dagegen klare Kante zu zeigen - für Lehrkräfte in der Schule ist das kein Wahlfach. Sondern Pflicht.
Sendung: hr-iNFO, 17.01.2024, 14.15 Uhr
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