Heroin-Überdosis überlebt Wie aus einem "Junkie" ein Suchthelfer wurde
Ludwig Seidl konsumierte jahrelang Heroin. Heute hilft er anderen in ein drogenfreies Leben. Der Ex-Drogenkonsument erzählt, wie er sich zurück ins Leben gekämpft hat.
Ludwig Seidl hat in seinem Leben schon viel erlebt, aber vor allem: überlebt. Zwölf Jahre Heroin-Konsum - bis ihn ein Erlebnis wachrüttelte. Seidl wohnte damals in Berlin, Drogen bestimmten sein Leben. Er saß in einer Wohnung mit zwei weiteren Süchtigen und konsumierte - nur dieses Mal war es zu viel für seinen Körper. Als den beiden anderen klar wurde, dass Seidl eine Überdosis genommen hatte, schrien sie so laut, dass die Feuerwehr kam.
"Das war doch bloß ein Junkie"
Die Feuerwehr belebte ihn wieder, brach ihm dabei zwei Rippen. "Als sie wegliefen, hörte ich sie sagen: 'Das war doch bloß ein Junkie.' Das hat sich bei mir festgesetzt", erinnert sich Ludwig Seidl. Nur eine Viertelstunde nachdem er fast daran verstorben war, hatte Seidl wieder eine Spritze in der Hand. Ihm wurde klar, dass er Hilfe brauchte. Heute ist Seidl clean. Vor einigen Tagen hat er seinen 32. nüchternen Geburtstag gefeiert. Eine Leistung, auf die er stolz ist.
Wir treffen ihn in der Suchthilfe "Die Fleckenbühler" in Frankfurt Niederrad. Ein großer, grüner Innenhof, umringt von Gebäuden, in denen bis zu 70 ehemals Drogenkonsumierende wohnen und arbeiten. Seidl ist heute der Geschäftsführer der Suchthilfe.
Er sitzt in einem Gartenstuhl, macht Witze und wirkt entspannt. Er trägt ein Karohemd und kurze Hosen. Wenn er von seiner Geschichte erzählt, wird klar, wie viele Menschen er in seinem Leben an die Drogen verloren hat. Der 21. Juli ist der internationale Gedenktag für verstorbene Drogengebrauchende. Seidl erinnert sich an viele Weggefährten, die nicht überlebt haben.
Ludwig Seidl geriet früh an Drogen. Fasziniert durch Musiker wie Jimmy Hendrix suchte er als Teenager nach dem Rausch. Besonders bewusstseinserweiternde Drogen wie LSD fanden er und seine Freunde spannend.
Dann wurde ihm Heroin angeboten. Seine erste Spritze teilte sich der damals Siebzehnjährige mit drei weiteren Jugendlichen. Nur zwei Wochen später war einer der drei Freunde tot - im Rausch erstickt an Erbrochenem. Er sollte nicht der letzte aus Seidls Umfeld sein, der so sein Leben verlor: Zwei ältere Cousins und knapp die Hälfte seiner früheren Bekannten sind tot.
Seidl fand Hilfe bei einer Berliner Suchthilfe. Deren Anzeige hatte er zuvor in einer Zeitung entdeckt. "Eines Tages habe ich mein Sofa und den kaputten Schwarz-Weiß-Fernseher zum Fenster rausgeschmissen und bin dann dorthin gegangen", erzählt er.
Drogenutensilien vergraben - und nie wieder angerührt
Noch unsicher, vergräbt er vorher noch seine Spritze, Löffel und Drogen in einem Rasenstück bei der Suchthilfe. "Was man da alles finden könnte, wenn man da mal den Boden umgraben würde", lacht er. Sein Drogenbesteck gräbt er nie wieder aus.
Direkt zu Anfang begeisterte ihn der Geruch nach frischem Brot in der Berliner Suchthilfe. Sein Körper war vom jahrelangen Konsum geschwächt, durch das Teilen von Spritzen hatte er sich zudem mit Hepatitis C infiziert.
Disziplin und ein gesundes soziales Umfeld
In der Abstinenz konnte er sich erholen. Doch das verlange viel Disziplin, erzählt der 64-Jährige. Noch nach zehn Jahren Nüchternheit sei er manchmal mit dem Geschmack von Heroin im Mund aufgewacht - verängstigt, im Traum rückfällig geworden zu sein.
Heute hilft er bei der Suchthilfe "Die Fleckenbühler" anderen, damit auch sie in ein nüchternes Leben zurückfinden. Wie der Weg aus der Sucht gelingen kann? "Meine Empfehlung ist, ein gesundes soziales Umfeld zu haben, offen und ehrlich zu sein, auch mitzuteilen, wenn es einem schlecht geht und sich nicht zu isolieren."
Gerade in der Isolation liege ein besonderes Problem. "Der Süchtige neigt natürlich dazu, in Isolation zu gehen, dass die anderen nicht sehen, dass er den Suchtstoff zu sich genommen hat."
Sendung: hr-fernsehen, maintower, 21.07.2023, 18 Uhr
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