"Um jeden Einzelnen kümmern" Wie Viernheim erfolgreich Kita-Fachkräfte gewinnt
Kita-Personal wird dringend gebraucht – auch in Viernheim. Mit einer eigenen Initiative unterstützt die Stadt gezielt Menschen mit Migrationshintergrund und Quereinsteiger auf ihrem Weg in den Erziehungsberuf. Warum das Konzept erfolgreich ist - und welche Hürden bleiben.
Zwölf Jahre ist Nasnet Brhane in ihrer Heimat Eritrea in die Schule gegangen, anschließend hat sie dort Meeresbiologie studiert. In Deutschland möchte die zweifache Mutter, die seit mehreren Jahren in Viernheim (Bergstraße) lebt, gerne als Erzieherin in einer Kita arbeiten. Ein Beruf, der händeringend gesucht wird. Doch auch wenn der Wille da ist, ist der Weg für Brhane noch weit, denn bis sie ihre Ausbildung machen darf, müssen noch viele bürokratische Hürden genommen werden.
Alleine würde Brhane den Weg durch das bürokratische Labyrinth kaum finden. Doch sie hat Maria Lauxen-Ulbrich an ihrer Seite. Die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt ist Projektleiterin der Initiative "Fachkräfte für Viernheimer Kitas", die es sich zur Aufgabe gemacht hat, gezielt Kita-Personal für die Stadt zu gewinnen.
Die Initiative wurde vor rund einem Jahr von Bürgermeister Matthias Baaß (SPD) ins Leben gerufen mit dem Ziel, den akuten Fachkräftemangel in den Kitas zu beheben oder zumindest abzumildern. "Der Mangel an Betreuungsplätzen in Viernheim ist bittere Realität", sagt Baaß.
Aktuell könnten rund 30 Kinder über drei Jahren nicht betreut werden, weil schlicht Personal fehle. "Mit der Initiative wollen wir Interessierte für die Erziehungsberufe gewinnen und sie auf dem Weg dorthin begleiten."
Arbeit trägt erste Früchte

Lauxen-Ulbrich ist Herz und Seele des Projekts, das weiß auch der Bürgermeister. "Ohne sie würde es nicht funktionieren, da haben wir großes Glück", sagt Baaß.
Und die Arbeit trägt bereits Früchte: Über 60 Menschen hätten sich innerhalb der kurzen Zeit bei der Stadt gemeldet und Interesse an einem Job in der Kita bekundet. "Das ist für eine kleine Stadt wie Viernheim sehr viel", freut sich Bürgermeister Baaß. In Viernheim leben rund 35.000 Menschen.
Aber der Aufwand ist groß. Lauxen-Ulbrich ist dennoch sicher, dass das der richtige Weg ist: "Wir müssen uns um jeden Einzelnen kümmern."

Mit großem Engagement nimmt sie sich deswegen der meist weiblichen Interessentinnen an, wie im Fall von Brhane. "Bei ihr ist das Problem, dass ihre Abschlüsse bislang nicht anerkannt werden und sie somit keine Ausbildung anfangen kann", erzählt Lauxen-Ulbrich. Zeugnisse aus Eritrea enthalten keine Noten, was in Deutschland zum Problem wird. Also nimmt sie die Eritreerin an die Hand, schickt sie in einen Sprachkurs, geht mir ihr zur Botschaft und begleitet sie auch bei all den anderen Behördengängen, die zu erledigen sind. Das ist sehr viel Arbeit und nimmt viel Zeit in Anspruch.
Gerade für Menschen mit Migrationshintergrund seien die Hürden auf dem Weg zur Erzieherin oder zum Erzieher hoch, sagt Lauxen-Ulbrich. Inna Zirkevych etwa, die 2022 aus der Ukraine nach Deutschland kam, hat schon in ihrem Heimatland als Erzieherin gearbeitet und BWL studiert.
Auch bei ihr werden nur Teile der Ausbildung anerkannt, den Rest muss sie hier in Deutschland nachholen - inklusive Sprachkurs. Bald hat sie ihre Prüfung, dann hofft sie, schnell in einer Kita arbeiten zu können: "Ich liebe Kinder und möchte einen Beitrag zu ihrer Entwicklung leisten", sagt Zirkevych. Sollte sie es schaffen, hat sie das auch der Hilfe von Lauxen-Ulbrich zu verdanken.
Es geht aber nicht nur um Menschen mit Migrationsgeschichte. Auch deutsche Jugendliche und junge Erwachsene hätten aufgrund falscher Vorstellungen oft Hemmungen, die Ausbildung anzufangen. "Will jemand wirklich in die Kinderbetreuung, dann mache ich alle Möglichkeiten auf, die für diesen Menschen verfügbar sind", verspricht Lauxen-Ulbrich.
Breites Netzwerk unterstützt Initiative
Durch die Initiative sollen gezielt Jugendliche, Zusatz- und Hilfskräfte in Kitas, Berufsrückkehrer und Menschen mit Migrationsgeschichte angesprochen werden, schreibt die Stadt auf ihrer Internetseite. Unterstützt wird Lauxen-Ulbrich dabei von einem Netzwerk aus zahlreichen Einrichtungen, Vereinen und Behörden, etwa der Agentur für Arbeit oder der städtischen Jugendförderung und mehreren Fachschulen. "Ohne dieses Netzwerk wäre meine Arbeit nicht möglich", sagt Lauxen-Ulbrich. Auch Baaß sieht darin den entscheidenden Erfolgsfaktor.
In den Kitas kommt die Initiative ebenfalls gut an. "Das ist eine Wertschätzung der Stadt für unsere Arbeit", sagt etwa Christina Wieland, Leiterin der Kita Entdeckerland in Viernheim. Durch die Initiative habe die Kita im Sommer drei statt wie bisher nur eine Auszubildende. "Das hilft sehr."
Bürgermeister fordert mehr Engagement vom Land
Aber die Beteiligten wissen auch: Was in Viernheim funktioniert, läuft nicht automatisch auch in anderen Kommunen. "Wir haben den Vorteil, dass wir mit Frau Lauxen-Ulbrich jemanden mit großer Fachkenntnis haben", sagt Bürgermeister Baaß. Dieses Glück hätten viele Kommunen nicht.
Um dem Fachkräftemangel in Kitas nicht nur in Viernheim sondern gesamtgesellschaftlich zu begegnen, bräuchte es solche Strukturen auf einer höheren Ebene, sprich auf Landesebene. "Dort müsste es eine zentrale Anlaufstelle geben, die sich genau so intensiv um jeden Einzelfall kümmert, wie wir es hier tun", sagt Baaß.
Dazu wünschen sich Baaß und auch Lauxen-Ulbrich den Abbau von bürokratischen Hürden. In Baden-Württemberg, das nur einen Steinwurf von Viernheim entfernt ist, könnten Jugendliche etwa mit Hauptschulabschluss die Ausbildung zur Erzieherin oder zum Erzieher anfangen. "In Hessen braucht man mittlere Reife", sagt Lauxen-Ulbrich.
Das wäre eine Möglichkeit, den Zugang zu dem Beruf in Hessen zu erleichtern. "Viele der Regeln und Hürden hatten sicher ihren Sinn, aber jetzt haben wir eine andere Lage", sagt auch Baaß. Nötig sei dringend mehr Personal, damit Menschen, die für den Beruf geeignet sind, den Weg dorthin schneller finden.
Ministerin Hofmann: "Wir arbeiten daran"
"Wir arbeiten daran, den Berufseinstieg in die Kita zu vereinfachen und zu beschleunigen", sagt Sozialministerin Heike Hofmann (SPD) dem hr. Vor allem wolle das Land schneller werden beim Anerkennen von ausländischen Abschlüssen und Qualifikationen.
Ziel sei es, den Anerkennungsprozess zentral zu bündeln, damit die Betroffenen nicht mehr bei diversen Behörden vorsprechen müssten. "Dazu sind wir mit allen handelnden Akteuren aus Bund und Ländern im Gespräch", so die Ministerin. Konkrete Maßnahmen oder einen Zeitplan nennt Hofmann nicht.
Bis dahin wird Maria Lauxen-Ulbrich in Viernheim weiter an allen Fronten kämpfen, um die Situation in den Kitas zu verbessern - zumindest jene in ihrer Stadt.