Renaturierung oder Wassersport-Mekka? Weltmeister-Welle bei Trebur in Gefahr
Der Steindamm bei Trebur ist unter Kanuten deutschlandweit bekannt: Selbst der Weltmeister trainiert an der dortigen Welle. Im Umkreis von 300 Kilometern gibt es nichts Vergleichbares - doch die Welle könnte bald verschwinden.
Eigentlich ist Hessen kein Bundesland, das für wilden Kanusport bekannt ist. Weder existieren hier reißende Gebirgsbäche, wie es sie im Süden von Deutschland gibt, noch unberührt mäandernde Flüsse. Doch an einer Stelle, an der der Rhein bei Trebur (Groß-Gerau) in einen Altarm strömt, kommen Kanuten auf ihre Wildwasser-Kosten - selbst Weltmeister Philip Josef trainiert hier. Wie lange noch, ist aber ungewiss.
"Die Welle ist je nach Pegelstand des Rheins immer anders, man weiß nie, was einen genau erwartet - wie bei den Wettkämpfen", berichtet Josef. Der 21-Jährige kommt aus Limburg und ist amtierender Weltmeister im Kanu-Freestyle. Josef trainiert am Steindamm, wie die Stelle mit der Welle genannt wird. In der Natur zu trainieren sei viel schöner als in betonierten Wassersport-Anlagen, sagt er.
Im Umkreis von 300 Kilometern einzigartig
Bei Trebur strömt der Rhein in den Ginsheimer Altrhein. Weil zwischen Rhein und Altarm ein Höhenunterschied besteht, schießt das Wasser mit so viel Druck in den Altarm, dass am Steindamm eine Welle entsteht - und die ist in Hessen einzigartig.
"Im Umkreis von 300 Kilometern gibt es nichts vergleichbares", sagt Jonas Künkel vom Deutschen Kanu Verband (DKV). Dort trainierten nicht nur Weltmeister Josef, sondern auch die amtierende Europameisterin Merle Hauser, Surfer und die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG). Viele Sportlerinnen und Sportler kämen von weit her, um diesen natürlichen Schwall befahren zu können. Vielen Treburern sei gar nicht klar, wie bekannt diese Stelle unter Wassersportlern sei, glaubt Künkel. Gäbe es die Welle nicht mehr, müssten Kanuten bis nach Basel fahren.
Die Existenz der Welle steht allerdings auf dem Spiel: Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass das Regierungspräsidium Darmstadt (RP) den Steindamm renaturieren will. Aber jede kleine Veränderung am Damm, so fürchtet es Kanuten-Sprecher Künkel, werde dazu führen, dass diese natürlich entstandene Welle verschwindet. Um für dessen Erhalt zu kämpfen, gründete der DKV gemeinsam mit 40 anderen Wassersportvereinen die Initiative Rhein-Main-Welle.
Regierungspräsidium Darmstadt: Noch nichts entschieden
Zurückzuführen sind mögliche Pläne zur Änderung auf die EU-Wasserrahmenrichtlinie. Sie sieht bestimmte Maßnahmen vor, um einen guten ökologischen Zustand von Gewässern zu erreichen. Dazu zählt auch, dass es Fischen und anderen Tieren möglich sein soll, die Gewässer zu wechseln - in diesem Fall: vom Altarm in den Rhein und wieder zurückzuschwimmen. Ein starker Schwall würde so etwas verhindern. Deshalb prüfe man laut RP Darmstadt derzeit bestimmte Maßnahmen - ob darunter auch die Zerstörung der Welle falle, will man nicht verraten. Im Gegenteil: In der Behörde streitet man ab, das überhaupt in Betracht gezogen zu haben. Man befinde sich lediglich in der Prüfung, entschieden sei noch nichts.
Doch eine Ausschreibung für die Prüfung dieses Verfahrens ist online einsehbar - und im über 2000-seitigen Maßnahmenkatalog des Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) finden sich Einträge, die sich auf den Treburer Schwall beziehen. Daraus geht hervor, dass das Gewässer für eine "ökologische Durchgängigkeit" strömungsarm gemacht werden soll - inklusive der geschätzten Kosten: 45.000 Euro. Dem Dokument zufolge befinde sich der Vorschlag bereits in "Umsetzungsplanung".
Das RP verweist auf Nachfrage auf andere Zuständigkeiten: Die Vorschläge für die Maßnahmen kämen von anderen Behörden und basierten auf alten Daten. Man bewerte die Angst der Kanuten momentan als unbegründet - zumindest nach aktuellem Stand. Der Durchbruch sei derzeit weder beabsichtigt noch geplant.
Alternativvorschlag der Kanuten
"In Nürnberg wurden gerade drei Millionen Euro in eine Surf-Anlage investiert. In Hessen gibt es bereits eine, die ökologisch besonders wertvoll ist - ohne zusätzlich aufgewendete Energie oder Kosten", sagt Künkel und meint damit den Steindamm. Nicht jeder könne sich das Surfen für 60 Euro pro Stunde in den künstlichen Anlagen leisten. Die Welle am Steindamm sei daher so erhaltenswert.
Auch Künkel paddelt dort gerne. "Der ganze Alltagsstress ist weg, wenn ich auf dieser Welle reite. Und landschaftlich ist es wunderschön", erklärt der Kanu-Aktivist, der eigentlich gelernter Umweltpädagoge ist. "Von Trebur aus kommt man in dieses Naturschutzgebiet, sieht die Störche, sieht die Kühe auf der Weide - einfach traumhaft", sagt Künkel. Wie lange das Areal noch in dieser Form besteht - das entscheidet das Regierungspräsidium.
Wie sieht es mit alternativen Lösungen aus? Nicht unweit vom Steindamm befindet sich ein zweiter Durchlass, durch den Wasser in den Altarm strömt - aber ohne Welle. Die Initiative Rhein-Main-Welle schlägt vor, diesen Durchlass zu renaturieren. So sei dem Naturschutz gedient und die Trainingsstelle nicht zerstört. Für die Umwelt sei es ohnehin besser, wenn der Schwall erhalten bliebe, findet Künkel, denn so werde der Altarm mit Frischwasser und Sauerstoff versorgt. Er betont dabei immer wieder, dass ihm der Umweltschutz wichtig sei; so organisiere er zum Beispiel Müllsammelaktionen am Altarm.
CDU-Fraktionschefin Claus unterstützt die Welle
Prominente Unterstützung erfahren die Kanutinnen und Kanuten bei ihrem Vorhaben von der Landespolitik: Die CDU-Fraktionsvorsitzende Ines Claus besuchte jüngst den Steindamm, der in ihrem Wahlkreis liegt. Ihre Botschaft: Es solle geprüft werden, ob beim Bauvorhaben die Renaturierung des zweiten Durchlasses nicht sinnvoller wäre. "Die [zweite Durchlassstelle] muss jetzt in die Alternativprüfung, dass hier trainiert werden kann und da dem Umweltschutz Rechnung getragen wird", sagte Claus bei ihrem Besuch.
Für Jonas Künkel vom DKV und der Initiative Rhein-Main-Welle ist der Erhalt des Steindamms eine Herzensangelegenheit, wie er sagt. "Es ist mehr als eine Sportstätte für uns. Als Natursportler:innen haben wir eine tiefe Verbundenheit zu diesem Ort - seit über 30 Jahren trainiert hier die Kanu-Community aus Hessen, Rheinland-Pfalz und dem nördlichen Bayern. Wir hoffen, dass das auch in Zukunft möglich ist."