Atemwegserkrankungen Kinderstationen in Bedrängnis: Starker Anstieg bei Infektionen mit RS-Virus
In vielen Kliniken in Hessen steigt die Zahl der kleinen Patienten mit Atemwegsinfekten aktuell stark an. Gleichzeitig herrscht Personalmangel. Einige Kinderstationen bringt das schon vor dem Winter an ihre Grenzen.
Zwei große Pflaster kleben auf den beiden geröteten Wangen der 13 Monate alten Alba. Sie halten den Sauerstoffschlauch, der an die kleinen Nasenlöcher angebracht ist, in der richtigen Position. Für den Schnuller bleibt gerade so noch genug Platz. In einer dicht an den Körper geschnallten Trage versucht ihre Mutter, sie trotz ihres Hustens zu beruhigen und zum Schlafen zu bringen.
"Sie hat zwei Tage nur gelegen und geschlafen und sich von rechts nach links gedreht. Sonst ist sie ein kleiner Wildfang, das war ein ganz anderes Kind", sagt Janina Günther. "Ich glaube, das war die heftigste Erfahrung bisher, weil sie so apathisch war". Ihre Tochter Alba wird stationär auf der Kleinkindstation der Kinderkliniken Darmstadt Prinzessin Margaret behandelt. Der Grund: eine Infektion mit dem sogenannten RS-Virus.
Starker Anstieg bei Infektionen
Die kleine Alba sei längst nicht das einzige mit dem RS-Virus infizierte Kleinkind, das auf Station behandelt werden muss, sagt Sebastian Becker. Er ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Leitender Ärztlicher Direktor der Kinderkliniken in Darmstadt. "Von 26 Betten, die wir hier haben, sind 24 belegt mit Atemwegsinfekten."
Grundsätzlich sei man Virenwellen in den Wintermonaten gewohnt. Seit den letzten Wochen könne er aber einen starken Anstieg der RS-Virus-Infektionen feststellen. Das Problem sei vor allem, dass diese Welle auf ein nicht mehr so funktionstüchtiges Gesundheitssystem stoße. "Wir sind mitunter gezwungen, aufgrund von Personalmangel Kapazitäten zu verringern und Kinder in andere Krankenhäuser zu verlegen oder von anderen Krankenhäusern Kinder zu übernehmen."
Viele Kliniken geraten schon jetzt unter Druck
Eine hessenweite Übersicht über die Lage gibt es nicht, denn die Fälle müssen - anders als bei Corona - nicht zentral gemeldet werden. Auf hr-Anfrage bestätigen aber zahlreiche weitere Kliniken einen starken Anstieg der mit RS-Viren infizierten Patienten und Patientinnen: das Klinikum Frankfurt-Höchst, das Rüsselsheimer Kinderklinikum, die Helios Kinderklinik in Wiesbaden, das Clementine Kinderhospital in Frankfurt, das Klinikum Bad Hersfeld sowie das Kinderklinikum Fulda.
Im Clementine Kinderhospital Frankfurt seien in den vergangenen Tagen durchschnittlich zwischen acht und zehn Patienten stationär behandelt worden, zusätzlich gebe es viele ambulante Fälle. "Damit bewegen wir uns an der Grenze unserer Kapazitäten, insbesondere weil diese Patienten aufgrund des hohen Ansteckungsrisikos isoliert von anderen kranken Kindern behandelt werden müssen", teilt das Krankenhaus in Frankfurt-Höchst auf Anfrage mit.
"In diesem Jahr fingen die Fälle Anfang Oktober an, was etwas früh ist für die übliche Saison", sagt auch Reinald Repp, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Fulda. "Wir kriegen aktuell betroffene Kinder auch von weiter her, teilweise aus ganz Hessen."
Gefährlich für Frühgeborene und herzkranke Kinder
Das RS-Virus kann Atemwegserkrankungen wie Brochiolitis auslösen. Eine erschwerte Atmung, manchmal mit pfeifenden Geräuschen, hohes Fieber, eine blasse Hautfarbe und Trinkschwäche können auf eine Infektion hinweisen. Bei diesen Symptomen sollten Eltern ihre Kinder zum Arzt bringen.
Normalerweise ist eine Infektion sehr gut zu behandeln: Laut Sebastian Becker von den Kinderkliniken Darmstadt gibt es in den meisten Fällen eine "sehr gute Chance auf Genesung". In der Regel gehe eine Erkrankung nach erfolgreicher Behandlung spurlos an den Kindern vorbei.
Gefährlich könne es laut Becker aber für Frühgeborene und Kinder mit angeborenen Herz- oder Lungenerkrankungen werden. Da es bisher keine Medikamente oder Impfstoffe gegen den Erreger gibt, sei man auf eine symptomatische Behandlung angewiesen. Die bestehe vor allem aus Sauerstoffversorgung, fiebersenkenden Mitteln und Flüssigkeitszufuhr.
Saison verschiebt sich
Laut Robert-Koch-Institut werden die meisten Fälle in Mitteleuropa zwischen November und April verzeichnet, wobei ein Gipfel meist im Januar und Februar zu bemerken ist. In den letzten Jahren war aber immer häufiger ein früherer Anstieg zu erkennen, der wie in diesem Jahr bereits im September und Oktober startete.
Auch Frankreich hat mit einer schweren Welle der Atemwegserkrankung bei Babys zu kämpfen und hat deshalb vergangene Woche sogar einen Notfallplan für Kliniken aktiviert. Seit zehn Jahren habe es keine so hohe Zahl an Einweisungen wegen einer Bronchiolitis-Epidemie gegeben, sagte Gesundheitsminister François Braun.
Ganz so dramatisch sieht es zumindest bisher in Hessens Kliniken noch nicht aus. "Wie der Verlauf dieses Jahr sein wird, kann man noch nicht voraussagen", sagt Sebastian Becker von den Darmstädter Kinderkliniken. "Aktuell ist es so, dass wir einen deutlichen Anstieg merken, aber noch nicht mehr als in den Jahren zuvor."
Besserung bei Alba
Der kleinen Alba auf der Station der Kinderklinik Darmstadt geht es nach ein paar Tagen besser. "Die größte Hoffnung ist natürlich, dass sie keinen Sauerstoff mehr braucht und wir nach Hause können", sagt ihre Mutter Janina Günther. "Wenn sie nicht mehr auf den Sauerstoff angewiesen ist, ist die beste Erholung zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung - ganz viel Ruhe, ganz viel Spielen, ganz viel Kuscheln".
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 18.11.2022, 19.30 Uhr.
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