Klimaangst bei Schülern "Wenn ich in die Zukunft blicke, denke ich, dass nichts leichter wird"
Extreme Hitze, Waldbrände, Überschwemmungen. Wie besorgt sind eigentlich junge Menschen über den Klimawandel und hinsichtlich ihrer Zukunft? Ein Besuch in einer Schule in Dreieich.
Schüler des Abschlussjahrgangs der Max-Eyth-Schule in Dreieich (Offenbach) drängen sich in einem Klassenraum. Auf dem Smartboard sehen sie Fotografien von Eisbergen, Waldbränden, den rauchenden Schloten einer Fabrik oder einer kargen Wüste. Dazu ein Schriftzug: "No planet B" - es gibt keinen zweiten Planeten. Die Schüler und Schülerinnen wollen hier über ihre Meinungen und Gefühle reden. Es geht um das Klima.
Die Jugendlichen, zwischen 17 und 20 Jahre alt, machen derzeit ihr Fachabitur im Bereich Wirtschaft und Verwaltung. Die allermeisten hier haben außer dem Wunsch nach einem guten Abschluss eines gemeinsam: die Sorge, was künftig mit unserer Welt passieren wird und wie ihre Zukunft darin aussehen wird.
Der vergangene Sommer hat diese Angst noch einmal verstärkt. "Der Klimawandel ist immer sehr präsent, besonders dieses Jahr, weil es immer wärmer wird", erzählt die 17 Jahre alte Luisa Otterbein. Die Waldbrände hätten sich buchstäblich bei ihr eingebrannt, sagt sie: "Die Feuer in Griechenland und die Feuer in Kanada oder die im letzten Jahr in Australien erzeugen ein gewisses Gefühl der Ohnmacht, weil man nichts machen kann."
Sich bedroht fühlen
Diese sogenannte Klimaangst, auf Englisch Climate Anxiety, und die Sorge um die Zukunft teilen junge Menschen weltweit, wie Julia Asbrand berichtet. Die Diplom-Psychologin erforscht an der Universität Jena, wie sich gesellschaftliche Krisen auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen auswirken können und welche Therapien es dafür gibt.
"Eine Umfrage aus dem Jahr 2021 mit 10.000 jungen Menschen zeigt, dass sich weit mehr als die Hälfte Sorgen um die Zukunft machen. An oberster Stelle steht hierbei oft das Thema Klimawandel", sagt Asbrand.
Die größte Klimaangst der jungen Menschen sei die vor der Zunahme extremer Wetterphänomene - wie zum Beispiel die Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021. "Dadurch ist es nicht mehr nur eine abstrakte Bedrohung durch 'einen' Klimawandel, der irgendwann mal dazu führen könnte, dass es wärmer wird", sagt Asbrand.
Angst haben
Die Dreieicher Schülerin Luisa Otterbein sagt: "Wenn ich in die Zukunft blicke, denke ich, dass Klimakatastrophen schlimmer werden und das Leben nicht leichter wird." Dem stimmt ihr Schulkamerad Rokas Hrdina zu: "Ich glaube, es wird noch extremeres Wetter geben. Die Lebensbedingungen werden schwieriger, und alles wird dadurch teurer."
Die Angst der Schüler sei erst einmal eine ganz normale Emotion, sagt Psychologin Asbrand: "Angst hilft uns zum Beispiel, bevor wir über die Straße gehen, nach links und rechts zu schauen, um nicht überfahren zu werden."
Deshalb sei Angst auch in Bezug auf den Klimawandel zunächst sinnvoll, weil sie helfe, Menschen auf etwas vorzubereiten und sie zum Handeln bringen könne, denn die Bedrohung sei gegeben. "Schwierig wird es nur, wenn Angst in Panik übergeht und jemand zu Hause bleibt und sich nur noch die Decke über den Kopf ziehen möchte und in Schockstarre verfällt", findet Asbrand.
Sich hilflos fühlen
Menschen seien nicht unbegrenzt in der Lage, eine starke Emotion zu verspüren. Bei Angst werde Adrenalin ausgeschüttet, irgendwann sei aber der Speicher leer, die Emotion flache wieder ab, erklärt Asbrand. Dann könne sich eine depressive Grundhaltung einstellen. "Man hat das Gefühl, das man nichts ausrichten kann." Weil gerade junge Leute anfällig seien für psychische Krankheiten, wachse der Bedarf an Psychotherapien.
Die Psychologin und Verhaltenstherapeutin Katharina van Bronswijk, die sich unter anderem bei Psychologists for Future engagiert, findet, dass es auch ein Problem bei der Kommunikation über den Klimawandel gebe: "Es wird weniger darüber gesprochen, was ein Ausweg sein könnte, und viel mehr über das Problem an sich." Dass die Handlungsmöglichkeiten nicht stärker aufgezeigt würden, führe zu einem Ohnmachtsgefühl.
Sauer sein
Aber nicht nur Angst oder Resignation ruft der Klimawandel in den Schülern der Max-Eyth-Schule in Dreieich hervor. Viele sind auch sauer. "Ich bin wütend, weil einfach nichts getan wurde bis dato. Die gesteckten Klimaziele werden einfach umgegangen oder ignoriert", sagt der 18 Jahre alte Rokas Hrdina.
Auch andere Schüler fordern von der Politik, dass sie endlich entschiedener handeln solle, das wird bei dem Treffen an diesem Vormittag in der Dreieicher Berufsschule deutlich. Sie verstehen nicht, warum für den Klimaschutz nicht mehr getan wird.
Das deckt sich mit den Beobachtungen der Psychologin Julia Asbrand. "Viele junge Menschen sind enttäuscht und frustriert und wütend." Sie hätten am wenigsten zum Klimawandel beigetragen, zugleich wenig politischen Einfluss und müssten am längsten die Folgen ertragen.
Vorschläge machen
"Ich würde mir wünschen, dass es einfach wäre, nachhaltiger zu leben", sagt Luisa Otterbein. Zum Beispiel müsse der Öffentliche Nahverkehr besser ausgebaut werden. Für manche Schüler sei es morgens einfach unmöglich, mit Bus und Bahn in die Schule zu kommen, ohne dafür über eine Stunde unterwegs zu sein. Viele nähmen deshalb das Auto.
Apropos: In dem Klassenraum in der Max-Eyth-Schule sind eigentlich alle der Meinung, dass Verbrenner nicht mehr zeitgemäß sind. In ihren Augen wären bezahlbare E-Autos ein richtiger Schritt in die Zukunft.
Allgemein glauben die Schüler, dass jeder einen Beitrag zum Klimaschutz leisten müsse. Manche von ihnen erzählen, dass sie zum Beispiel nicht mehr andauernd neue Klamotten kaufen und weniger Fleisch essen.
Ins Handeln kommen
Auch wenn dies nur kleine Schritte seien und ein einzelner Mensch nicht die Welt verändern könne, seien solche Schritte bei der psychischen Bewältigung der Klimakrise von Bedeutung, sagt Julia Asbrand: "Wenn wir gemeinsam ins Handeln kommen, ist das nicht nur gut für das Klima, sondern auch für uns selbst und die Psyche." Sinnvoll wäre aus Sicht der Expertin, "wenn Erwachsene die Gefühle von jungen Menschen ernst nehmen und zu ihnen sagen: 'Komm, wir packen das gemeinsam an'".
Der Dreieicher Schüler Rokas Hrdina ist auch schon aktiv geworden. Als leidenschaftlicher Bastler hat er im heimischen Garten eine Solaranlage gebaut. Dafür hat er sich unter anderem eine Batterie vom Schrottplatz geholt. Daraus zieht er nun so viel Strom, dass er sich etwas kochen und an seinem Computer in der Gartenhütte zocken kann, wie er berichtet. Seinen Eltern habe er eine Solaranlage auf den Balkon gebaut.
Rokas Hrdina ist überzeugt: "Eine einzelne Person kann den Klimawandel vielleicht nicht stoppen, aber die ganze Gesellschaft zusammen." Obwohl er erst 18 Jahre alt ist, sagt er zum Schluss: "Es geht um die Zukunft meiner Kinder." Das ist ein Satz, der an diesem Tag sehr oft in diesem Klassenraum in der Dreieicher Berufsschule fällt.
Sendung: hr2-kultur, 29.11.2023, 16.14 Uhr
Redaktion: Stephan Loichinger