Hessischer Hochschulpreis für Health For Future Medizinstudierende setzen Klimakrise einfach selbst auf den Lehrplan
Der Klimawandel wirkt sich mehr und mehr auf unsere Gesundheit aus. Weil das Thema in der Arzt-Ausbildung aber bisher nur wenig vorkommt, haben Medizinstudenten aus Gießen und Marburg es einfach selbst auf den Lehrplan gesetzt. Dafür bekommen sie jetzt den Hessischen Hochschulpreis.
Allergien, Infekte, Herzprobleme: Ganz normaler Alltag eines Hausarztes, so auch seit vielen Jahren bei Stefan Bösner aus Marburg. Und trotzdem wundert sich der Allgemeinmediziner in letzter Zeit immer wieder darüber, was Patientinnen und Patienten so alles mitbringen in seine Sprechstunde:
Borreliose durch Zeckenbisse im November zum Beispiel. Oder allergisches Asthma, das untypischerweise erst im fortgeschrittenen Alter auftritt - und das teilweise sogar außerhalb der gewohnten Pollenflugzeit. Und dann ist da natürlich die Hitze, die in den letzten Jahren besonders den Älteren zu schaffen macht, berichtet Bösner: "Die dehydrieren leichter und sind anfälliger für Herz-Kreislauf-Beschwerden."
Übersterblichkeit durch Hitze – auch in Deutschland
Dass der Klimawandel Auswirkungen auf unser Leben hat, sollte inzwischen allseits bekannt sein. Doch nicht alles ist so mächtig und unübersehbar wie schmelzende Gletscher oder sterbende Korallen. Vieles passiert schleichend. So wie das, was der Klimawandel mit unserer Gesundheit macht – und zwar jetzt schon.
Erst kürzlich warnte der jährliche Klimabericht der international renommierten Medizin-Fachzeitschrift Lancet eindringlich davor. Auch auf der gerade zu Ende gegangenen Weltklimakonferenz in Ägypten wurde die Problematik thematisiert. In unseren Breitengraden stehen dabei derzeit besonders ältere Menschen im Fokus: Auswertungen des statistischen Bundesamts legen nahe, dass es in den vergangenen Jahren zu einer hitzebedingte Übersterblichkeit gekommen ist. Die WHO schätzt: Mindestens 15.000 Menschen in Europa sind in diesem Jahr infolge von Hitze gestorben.
Experten gehen davon aus, dass wir neben mehr Extremwetter und längeren Zecken- und Pollenzeiten vermehrt mit tropischen Infektionskrankheiten rechnen müssen. Sogenannte "Emerging Infectious Diseases" sind Krankheiten, die neu in Deutschland auftreten oder die verschwunden waren und nun zurückkommen. Dazu gehört zum Beispiel die Leishmaniose, eine durch Parasiten ausgelöste Krankheit, die unter anderem zu langanhaltendem Fieber führen kann. In Hessen wurde der Erreger in Sandmücken erstmals 2014 entdeckt.
Hochschulpreis für Medizinstudenten, die Klimakrise selbst auf die Agenda setzen
Auch in hessischen Hochschulen rückt die Thematik rund um Klima und Gesundheit inzwischen stärker in den Fokus. An der Uni Marburg gibt es in diesem Semester beispielweise bereits zum zweiten Mal eine Ringvorlesung dazu. Auch an der Universität Frankfurt hat eine Arbeitsgruppe in den vergangenen zwei Jahren mehrere Veranstaltungen und Workshops organisiert.
Dass die Klimakrise auf der medizinischen Agenda hochrückt, liegt auch daran, dass Studierende selbst dafür sorgen: An den Fakultäten in Gießen und Marburg haben Mitglieder der Umweltbewegung Health For Future das Thema eigenständig auf den Lehrplan gesetzt. Sie haben die "Klimasprechstunde" entwickelt, ein Wahlfach, an dem Medizinstudierende freiwillig teilnehmen können. Das Seminar wurde am Donnerstag mit dem mit dem Hessischen Hochschulpreis in der Kategorie "Studentische Initiative"ausgezeichnet.
Grüne Medizin: Weniger Plastik, klimafreundliche Narkosegase
Die Medizinstudentinnen Miriam Hobbhahn und Magdalena Maurer von Health For Future Gießen erklären: Teilweise bereiten die Studierenden die Inhalte selbst vor, teilweise werden Experten aus verschiedenen Fachrichtungen eingeladen, die ihre Zeit kostenlos zur Verfügung stellen. Die Studierenden sollen lernen, wie sich die Klimakrise auf unterschiedliche medizinische Gesundheitsbereiche auswirkt, etwa auf Lungengesundheit, Gynäkologie oder Psychologie, so Maurer.
Außerdem geht es im Seminar um "Grüne Medizin" und die Frage, wie Ärztinnen und Ärzte selbst den ökologischen Fußabdruck ihrer Branche verringern können. Denn der Gesundheitssektor verursacht weltweit rund fünf Prozent der CO2-Emissionen. Die Studentinnen erklären: Bei Operationen könnten beispielsweise Narkosegase eingesetzt werden, die weniger Treibhausgase ausstoßen. Auch Plastikverpackungen im Krankenhaus könnten reduziert werden.
Miriam Hobbhahn findet es wichtig, ihre Kommilitonen noch viel mehr dafür zu sensibilisieren als bisher. "Sonst stehen wir später als Ärzt*innen mal total blöd da, weil diese Problematik uns im Berufsalltag betreffen wird, aber wir nicht wissen, wie man damit adäquat umgehen kann." Sie glaubt: Viele Mediziner stünden auch jetzt schon vor diesem Problem.
Hausarzt: Junge Generation sensibilisiert für das Problem
So wie Stefan Bösner. Neben seiner Tätigkeit als Hausarzt ist er Professor an der Uni Marburg mit Schwerpunkt Globale Gesundheit. In dieser Funktion hat er auch die Schirmherrschaft für das Seminar von Health For Future in Marburg übernommen, sodass sich die Teilnehmenden dafür Punkte im Studium anrechnen lassen können.
Der Arzt ist überzeugt: Der Klimawandel und seine gesundheitlichen Folgen sollten in Zukunft nicht nur auf freiwilliger Basis, sondern fest in die medizinische Ausbildung verankert werden. "Aber das wird kommen, darüber wird gerade diskutiert", meint er. Das Thema sei inzwischen angekommen in der Medizin - auch, weil die junge Generation so stark dafür sensibilisiert.
Sendung: hr4, 25.11.22, 15.30 Uhr
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