Neues Modell am Klinikum Bad Hersfeld Mit Wunsch-Arbeitszeiten gegen den Pflegekräfte-Mangel
Nur arbeiten, wann und so viel man möchte: Damit will das Klinikum Bad Hersfeld um Pflegefachkräfte werben. Das familienfreundliche Flex-Modell soll die Belastung der Mitarbeiter reduzieren.
Viel Stress und das ständige Einspringen für kranke Kollegen und Kolleginnen gehörten für Sabrina Köhler jahrelang einfach dazu. Ebenso wie der Schichtdienst: Mal früh, mal spät, mal nachts arbeiten. Für die Familie blieb da kaum noch Zeit und Energie, erzählt die Krankenpflegerin, die seit 25 Jahren im Klinikum Bad Hersfeld arbeitet.
"Diese Anrufe: 'Komm her, wir brauchen dich!' Und dann lässt man am einzigen freien Tag noch alles stehen und liegen und rennt an die Arbeit", erzählt Köhler. Irgendwann spielt auch ihre Gesundheit da nicht mehr mit. Diagnose: chronische Schmerzerkrankung, durch Stress getriggert.
Diese und ähnliche Belastungen sind in Köhlers Beruf eher die Regel als die Ausnahme. "Die Arbeitsbelastung ist unglaublich hoch geworden, auch pandemiebedingt", bestätigt Sascha Sandow, der Kaufmännische Direktor des Klinikums. Zusätzlich fehlen Pflegekräfte, das sei auch in Bad Hersfeld spürbar, so wie überall. "Die Frage ist nicht, wie viele Betten haben wir in den Krankenhäusern, sondern wie viele können wir bepflegen."
Pflegekräfte entlasten - und neue finden
Das Klinikum will gegensteuern - und gleich zwei gravierenden Problemen begegnen. Zum einen sollen aktuelle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen entlastet werden. Zum anderen will man ausgebildete Pflegekräfte motivieren, am Klinikum anzufangen - oder wieder einzusteigen, zum Beispiel nach der Elternzeit. Eine Lösung dafür hat das Klinikum in den Niederlanden gefunden: Flexible Arbeitszeiten, die sich nach den individuellen Wünschen der Mitarbeiter richten. "Wir haben gesehen, in Holland ist das weit verbreitet. Dort kann man es sich gar nicht mehr anders vorstellen", erklärt Sandow. Warum sollte es nicht auch in Bad Hersfeld funktionieren?, so die Überlegung.
Nun ist das Projekt gestartet. Sandra Köhler ist eine der ersten, die das Modell ausprobiert. Fünf Stunden arbeitet sie täglich, erst eine Woche im Frühdienst, dann eine Woche im Spätdienst. Nachtdienste macht sie keine mehr. Für sie ist die Möglichkeit schon jetzt ein Gewinn. "Seitdem geht es mir wesentlich besser, ich habe verkürzte Zeiten und mehr Ruhephasen." Auch bei der Familie kommt das gut an: "Mein Kind hat sich riesig gefreut, dass die Mama nicht abends bis um 10 Uhr arbeitet, sondern zum Abendbrot zu Hause ist."
Arbeiten, wann man möchte
Köhler ist nun Teil des neuen sogenannten Flex-Pools. Diese Mitarbeiter sind in der Wahl ihrer Arbeitszeiten komplett frei, wie Flex-Pool-Leiterin Maike Henning erklärt. "Wenn eine Pflegekraft beispielsweise von 8 bis 10 Uhr arbeiten kann oder auch von 8 bis 12, dann arbeitet sie auch nur in dieser Zeit." Der Lohn ist derselbe wie bei klassischen Mitarbeitern. "Das einzige, was wir vorgeben, ist, wo die Pflegekraft arbeitet".
Denn die Flex-Mitarbeiter werden spontan je nach Bedarf auf verschiedensten Stationen eingesetzt - zum Beispiel, wenn dort wegen Krankheitsfällen oder Urlaub Engpässe herrschen.
Das Modell soll im Endeffekt alle entlasten. Denn die Stationen müssen die Ausfälle so nicht mehr allein auffangen. Ständiges Einspringen an freien Tagen, wie Sandra Köhler es über lange Zeit erlebt hat, soll somit wegfallen. Und für das Unternehmen hofft der Kaufmännische Direktor Sandow auf eine gesicherte Pflegeversorgung.
Modell mit Grenzen und Risiken
Schnelle Erfolge sollte man allerdings nicht erwarten, sagt Thomas Busse von der Frankfurt University of Applied Science. Diese Modelle müssten erst mal umgesetzt werden, so der Experte für Gesundheitsmanagement - und zuerst beanspruchten sie immer mehr Personal. "Wenn ein Krankenhaus sowieso auf der letzten Rille läuft, was das Personal angeht, dann werden sie oft Probleme haben."
Dennoch sieht er im Angebot flexibler Arbeitszeiten einen klaren Vorteil. "Es gibt unterschiedliche Aussagen, aber wir gehen davon aus, dass eine Pflegekraft durchschnittlich sechs bis elf Jahre im Beruf ist. Sie könnte aber 40 Jahre im Beruf sein." Sein Fazit: "Da schwirren draußen Pflegekräfte rum, die man wieder einfangen könnte, die aber nicht zurückkommen, weil die Arbeitszeiten nicht attraktiv sind." Mit dem Flex-Modell könnte man sie gewinnen.
Ganz neu ist die Idee nicht, sagt Busse. Und sie berge auch Risiken, wenn das Modell nicht konsequent und gut umgesetzt ist. "Wenn ich mit solchen Modellen Personal anlocken will, dann müssen die Modelle auch funktionieren." Die Kultur müsse stimmen, sonst seien die Mitarbeiter schnell wieder weg und der Schaden größer als vorher.
Ziel: 50 Flex-Mitarbeiter
Personal anlocken und halten möchte auch das Klinikum in Bad Hersfeld. Noch arbeiten nur wenige Pflegekräfte im Flex-Pool, neue sollen rekrutiert werden. Das Ziel: Von insgesamt 700 Mitarbeitenden in der Pflege sollen etwa 50 ihre Arbeitszeiten flexibel wählen können.
Nicht für jeden ist dieses Modell das richtige: Man muss sich auf vielen Stationen einarbeiten, wird spontan eingesetzt und hat kein festes Team. Für Pflegekräfte mit Kind oder pflegedürftigen Angehörigen verspricht es aber eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Alltag. Krankenpflegerin Sandra Köhler ist froh über die Möglichkeit.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 23.11.2022
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