Hört auf mit dem Gerede von der Spaltung!

Was hält uns in Hessen zusammen? Während viele sich vor gesellschaftlicher Spaltung fürchten, denkt hr-Redakteurin Hadija Haruna-Oelker über das Verbindende nach. Das Ziel: trotz aller Konflikte miteinander im Gespräch bleiben!

Menschen von der Seite fotografiert, die nebeneinander sitzen und miteinander reden.
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Überall Krise, schlechte Nachrichten und digitaler Stress. Dazu das ständige Gerede über Spaltung. Wegen Klimakrise, Pandemie, Identitätspolitik, Politikverdrossenheit. Da ist die Angst vor dem Verfall unseres Zusammenhalts, auf Twitter finden sich unter #Spaltung tausende Tweets darüber. Apropos Twitter. Dort schürt die Übernahme von Unternehmer Elon Musk weitere Sorgen vor Destabilisierung. All das ist ein guter Grund, warum die Öffentlich-Rechtlichen in der laufenden ARD-Themenwoche auf die Suche nach Zusammenhalt in der Gesellschaft gehen. Und darum zuallererst der Appell: Weg mit dem Spaltungsbegriff!

Porträtfoto von Hadija Haruna-Oelker nah neben Schriftzug Meinung
Hadija Haruna-Oelker Bild © hessenschau.de

Warum? Spaltung ist ein aufgeladenes Wort. Ein Schlagwort und eine Massendiagnose, die wenig zum Verständnis beiträgt, weil damit viel zu viel umrissen wird. "Spaltung der Gesellschaft ist eigentlich nur noch eine Metapher für 'Geht nicht nach meiner Nase'", twitterte kürzlich der Autor Friedemann Karig. Das passt gut, weil unter dieser Überschrift nicht differenziert über bestimmte Probleme, sondern im Gegenteil weniger darüber gesprochen werden muss.

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So kann unter dem Spaltungsnarrativ ganz wunderbar aneinander vorbei geredet und in Pro-und-Contra-Arenen online wie offline verharrt werden. Spaltung ist die ultimative Drohung vor einer Situation, die keiner will, die aber ständig heraufbeschworen wird. Mit ihr wird Aussagen ein größeres Gewicht verliehen. Sie ist Mittel, um politischen Druck aufzubauen. Und sie kommt meistens mit negativen Zuschreibungen daher.

Konstruktiver Streit fehlt

Nehmen wir zum Beispiel die Begriffe Problemviertel und Sozialer Brennpunkt. Sie zeichnen ein homogenes Bild benachteiligter Menschen, wobei die Realität in diesen Vierteln komplexer ist. Weil in Stadtteilen wie der Nordstadt in Kassel oder Kranichstein in Darmstadt Menschen ganz unterschiedlicher sozialer Milieus und Hintergründe leben. Diese Orte sind vielfältig, sie haben sich über die Jahre verändert. Es geht dort nicht banal um Spaltung, wobei sich fragen ließe, wer eigentlich von wem getrennt wird. Es geht vor allem um soziale Klassen, Zugänge und die Folgen städtischer Planungspolitik. Es geht darum, warum Stadtviertel mit wohlhabenden Einwohnern meistens homogen sind oder anders formuliert: warum gut situierte Menschen überall leben könnten, aber arme nur an bestimmten Orten.

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ARD-Themenwoche

Nahaufnahme, mehrere Hände treffen sich, resp. halten sich
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Wie können wir zum Zusammenhalt in der Gesellschaft beitragen? Die ARD-Themenwoche beschäftigt sich bis 12. November mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und zeigt Konflikte und Lösungswege auf. Im Mittelpunkt stehen Menschen, die sich mit ihren Projekten aktiv für ein besseres Miteinander engagieren.

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Der Spaltungsbegriff ist übrigens nicht der einzige, der mehr der Stimmungsmache als der Faktenbeschreibung dient. Es ist paradox, dass so viele Menschen kritisieren, dass das Gespräch mit Andersdenkenden (und damit meine ich keine Menschenfeinde) nicht mehr möglich ist - denn das verhindert einen konstruktiven Streit. Und der fehlt an den meisten Stellen. Auch das, was wir in Talkshows sehen, ist das Gegenteil von aushandeln.

Das Treiben anti-demokratischer Kräfte

So kommt es, dass diejenigen, die anderen vorwerfen zu spalten, meistens selbst genauso diskurs-einschränkend agieren. Die Frage ist also, wer sich des Vorwurfs der Spaltung bedient und aus welchem Grund. Deshalb ist damit zu argumentieren nicht nur zu einfach bis nervig. Ich finde es auch gefährlich, weil es unsere Wahrnehmung von relevanten Zusammenhängen und Hintergünden verschiebt.

Zum Beispiel die Tatsache, dass anti-demokratische Kräfte daran arbeiten, das Trugbild eines gespaltenen Landes real werden zu lassen. Ich möchte nicht wegreden, dass die Zeiten problematisch sind und dass wir über viele gleichzeitige Krisen, Missverständnisse und unser Unwissen von- und übereinander sprechen sollten. Aber für diese Pluralität brauchen wir ein besseres Handwerk und mehr Empathie.

Wir brauchen mehr Verbindungspolitik

Wir brauchen Gemeinsinn - eine für Wissenschaftsredakteur Ulrich Schnabel, dem Autor von "Zusammen - wie wir gemeinsam globale Krisen bewältigen", eine in uns allen angelegte, aber oft vergessene Tugend. Sie bräuchte einen politischen Rahmen, um sie zu stärken. Wer seine Mitmenschen eher für solidarisch halte, sei auch eher zur Solidarität bereit, findet er.

Und damit halten wir fest: Weil Menschen sich weniger an ihren Überzeugungen, sondern vor allem am angenommenen Mehrheitsverhalten orientieren, brauchen wir weniger Spaltungs-, sondern mehr Verbindungspolitik.

Die Dinge anders als üblich deuten

Als Befürworterin eines konstruktiven Journalismus bin auch ich an einem Für interessiert: für eine wehrhaft-demokratische Gesellschaft. Es ist ein Ansatz, der auf lösungsorientierten statt konfliktbasierter Berichterstattung setzt, weil die meisten Menschen eben keine Forschungsberichte, sondern Schlagzeilen lesen. Darum wünsche ich mir nicht nur einen achtsameren Umgang miteinander, sondern auch mit Begriffen. Und dafür sind wir alle verantwortlich.

Wie wäre es also, wenn es hakt, den Blick einmal um 180 Grad zu wenden und die Dinge anders als üblich zu deuten? Wenn es beispielsweise unter dem Schlagwort Identitätspolitik wieder um die Alltäglichkeiten unseres Zusammenlebens ginge, beispielsweise über eine anerkennende Sprache, diskriminierungssensible Kinderbücher oder Faschingskostüme gestritten wird. Eine Möglichkeit wäre, in ihnen nichts Spaltendes zu sehen, sondern die mit ihnen verbundenen menschenrechtlichen Anliegen marginalisierter Menschen und den historischen Kontext dahinter wirklich verstehen zu wollen. Die Angst vor Fehlern, Scham und Schuld beiseite zu lassen.

Wie schön wären weniger Filterblasen-Talks, Entschuldigungen als PR-Strategie, Cancel-Culture-Gefühle und dafür mehr Consequence-Culture-Gespräche. Gemeint ist ein Austausch, der sich mit den Konsequenzen bestimmter Handlungen beschäftigt. Es würde bedeuten, sich nicht vor Einschränkung zu fürchten, sondern auf neue Erkenntnisse zu freuen. Sicher, auch das wird anstrengend sein. Aber am Ende springt für uns alle mehr - und vor allem keine Spaltung - heraus.

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Quelle: hessenschau.de