Post-Vac-Betroffene Krank nach Corona-Impfung: Warum offizielle Anlaufstellen nötig sind
Rund fünf Millionen Menschen in Hessen haben sich gegen Corona impfen lassen. Einige sind an der Impfung schwer erkrankt. Betroffene scheitern oft bei ihrer Suche nach medizinischer Expertise. Sie fühlen sich vom Gesundheitssystem und dem Staat allein gelassen.
Am Anfang glaubten ihr weder die Ärzte noch ihr Mann. Dorina Vanka aus Biblis (Bergstraße) erkrankte drei Tage nach ihrer zweiten Corona-Impfung am 27. November 2021 - und noch immer ist sie nicht gesund. Die heute 27-jährige Hausfrau und Mutter zweier Kleinkinder ist seither maximal zwei Stunden am Tag belastbar. Viele Aufgaben im Haushalt und der Kinderbetreuung übernimmt ihr Mann, der als Selbstständiger arbeitet und versucht, so oft wie möglich zu Hause zu sein.
Fast täglich kamen neue Symptome hinzu. Atemnot, Herzstechen, Lähmungserscheinungen, Kribbeln in den Händen, Schwindel, Sehstörungen, extreme Kopfschmerzen, Müdigkeit, Übelkeit, Magenschmerzen. "Als es immer schlimmer wurde, war ich teilweise täglich in der Notaufnahme."
Die Zusammenbrüche häuften sich. Ärzte wiesen sie ab, unterstellten eine psychische Erkrankung. "Wenn ich mehr als einmal in einer Notaufnahme aufgetaucht bin, wollte niemand mehr etwas mit mir zu tun haben", erinnert sie sich. Dorina Vanka befürchtete, an einem Herzinfarkt zu sterben. Sie schrieb Abschiedsbriefe an ihre beiden kleinen Söhne.
"Wir waren bei mindestens 50 Ärzten"
Die Wende kam, als ein Radiologe eine akute, beidseitige Lungenembolie entdeckte. Seither nimmt sie Blutverdünner. Was die Embolie bei der bis dahin gesunden jungen Frau ausgelöst haben könnte, war erst einmal völlig unklar.
Unterstützt von ihrem Mann suchte sie nach Fachärzten. "Wir waren bei mindestens 50 Ärzten in ganz Deutschland, in Stuttgart, Berlin, Frankfurt, München - überall", zählt Vanka auf. Nach einem halben Jahr wurde sie bei einem Kardiologen in Heidelberg vorstellig.
Er war es, der ihre Symptome mit der Corona-Impfung in Zusammenhang brachte und sie nach Marburg an eine bundesweit einmalige Einrichtung überwies. Dort betreut ein Team der Uniklinik in einer interdisziplinären Post-Covid-Ambulanz auch Menschen, die nach der Impfung gesundheitliche Probleme bekommen haben. Die dortige Diagnose für Dorina Vanka: Post-Vac-Syndrom.
Der Leidensweg von Vanka ist typisch für viele der Patienten, die sich an die Ambulanz in Marburg wenden. "Wir haben ein Akzeptanzproblem und wir haben ein Steuerungsproblem", so die Ansicht von Klinikdirektor Professor Bernhard Schieffer.
Zum einem würden viele Ärzte immer noch daran zweifeln, dass der Corona-Impfstoff Nebenwirkungen haben könnte, "weil es mal hieß, er sei nebenwirkungsfrei". Betroffene müssten sich deshalb auf eine lange Suche begeben, bis sie jemand erst nehme.
Zum anderen mache jeder Neurologe, Kardiologen oder Immunologen quasi "sein eigenes Ding, lässt seine fachspezifische Diagnostik laufen". Das löse unwahrscheinliche Kosten für das Gesundheitssystem aus und bringe den Patienten oft nichts. Auch, weil es keine Schwerpunkt-Zentren gebe, die Wissen bündeln und es an Forschung, Kompetenz, Diagnostik und Wissen um die richtige Behandlung fehle.
"Wir dürfen diese Menschen nicht alleine lassen"
Die Corona-Impfung an sich stellt Schieffer nicht in Frage: "Sie war das Einzige, was wir gegen diese Pandemie hatten, und sie funktionierte zum damaligen Zeitpunkt." Aber man dürfe die mit der Impfung erkrankten Menschen, "die sich aus Loyalität für uns und für unsere Eltern-Generation haben impfen lassen, nicht allein lassen" und sie politischen Strömungen überlassen, die sich dieser Patienten bedienten.
Die Sprechstunde in Marburg ist mittlerweile völlig überlastet und für Post-Vac- und Long-Covid-Patienten bis nächstes Jahr komplett ausgebucht. Über 6.500 Patienten stehen auf der Warteliste. Bei 500 von 600 Patienten habe sich der Post-Vac-Verdacht bestätigt.
Weiter auf der Suche nach der richtigen Behandlungsmethode
Doch was bringt den Betroffenen die Diagnose? Dorina Vanka hat in der Ambulanz in Marburg Medikamente verschrieben bekommen, die ihren Blutdruck und ihr Herzkreislaufsystem stabilisieren sollen. In ihrem Blut fanden sich Nachweise von Mikrothrombosen, kleine Blutgerinnsel, die Blutgefäße verschließen können.
Weil es ihr weiterhin schlecht geht, versucht sie, sich auch Hilfe aus Internet-Foren und Büchern zu holen. 50.000 Euro hat sie bisher für unterschiedliche Behandlungsmethoden wie Blutwäsche und Sauerstoff-Therapie aus eigener Tasche bezahlt. Wahrnehmbare Erfolge brachte bisher keine dieser Methoden.
"Eine wissenschaftliche Patt-Situation"
Nun hat Vanka sich einen Anwalt genommen und überlegt, Biontech zu verklagen. Das erweist sich als schwierig. Die Impfhersteller wurden damals im Rahmen der EU-Verträge weitestgehend von der Haftung befreit. Die Haftung liegt nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) beim deutschen Staat, den Ländern und den Krankenkassen.
Doch auch der dafür nötige Nachweis einer Impfschädigung ist schwierig. "Wir haben in der Bundesrepublik eine intellektuelle und wissenschaftliche Patt-Situation", so Schieffer. So müssten Patienten für mögliche Entschädigungen nachweisen, dass sie einen Impfschaden haben.
Doch es fehle grundsätzlich eine wissenschaftlich akkurate und aktuelle Aufarbeitung, die die wesentlichen Fragen beantworte: "Was ist ein Impfschaden? Wie können wir ihn diagnostizieren? Wie wird er dokumentiert?"
Das betreffe auch die Unfallversicherungen, Beihilfen, Rentenversicherungen, wo viele der Betroffenen Ansprüche stellen. Er frage sich, auf welcher Grundlage die dortigen Experten ihre Entscheidungen treffen. Die bisher angewandten Kriterien stellt er in Frage.
Arzt wünscht sich eine "Task-Force des Bundes"
Diesen "gordischen Knoten" könne man nur lösen, indem man Zentren bilde, so Schieffer. "Mit einer Art Task-Force des Bundes, mit einer Handvoll Experten, die diese Kriterien und eine Diagnostik erarbeiten, der sich jeder stellen muss."
Für Hessen könnte das zum Beispiel bedeuten, die drei hessischen Universitätskliniken virtuell zusammenzuführen, um an Post-Vac und Long-Covid zu forschen. Aber es brauche von Seiten des Bundes auch eine konsequente finanzielle Unterstützung für die Grundlagen-Forschung und fachkompetente Unterstützung für die klinische Versorgung.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte vor einigen Wochen erstmals die Existenz von Corona-Impfschäden eingeräumt und entsprechende Hilfe angekündigt. Unter anderem wolle er ein Programm auflegen, das die Folgen von Long Covid und Post-Vac untersuchen und auch die Versorgung verbessern soll.
Auf eine hr-Nachfrage zu Details der angekündigten Hilfe gab es bis heute keine Antwort von Seiten des Bundesgesundheitsministeriums.
Auch Dorina Vanka wünscht sich eine bessere Versorgung der Patienten, gebündelte Forschung, finanzielle Hilfen, offizielle Anlaufstellen - damit sie eine Chance habe, wieder gesund zu werden. "Es ist extrem wichtig für uns alle, dass es weitergeht."
Zwei kranke Kinder ohne Kinderarzt
Auf offizielle Anlaufstellen und mehr Hilfe von Politik, Forschung und Medizin hofft auch die Familie Kalenbach in Frankfurt (Name von der Redaktion geändert - zum Schutz der minderjährigen Kinder möchten die Eltern ihre Namen nicht veröffentlichen). Nicht zuletzt deshalb, weil sie inzwischen infolge ihrer Probleme keinen Kinderarzt für ihre zwei betroffenen Kinder mehr hat.
Noch nicht einmal mehr für die normalen Kinderkrankheiten. "Die Behandlungen und Überweisungen sind den Kinderärzten zu teuer geworden", wie der Vater erzählt. Nun werden die Kinder über den Hausarzt des Vaters mitbetreut - aber der Arzt geht bald in Rente. "Wie es dann weitergehen soll, wissen wir nicht."
Beide Kinder erkrankten zeitlich versetzt zueinander, aber kurz nach ihren jeweiligen Biontech-Impfungen. "Unsere Kinder haben fast identisch das Gleiche entwickelt", beschreibt die Mutter. Dabei war das Ziel der Familie ursprünglich gewesen, sich zum Schutz der heute zwölfjährigen Tochter zu impfen, die eine Vorerkrankung der Atemwege hat. "Wir hatten wie alle auf die Impfung gewartet und darum gekämpft", erinnert sich die Mutter.
Sohn seit einem Jahr krankgeschrieben
Während die Tochter nach einem halben Jahr Krankheit jetzt trotz diverser Schübe zumindest mühsam wieder die Schule besuchen kann, ist der 16-jährige Sohn seit einem Jahr dauerhaft krankgeschrieben. Mittlerweile kann er das Bett kaum noch verlassen. Die Mutter pausiert inzwischen dauerhaft von ihrer Arbeit, um sich um die Kinder zu kümmern.
Die ersten Anzeichen waren geschwollene, schmerzempfindliche rote Hände und Füße. Weil die Ärzte das als unbedenklich einstuften, bekamen die Kinder noch eine Zweitimpfung, mit der die Symptome noch schlimmer wurden. Röte und Schmerzempfindlichkeit breiteten sich bei beiden Kindern über den ganzen Körper aus.
Dazu kamen unerträgliche Bauch- und Kopfschmerzen, Schlafstörungen, geringe Belastbarkeit, Gelenkschmerzen, Krampfanfälle, benebeltes Bewusstsein. "Meine Tochter hat eines Nachts zu mir gesagt, ich ertrage es nicht mehr", sagt die Mutter. Die Tochter habe gesagt, dass sie so nicht mehr leben wolle.
Schwere allergische Reaktion nach Immuntherapie
Nach einer langen Ärzte-Odyssee mit mehr als sieben Krankenhausaufenthalten beider Kinder und unterschiedlichsten Diagnosen - einmal wurde dem Sohn sogar ein demenzähnlicher Zustand diagnostiziert - machen die Kinder mittlerweile diversen Therapien auf Eigenkosten. Über 10.000 Euro haben die Eltern dafür bereits gezahlt.
In der Wohnung befindet sich mittlerweile ein wahres Medikamentenarsenal. Neben Nahrungsergänzungsmitteln, Vitaminen und Schmerzmitteln auch antiallergische und entzündungshemmende Substanzen sowie ein Medikament, das bei Long Covid eingesetzt wird.
Die Tochter bekam Blutwäschen, die zumindest vorübergehend Besserung brachten. Der Sohn begann - als einzige ärztliche vorgeschlagene Therapiemaßnahme - eine Immuntherapie mit Gammaglobulinen aus Spenderplasma. Auf die reagierte er zum Entsetzen der Eltern mit einem anaphylaktische Schock, einer schweren, allergischen Reaktion.
Nun stehen die Eltern erneut vor der Frage, wie es weitergehen soll. Unkalkulierbare Risiken bei Therapieversuchen sind ein Problem vieler Betroffener, wie der Marburger Klinikdirektor Schieffer weiß. Dazu kommt: "Wir sehen sehr häufig die Nebenwirkungen der Eigentherapien, weil die Patienten so hilflos sind, sich allein gelassen fühlen und bei ihren Ärzten kein Gehör finden."
Viele würden sich deswegen im Internet miteinander besprechen und Tipps geben, "in völliger Unkenntnis der gegenseitigen Befunde". Das funktioniere oft nicht. Auch die Blutwäsche sieht der Arzt kritisch. "Weil sie in den seltensten Fällen von Erfolg gekrönt ist und sie die Menschen ein wahnsinniges Geld kostet."
Trotzdem werde sie von vielen Betroffenen vor lauter Verzweiflung durchgeführt. Erst jetzt laufe in Berlin eine Studie zur Blutwäsche an unter Förderung des Bundes. Bevor es dort keine konkreten Ergebnisse gibt, rät Schieffer von der Blutwäsche ab.
Doch weil die Ambulanz in Marburg keine Kinder behandelt und keine andere Expertise greifbar ist, bleibt den Eltern Kalenbach nichts anderes übrig, als selbst Entscheidungen zu treffen. "Unser größter Wunsch ist, dass unsere Kinder wieder gesund sind und in ihr Leben zurück können", betont die Mutter.
Sendung: hr-fernsehen, maintower, 06.04.2023, 18 Uhr
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