Krise im Rettungsdienst Warum Notfallsanitäter schon als Azubis ans Aufhören denken

Zeitdruck, hohe Verantwortung, Schichtarbeit: Der Job als Notfallsanitäter ist fordernd. Zwar steigt die Zahl der Auszubildenden, an ein Durchhalten bis zur Rente glauben aber die wenigsten.

Ein Auszubildender zum Notfallsanitäter, überprüft in einem für das Telenotarztsystem ausgestattetem Rettungswagen des DRK-Kreisverbands Gelnhausen-Schlüchtern die Medikamenten-Ampullen.
Die Ausbildung zum Notfallsanitäter dauert drei Jahre. Bis zur Rente bleiben die wenigsten. Bild © picture-alliance/dpa

Der Patient ist nicht ansprechbar. Über Mund und Nase sitzt eine Sauerstoffmaske, der Oximeter an der Fingerspitze liefert Puls und Sauerstoffsättigung. Notfallsanitäter Johann Hecht fordert mit dem Funkgerät einen Notarzt an.  

Es muss schnell gehen, denn der Patient ist deutlich unterkühlt. Für die weitere Untersuchung wird er in den Rettungswagen gebracht. Was nach einem dramatischen Einsatz klingt, ist eine Simulation für einen Azubi-Jahrgang im dritten Lehrjahr an der Hildegard-Vötterle-Schule in Kassel. 

Auf der Rettungsdienstschule unter der Trägerschaft des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) lernen die Auszubildenden alles, was sie für ihren Job brauchen. Nach der Übung wird der Fall mit Notarzt, einem Dozenten und dem ganzen Kurs nachbesprochen.

Videobeitrag

"Notruf Nachwuchs – Sind wir noch zu retten?", Teil 2

hs 08.04.2025
Bild © hessenschau.de
Ende des Videobeitrags

Ausbildung in Kliniken und im Rettungswagen 

Die Ausbildung als Notfallsanitäterin oder -sanitäter ist die höchste nicht-ärztliche Qualifikation im Rettungsdienst. Sie wurde erst 2014 bundesweit eingeführt. Drei Jahre dauert es bis zum Abschluss. Zur Ausbildung gehört die Arbeit in Kliniken und auf dem Rettungswagen. Die Voraussetzung für eine Lehrstelle ist ein mittlerer Bildungsabschluss.

Die Auszubildenden werden auf Notfälle getrimmt und tragen eine hohe Verantwortung. Denn schon ab dem zweiten Lehrjahr fahren sie als nahezu vollwertiges Besatzungsmitglied auf dem Rettungswagen mit - gemeinsam mit einem vollausgebildeten Notfallsanitäter.

Das Einstiegsgehalt für den Job liegt monatlich bei 2.500 bis 3.100 Euro brutto. Im Vergleich zu anderen medizinischen Ausbildungen sei das viel, sagt Frank Kaiser, der Leiter der Schule. Rund 4.000 Euro sind nach Abschluss der Lehrjahre drin.

Dennoch wollen viele Notfallsanitäter vor dem Renteneintritt aussteigen. Laut einer Umfrage der Gewerkschaft Verdi aus dem Jahr 2022 gehen 84 Prozent davon aus, ihren Job nicht bis zur Rente ausüben zu können.

Immer mehr unter Druck

Rettungskräfte sind hohen Belastungen ausgesetzt: Immer mehr Einsätze, zu wenig Personal, keine oder zu kurze Pausen - außerdem ist die Arbeit körperlich sehr anstrengend. Dazu kommen weitere Risikofaktoren: Im Jahr 2023 erlebten bundesweit 2.902 Mitarbeitende im Rettungsdienst Gewalt. Das ist ein Plus von acht Prozent im Vergleich zu 2022.

Immer häufiger wird der Rettungsdienst zudem zu weniger dringlichen Einsätzen gerufen. 2024 hatte Hessens Gesundheitsministerin Diana Stolz (CDU) neue Leitlinien vorgestellt, um die steigenden Einsatzzahlen besser zu bewältigen. Künftig verstärken spezielle Notfall-Krankentransportwagen die Flotte der Notfallversorgung. Sie übernehmen Einsätze, bei denen keine Lebensgefahr besteht. Dadurch sollen Rettungswagen mehr Kapazitäten für Notfälle haben. 

Dabei schwanken die Einsatzzahlen, wie eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums auf hr-Anfrage mitteilte. 2023 gab es mit insgesamt 1.324.529 Einsätzen etwa 38.000 weniger als 2022. Davor waren die Zahlen bis zum Corona-Jahr 2020 angestiegen.

Externer Inhalt

Externen Inhalt von Datawrapper (Datengrafik) anzeigen?

An dieser Stelle befindet sich ein von unserer Redaktion empfohlener Inhalt von Datawrapper (Datengrafik). Beim Laden des Inhalts werden Daten an den Anbieter und ggf. weitere Dritte übertragen. Nähere Informationen erhalten Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Ende des externen Inhalts

Der sogenannte Rettungsdienstplan der Landesregierung sieht außerdem mehr Ausbildungsplätze für Notfallsanitäterinnen und -sanitäter vor. Mit 676 genehmigten Plätzen gab es zuletzt im Vergleich zu 2022 eine Erhöhung um 37,4 Prozent. Das zeigt sich bei Rettungsdiensten wie dem DRK und den Maltesern. Hier hat man deutlich aufgestockt. Bei den Maltesern waren es 2021 nur 89 Auszubildende in Hessen, aktuell sind es mit 143 fast doppelt so viele.

Trotz allem zeichne sich wie in allen Gesundheitsberufen ein Fachkräftemangel ab, so eine DRK-Sprecherin. Man trete dem bereits "seit Jahren durch die Schaffung zusätzlicher Ausbildungskapazitäten stark entgegen", teilte sie mit.

Hilfsfrist kann nicht überall eingehalten werden

Die Teams stehen bei jedem Einsatz unter Zeitdruck. Innerhalb von zehn Minuten - der sogenannten Hilfsfrist - soll ein Rettungswagen vor Ort sein. Die Hilfsfrist beinhaltet drei Abschnitte: die Zeit für Gespräch und Disponierung in der Leistelle, das Ausrücken und die Anfahrt.

Doch die Vorgabe kann nicht in allen Landkreisen eingehalten werden, wie eine Auswertung des Gesundheitsministeriums zeigt. Den besten Wert erzielt die Stadt Darmstadt, Schlusslicht ist der Schwalm-Eder-Kreis. Mit knapp 30 Prozent schaffte es etwa ein Drittel der alarmierten Rettungswagen nicht in der vorgegebenen Frist.

Externer Inhalt

Externen Inhalt von Datawrapper (Datengrafik) anzeigen?

An dieser Stelle befindet sich ein von unserer Redaktion empfohlener Inhalt von Datawrapper (Datengrafik). Beim Laden des Inhalts werden Daten an den Anbieter und ggf. weitere Dritte übertragen. Nähere Informationen erhalten Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Ende des externen Inhalts

In der Zentralleitstelle Schwalm-Eder ist die steigende Belastung spürbar. Einsatzsachbearbeiter Helge Stuhlmann führt das auch auf den unzureichenden ärztlichen Bereitschaftsdienst zurück, wodurch viele Patienten durchs Raster fielen. Diese landeten dann in ihrer Not in der Leitstelle, die ein Fahrzeug rausschicke, obwohl ein Besuch beim Arzt ausgereicht hätte. Schlussendlich schicke er den "RTW zum Hausbesuch", bilanziert Stuhlmann.

Azubi: Irgendwann umschulen

Notarzt Gerd Appel, der die Azubis an der Schule in Kassel betreut, fordert junge Kolleginnen und Kollegen auf, sich von den "momentan schwierigen Umgebungsbedingungen" nicht abschrecken zu lassen. Wenn man einem von zehn Patienten am Tag wirklich helfen könne, "dann hat sich das gelohnt". Ob Appel die Nachwuchskräfte damit überzeugen kann, ist ungewiss.

Ein junger Mann trägt die Kleidung eines Notfallsanitäters.
40 Jahre Rettungsdienst - nein, sagt Notfallsanitäter-Azubi Johann Hecht. Bild © Tobias Winge (hr)

Azubi Paul Mergner macht seinen Job gern - doch bis zur Rente in Vollzeit zu bleiben, ist für ihn undenkbar. "Ich werde meinem Anspruch, die Patienten zu versorgen, nicht mehr gerecht", berichtet er. Die Qualität der Behandlung und die Kommunikation mit den Patienten lasse nach dem zehnten Einsatz nach, so der angehende Notfallsanitäter. Seine Konsequenz: irgendwann umschulen.

Auch Mergners Kollege Hecht glaubt nicht, dass er noch 40 Jahre seine Arbeitszeit in einem Rettungswagen verbringt. Der Job sei zu anstrengend - körperlich wie psychisch. Er will sich etwas anderes suchen - spätestens, wenn er merke, dass er Patienten schlechter behandele, "weil ich vom Beruf genervt bin".

Weitere Informationen

"Notruf Nachwuchs" - alle Folgen

"Notruf Nachwuchs" ist eine sechteilige hessenschau-Serie von Isabell Kramer und Tobias Winge. Alle Folgen finden Sie hier: Folge 1 / Folge 2 / Folge 3 / Folge 4.

Ende der weiteren Informationen

Redaktion: Stefanie Küster, Isabell Kramer und Tobias Winge

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de