Kritik an Migrationspolitik Dürfen die Kirchen der CDU die Leviten lesen?
Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein sagt, er könne nicht verstehen, warum die christlichen Kirchen die Migrationspläne der CDU kritisieren. Seine Partei trage doch das C im Namen. Brave Zurückhaltung also? Nein, sagen die evangelische Kirche und der katholische Caritasverband: Gerade jetzt sei es Zeit, den Mund aufzumachen.
In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom Montag sagte der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) einen bemerkenswerten Satz: "Ich kann nicht verstehen, warum sich die Kirchen überhaupt gegen die letzte verbliebene, sich klar zum Christentum bekennende politische Kraft aussprechen."
Rhein bezog sich auf die scharfe Kritik, die aus Teilen der Kirchen auf die CDU und deren Kanzlerkandidaten Friedrich Merz eingeprasselt war. Die Unionsfraktion im Bundestag hatte in der vergangenen Woche versucht, mit Stimmen der AfD eine verschärfte Migrationspolitik durchzudrücken.
Die evangelische Kirche mischt sich ein
Müssen sich die Kirchen mit ihrer Kritik im Bundestagswahlkampf zurückhalten, weil CDU und CSU als einzige Parteien das Bekenntnis zum Christentum schon im Namen tragen? Ist die Rolle der Kirche brave Zurückhaltung in einer Zeit, in der im Kampf um Wählerstimmen mit scharfer Rhetorik gefochten wird?
Dem widerspricht die neue Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Christiane Tietz: "Immer wieder sagen Menschen, die Kirchen dürften sich nicht politisch betätigen. Ihr Metier seien Fragen der Frömmigkeit und des Kultes", sagte sie dem hr. Aber das sei eben nicht alles.
Tietz: Den Staat an seine Aufgabe erinnern
Gott sei allen Menschen freundlich zugewandt, alle hätten die gleiche Würde. Und das bedeute, auch Einspruch zu erheben: "Wenn wir als evangelische Kirche diese Haltung in Politik und Gesellschaft in Gefahr sehen, melden wir uns zu Wort", sagte Tietz.
Es sei sogar Aufgabe der Kirche, den Staat an seine Aufgabe zu erinnern: "Die Würde der Menschen zu achten, für Recht, Gerechtigkeit sowie Frieden und Freiheit zu sorgen." Und wenn die Politik dann Kritik von der Kirche zu hören bekomme, sei das nicht parteipolitisch, auf Linie einer bestimmten Partei, sondern eine Erinnerung an die Grundwerte unseres Zusammenlebens, fügte sie hinzu.
Kirchen erinnern ans Grundgesetz
Dass Boris Rhein wirklich nicht versteht, warum die Kirchen an der CDU Kritik üben, ist unwahrscheinlich. Denn aus verschiedenen Ecken kam ruhige, aber in der Sache harte Kritik:
etwa die gemeinsame Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe in Berlin zusammen mit der Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Das "Zustrombegrenzungsgesetz", das CDU und CSU zur Abstimmung in den Bundestag einbrachten, sei in einer Zeit aufgeheizter öffentlicher Debatten der falsche Weg, heißt es darin. Detailliert wird dargestellt, warum die Vorschläge aus ihrer Sicht teils gegen das Grundgesetz verstoßen.
Der CDU/CSU-Vorstoß fand im Bundestag trotz Zustimmung der AfD am Ende keine Mehrheit, löste aber eine bundesweite Debatte und Demonstrationen aus.
"Einstehen für die menschenrechtliche Brandmauer"
Sehr deutlich geäußert hatten sich am Montag auch Sozialverbände der evangelischen und katholischen Kirche in einem Appell an die CDU, der insgesamt von 140 Organisationen unterzeichnet wurde - auch von vielen ohne konfessionellen Hintergrund.
"Einstehen für die menschenrechtliche Brandmauer" ist der Appell überschrieben und plädiert für eine humanitäre Flüchtlingspolitik und eine Entschärfung der Rhetorik im Wahlkampf.
Unterschrieben hat auch der Caritasverband für die Diözese Limburg. Direktor Karl Weber sagte dem hr mit Blick auf Rheins Unverständnis über die Kirchen-Kritik, es gehe nicht darum, "dass man sich gegenseitig in seinem jeweils besseren, überzeugteren Christsein überbietet".
Das Anliegen der 140 Unterzeichner sei eine Erinnerung, dass ein "Wir-gegen-die-anderen-Denken" im Wahlkampf womöglich mobilisiere, aber kein einziges reales Problem löse, sagte Weber. "Wir dürfen uns nicht auf dem Rücken der verletzlichsten Gruppen profilieren."
Weber: "Debatte in falsche Richtung abgebogen"
Die Debatte sei aufgeheizt, aktuell gebe es in der CDU eine Zuspitzung auf innere Sicherheit und Migration. Dieser einseitigen Zuspitzung wolle die Caritas widersprechen. "Die Debatte ist damit in eine falsche Richtung abgebogen, weil nun der Eindruck erweckt wird, mit der Bekämpfung der sogenannten irregulären Migration würde alles gut", sagte Weber.
Schwarz-weiß-Denken und einfache Lösungen für komplexe Probleme seien aber die falsche Antwort: "Wir brauchen keine einfachen, sondern angemessene Lösungen als Gesellschaft."
Und die aktuellen Probleme erlebten die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Caritas jeden Tag: in der Flüchtlingshilfe, bei der Beobachtung von Abschiebungen, in der Schwangerschaftskonfliktberatung und beim wachsenden Bedarf bei der Sozialberatung. Innere Sicherheit sei auch eine soziale Frage, sagte Weber, viele Menschen erlebten zur Zeit den Verlust sozialer Sicherheit.
Wie reagieren die Gläubigen?
Aber wie ergeht es nun den Gläubigen, wenn Teile der Kirchen und die CDU mal aneinandergeraten? Ministerpräsident Rhein sagte im FAZ-Interview, als praktizierender Katholik erlebe er, dass "sehr viele Gläubige verunsichert und verärgert" seien durch die Kritik aus den Reihen der Kirche.
Weber hat andere Erfahrungen gemacht: "Ich habe von Menschen gehört, die ausgetreten sind, von anderen, die in der CDU bleiben wollen und sagen: 'Jetzt müssen wir unserer Stimme erst recht mehr Gehör verschaffen.'."
Es gebe aber auch viele, die die scharfe Migrationspolitik der CDU gut finden. Mit denen würde er gerne ins Gespräch kommen über die Bedenken, die es an den Plänen gibt.
Bischof Bätzing schweigt dieses Mal
Aber auch innerhalb der katholischen Kirchen gibt es unterschiedliche Auffassungen: Der Limburger Bischof Georg Bätzing wollte sich auf hr-Anfrage nicht äußern zur Rolle von Kirche und Politik. Bätzing ist Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Dort wurde die kritische Stellungnahme aus dem eigenen Berliner Büro intern kritisiert.
Die Haltung der Bischofskonferenz ist, sich aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Rhein schlussfolgerte im FAZ-Interview, es sei richtig, dass die Bischofskonferenz zurückrudere, der Vorstoß sei intern nicht abgestimmt gewesen.
Unpolitisch ist jemand wie Bischof Bätzing trotz Zurückhaltung in Wahlkampfzeiten aber keinesfalls. Immer wieder rief er dazu auf, sich nicht in polarisierten Debatten gegeneinander aufzuwiegeln. Die Kirchen müssten bei Rufen nach verschärfter Flüchtlingspolitik auf einen menschenwürdigen Umgang pochen. Er mahnte auch zum "Aufstehen gegen die AfD".
Tietz: Demokratie ist mehr als Beschaffung von Mehrheiten
"Die Bibel ist zum Großteil eine Migrationsgeschichte", sagte EKHN-Kirchenpräsidentin Tietz. Es gehe viel darum, wie Menschen auf der Flucht in der Fremde gut oder schlecht behandelt werden.
"Als Christinnen und Christen sind wir angehalten, Menschen in Not zu helfen." Und gerade deswegen habe sie und die evangelische Kirche in den vergangenen Tagen so klar Position bezogen, erläuterte Tietz. In der Demokratie gehe es um mehr als nur die Beschaffung von Mehrheiten, "sondern auch um die Achtung der Menschenwürde und den Schutz von Menschenrechten".