Kundgebung in Büdingen Protest gegen Rechtsextremismus in einer rechten Hochburg
Am Freitag wurde auch in Büdingen gegen Rechtsextremismus und für Demokratie demonstriert. Keine leichte Aufgabe für die Organisatorinnen und Organisatoren - denn das Wetterau-Städtchen galt schon vor dem Aufschwung der AfD als rechte Hochburg.
In Büdingen beteiligten sich am Freitagabend nach Angaben der Polizei 500 bis 600 Menschen an der Kundgebung gegen Rechtsextremismus und für Demokratie. Die Veranstalter sprachen sogar von 800 bis 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Die Veranstaltung verlief ohne nennenswerte Vorkommnisse - trotz eines rechten Gegenprotests mit vier Teilnehmern.
Der folgende Text entstand vor der Demonstration:
Mit Prognosen ist Boris Winter derzeit eher zurückhaltend. Ob der Altstadtparkplatz im Schatten der historischen Stadtmauer von Büdingen (Wetterau) am Freitagabend voll werden wird oder nicht - wer kann das schon so genau sagen?
Angemeldet hat der Vorsitzende des Büdinger Bündnisses für Demokratie und Vielfalt erst mal nur 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Natürlich hoffen er und sein Verein auf mehr: "Aber aus der Erfahrung heraus muss man erst einmal tiefstapeln."
Protest gegen eine menschenverachtende Ideologie
Erfahrung mit Protesten gegen rechts hat man in der Wetteraugemeinde zur Genüge. Seien es Bundesparteitage der rechtsextremen NPD oder Auftritte von führenden Köpfen der AfD. Immer wieder haben zivilgesellschaftliche Organisationen - allen voran das 2016 gegründete Bündnis - Gegenproteste organisiert.
An diesem Freitag aber gibt es keine Veranstaltung, gegen die sich der Protest richtet. Büdingen will sich einreihen in die lange Liste von Städten, in denen in den vergangenen Wochen gegen Rechtsextremismus protestiert wurde. "Wir demonstrieren gegen eine Denkweise, gegen eine menschenverachtende Ideologie", betont Winter. Kein leichtes Unterfangen in einer Stadt, die sich den Ruf einer rechten Hochburg erworben hat.
AfD-Ergebnis deutlich über dem Landesschnitt
Denn dass die Wetterau-Gemeinde mit ihren knapp 21.000 Einwohnerinnen und Einwohnern in den vergangenen Jahren auffällig viele Veranstaltungen aus dem rechten Spektrum anzog, hat seinen Grund. Bereits vor den Erfolgen der AfD bei der jüngsten Landtagswahl sorgten zweistellige Ergebnisse der verfassungsfeindlichen NPD (inzwischen umbenannt in Die Heimat) bei der Kommunalwahl 2016 bundesweit für Aufsehen. Zeitweise stellten die Rechtsextremisten vier Stadtverordnete.
Inzwischen sieht das Bild etwas anders aus. Im Stadtparlament sitzt nur noch ein Mann von der NPD. Die AfD errang 2021 zwei Sitze, trennte sich jedoch schon kurz nach der Wahl vom Stadtverordneten Jochen Amann, weil dieser "Gedankengut und politische Vorstellungen offenbart" habe, die nicht mit den Werten der Partei übereinstimmten. Amann gehört dem Parlament weiter als Parteiloser an.
Doch die kommunalen Mandate spiegeln längst nicht mehr die politische Stimmungslage in Büdingen wider. Bei der Landtagswahl im Oktober 2023 lag die AfD mit 27,4 Prozent der Zweitstimmen noch einmal deutlich über dem Landesergebnis. Und auch abseits der institutionellen Politik ist der gesellschaftliche Rechtsruck spürbar.
Rechte Vernetzung in den Vereinen
"Die Rechten sind zum Beispiel extrem gut vernetzt in den Vereinen", sagt Dirk Hofmann, Beisitzer im Bündnis für Demokratie und Vielfalt. Ob Fußball oder Feuerwehr, überall finde man Wortführer, die ihre Klientel ansprechen und als Multiplikatoren für demokratiefeindliche Positionen fungieren. Seit der Corona-Pandemie habe sich das noch mal verstärkt. "Und wenn du dann was sagst, dann bist du halt linksversifft."
Hofmann ist nicht der einzige im Bündnis, der solche Erfahrungen gemacht hat. Auch Kassierer Christian Ulrich durfte sich schon unterstellen lassen, "von der Regierung bezahlt" zu werden. Dabei ist er parteipolitisch bei den Freien Wählern organisiert, die sich unlängst etwa dafür ausgesprochen haben, die in Büdingen ansässige Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge nach 2025 nicht weiter zu betreiben.
Was die Parteizugehörigkeiten angeht, ist das Bündnis für Demokratie und Vielfalt breit aufgestellt. Der erste Vorsitzende Boris Winter ist zugleich Chef der örtlichen SPD, der zweite Vorsitzende, Lothar Euler, CDU-Mitglied. Auf der einen Seite eine Garantie für eine gute Vernetzung vor Ort, auf der anderen Seite ein gefundenes Fressen für Rechte, die hinter den jüngsten Protesten einmal mehr eine Kampagne der "Systemparteien" vermuten.
AfD schaltet auf Angriff
Die Gegenreaktion hat entsprechend nicht lange auf sich warten lassen. In den Sozialen Medien schlägt dem Bündnis der geballte Hass rechter Kommentatoren entgegen. Der Ex-AfD Stadtverordnete Amann reagierte derweil mit einem "Bürgerbrief", den er nach eigenen Angaben in einer Auflage von 6.000 Stück drucken ließ. Darin stellt er das Bündnis als eine Initiative von "Parteifunktionären" dar, die mit Hilfe der lokalen Presse die "Zerstörung der Demokratie im Namen der Demokratie" betrieben.
Auch die örtliche AfD schaltet auf Angriff. In einer Pressemitteilung kritisiert der Kreistagsabgeordnete und Stadtverordnete Robert Wasiliew die Teilnahme der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion, kurz: Ditib. Der Moscheeverband steht wegen seiner Nähe zum autokratischen Erdogan-Regime und antisemitischer Tendenzen immer wieder in der Kritik. Teilnehmer der Kundgebung am Freitag beteiligten sich an der "Legitimierung von Demokratiefeinden".
Boris Winter nimmt diesen Vorwurf gelassen. Zwar sei Kritik am Ditib-Dachverband grundsätzlich nachvollziehbar, jedoch seien die Vertreter vor Ort den Organisatoren seit Jahren bekannt und riefen weder zu Spaltung noch zu Gewalt auf. "Wir freuen uns, dass sie Teil der Gesellschaft sein wollen."
Magistrat will geschlossen teilnehmen
Unterstützung erhält der Protest gegen rechts derweil aus dem Rathaus. Bürgermeister Benjamin Harris (CDU) hat seine Teilnahme angekündigt. Auch wenn die Stadt selbst nicht Veranstalter sei, wolle der gesamte Magistrat geschlossen teilnehmen, so Harris im Gespräch mit dem hr.
In der Stadt selbst ist derweil wenig von der Mobilisierung zu sehen. Nur in wenigen Schaufenstern prangt der Aufruf für Freitagabend. Das meiste laufe über Social Media, heißt es beim Bündnis - also ausgerechnet dort, wo den Organisatorinnen und Organisatoren der meiste Gegenwind entgegenschlägt. "Viele, die sich sonst zurückhalten, haben sich jetzt angesagt", lautet das optimistische Zwischenfazit von Schriftführerin Jasmin Landgraf-Euler.
Gegen die Front von Ablehnung und Gleichgültigkeit
Es werden wohl nicht die ganz großen Bilder sein, die am Freitag in Büdingen entstehen. Kein vor Menschen berstender Frankfurter Römer. Aber ein voller Altstadt-Parkplatz mit vielleicht tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern - das wäre schon was, meint Boris Winter. Ein Anfang zumindest.
"Wir haben eine breite Front", sagt der Bündnisvorsitzende, "aber man muss auch sehen, dass auf der anderen Seite auch eine breite Front steht. Eine Front aus Ablehnung und Gleichgültigkeit."
Sendung: hr1, 09.02.2024, 6.30 Uhr
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