Ein Opfer häuslicher Gewalt erzählt "Lass die Mama los, die stirbt!"

Denise J. wurde gedemütigt, geschlagen, am Ende brachte ihr Partner sie fast um. Doch nach Jahren der Gewalt konnte sie sich von ihm lösen - jetzt will sie anderen Betroffenen Hoffnung geben, indem sie ihre Geschichte erzählt.

Denise J
Kämpft für ein neues Leben: Denise J. Bild © hr
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Gewalterfahrungen – die Geschichte von Denise J.

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An den Moment, in dem sie erkannte, dass sie ihr Leben grundlegend ändern muss, erinnert sich Denise J. genau: Sie hatte ihrem Ex-Partner nachgegeben, wieder einmal. Obwohl sie sich nach Jahren des Missbrauchs getrennt hatte, hatte sie ihn in die ehemals gemeinsame Wohnung gelassen.

Er wolle doch nur den Kindern vorlesen, hatte er gesagt. Denise J. hatte ein ungutes Gefühl, "er redete komisch, irgendwas hatte er genommen", erzählt die 27-Jährige. Trotzdem stimmte sie zu, als er vorschlug, gegen 20 Uhr vorbeizukommen.

"Ich dachte: Gleich ist es vorbei"

Kurz vor 22 Uhr tauchte er schließlich auf, "total betrunken", wie J. schildert. Die Kinder schliefen schon. Sie ließ ihn herein, sagte ihm aber auch, dass er wieder gehen müsse. Er sei immer wütender geworden, ihre Angst immer größer. Sie schickte Sprachnachrichten an ihre Mutter und ihre Freundin, die sich sofort auf den Weg machten.

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Gewalt gegen Frauen – das sagen die Menschen

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J. versuchte, ihren doppelt so schweren Ex-Partner aus der Wohnung zu drängen, es kam zu Gerangel, er schmiss J. gegen eine Dachschräge. Sie bekam Luftnot, er drückte sie aufs Sofa, fixierte sie mit seinem Knie an ihrem Kehlkopf. "Ich bekam gar keine Luft mehr", erinnert sich J. "Ich hatte Blitze vor den Augen, keine Kontrolle mehr über meine Muskeln, kalten Schweiß auf der Haut. Ich dachte: Gleich ist es vorbei."

Demütigungen schon nach vier Wochen Beziehung

Sie habe an ihre Kinder gedacht, versucht, den Kopf zur Seite zu drehen, "weil ich nicht beim Sterben zuletzt in seine Augen gucken wollte" - da stand ihre kleine Tochter im Türrahmen. "Lass die Mama los, die stirbt!", habe sie geschrien.

Es war der traurige Tiefpunkt einer siebenjährigen toxischen Beziehung, bei dem "bei mir ein Schalter umgelegt wurde", wie die junge Frau heute sagt. Obwohl die Gewalt schon vier Wochen nach dem Beginn der Beziehung anfing - zunächst mit Demütigungen, dann mit Ohrfeigen, dann mit handfesten Schlägen selbst vor Freunden oder den gemeinsamen Kindern - konnte J. sich nicht trennen.

"Habe mich in der Beziehung komplett verloren"

Sie habe eine schwierige Kindheit gehabt und seitdem massiv mit ihrem Selbstwertgefühl zu kämpfen, erklärt sie. Sie habe als Kind schon Gewalt erlebt, das sei in ihrem Leben irgendwie normal gewesen. Zeitweise habe sie in einer Einrichtung gelebt, "meine Mutter hatte es auch nicht leicht mit mir." Als sie selbst Mutter wurde, habe sie alles besser machen wollen.

Noch heute sagt sie, "den meisten Teil der Beziehung" sei es Liebe gewesen für ihren Partner, der schwer psychisch erkrankt und seit fast 20 Jahren suchtkrank sei. "Ich wollte für ihn da sein, wollte ihn für unsere Beziehung stabilisieren, habe mich selbst darin aber komplett verloren."

"Wachen sie auf, das ist nicht normal"

Seine Demütigungen habe sie ihm geglaubt, sagt sie und sich schuldig gefühlt, wenn er wieder einmal tagelang verschwunden war. "Ich konnte nicht essen, trinken, mich um die Kinder kümmern", sagt sie. Sie habe ihn beschützen wollen. Über das wirkliche Ausmaß der Gewalt sprach sie kaum, denn: "Wenn ich irgendwem erzähle, was wirklich los ist, dann verlangt man von mir die Trennung, das wusste ich ganz genau, und dem konnte ich nicht gerecht werden."

Selbst das Jugendamt, das ihr zeitweise die Kinder wegnahm, kam nicht an sie heran, erzählt sie: Ihre Sachbearbeiterin habe "sich die Zähne an mir ausgebissen, weil sie mir krampfhaft versucht hat zu erklären, dass ich nicht schuld bin. Ich hatte aber immer wieder ein 'aber', das sein Verhalten rechtfertigt." Mit Tränen in den Augen habe die Frau gesagt: "Wachen Sie auf, das ist nicht normal."

"Habe entdeckt, wie schön das Leben ohne ihn ist"

Erst nach jener Nacht und mit dem Tod vor Augen habe sie die Kraft gefunden, all das aufzuarbeiten, unter anderem in einer Therapie, sagt J. Ihrer Tochter, der herbeigeeilten Freundin und ihrer Mutter verdanke sie letztendlich ihr Leben, konstatiert sie. Von selbst hätte ihr Ex-Partner wohl nicht von ihr abgelassen, vermutet J. Selbst als die Freundin drohte, Pfefferspray einzusetzen, habe er sie noch an den Haaren durch die Wohnung geschleift.

Und auch wenn sie diesen Abend bis heute jede Nacht kurz vor dem Einschlafen erneut durchlebe, habe sie inzwischen entdeckt, "wie schön das Leben ohne ihn ist". Sie müsse sich nicht mehr ständig rechtfertigen, sagt sie: "Ich ziehe an, was ich möchte, schminke mich, wie ich will, koche, schlafe, wann ich möchte, habe immer Geld und einen vollen Kühlschrank." Auch die drei gemeinsamen Kinder blühten langsam auf, müssten ihre Traumata aber ebenfalls mit Begleitung verarbeiten.

"Erst ist mir das Blut gefroren"

Derzeit hat die Familie Ruhe vor dem Vater, denn im September wurde er unter anderem wegen Körperverletzung zu insgesamt 18 Monaten Haft verurteilt* - wogegen er allerdings Berufung einlegte. Zudem habe er bereits angekündigt, in der Nähe der Familie zu bleiben und Umgang mit den Kindern haben zu wollen.

"Erst ist mir das Blut gefroren", erzählt J., und sie habe sogar darüber nachgedacht, ins Ausland zu ziehen. Mit der Zeit habe sie aber immer weniger eingesehen, warum sie sich verstecken solle. Sie wolle kämpfen und andere Frauen in einer ähnlichen Situation aufrütteln, sagt sie.

Sicher, dass der Ex-Partner wieder vor der Tür steht

Unterstützung bekommt sie von einer Selbsthilfegruppe und auch vom Jugendamt, sagt J. In der Behörde habe sie immer einen Gegner gesehen, inzwischen habe sie aber erkannt, dass diese eine Verbündete im Kampf für ihre Kinder sei. Dass ihr Ex-Partner irgendwann wieder vor ihrer Tür stehe, da ist J. sich sicher - er lehne bislang jedes Therapieangebot ab.

Weitere Informationen

Informationen

Nach Angaben des Bundeskriminalamts sind 240.547 Menschen im Jahr 2022 Opfer von häuslicher Gewalt geworden. Das sind 8,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Überwiegend betrifft es Frauen: 71,1 Prozent der Opfer sind weiblich, während die Täter zumeist Männer sind (76,3 Prozent).

Wenn Sie als Frau von häuslicher Gewalt betroffen sind, können Sie rund um die Uhr kostenfrei das Hilfetelefon anrufen unter der Nummer 08000-116016 oder hier Beratung und Hilfe finden. Der Weiße Ring hilft Opfern von Gewalt. Auch Männer, die ein Aggressions- und Gewaltproblem haben, können (frühzeitig) Hilfe und Beratung bekommen. In der "Wegweiser"-Broschüre der Landeskoordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt werden Anlaufstellen in Hessen aufgelistet.

Auch der Verein T.o.B.e (Toxische Beziehungen überwinden) bietet auf seiner Internetseite Informationen und eine Liste mit Anlaufstellen für Betroffene von Gewalt. Dort findet sich auch eine Liste der Selbsthilfegruppen des Vereins.

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*Das Urteil liegt der Redaktion vor. Eine Tötungsabsicht des Ex-Partners konnte vor Gericht nicht bewiesen werden.

Weitere Informationen

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 25.11.2023, 19.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de