Nach Durchsuchungen Frankfurter Jura-Professor hält Razzien gegen Letzte Generation für unverhältnismäßig

Der Frankfurter Jura-Professor Matthias Jahn hält die bundesweiten Razzien gegen Mitglieder der Klimaaktivisten-Gruppe Letzte Generation für unverhältnismäßig.

Zwei Polizisten tragen einen Umzugskarton zu einem Fahrzeug.
Die Polizei - hier Beamte in Berlin-Kreuzberg - beschlagnahmte Material bei der bundesweiten Razzia gegen die Letzte Generation. Bild © picture-alliance/dpa
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Seit am Mittwoch die Wohnungen von sieben Mitgliedern der Aktivistengruppe Letzte Generation in ganz Deutschland durchsucht worden waren, wird Kritik am Vorgehen des Staates laut.

Die Münchener Generalstaatsanwaltschaft hatte die Razzien zusammen mit dem bayerischen Landeskriminalamt (LKA) durchgeführt. Auch die Homepage der Aktivistengruppe wurde beschlagnahmt. Darauf zu lesen war die Behauptung, die Letzte Generation sei eine kriminelle Organisation.

Razzien laut Experten unverhältnismäßig

Dieses Vorgehen kritisiert nun Matthias Jahn. Er ist Professor am Lehrstuhl für Strafrecht der Frankfurter Goethe-Universität.

Kritikpunkt eins: Die Ermittlungen über den Status der Letzten Generation sind nicht abgeschlossen, sondern haben erst begonnen. "Die Generalstaatsanwaltschaft München ist da zu früh und zu weit gesprungen", sagte Jahn hessenschau.de.

Nach allem, was Jahn bislang über den Gerichtsbeschluss des Amtsgerichts München gelesen habe - im Wortlaut liegt er ihm noch nicht vor - stellt er infrage, dass die Razzien verhältnismäßig sind.

Kritikpunkt zwei: Das Signal, welches die Handlung von Generalstaatsanwaltschaft und LKA aussenden. Gleich zu Beginn einer Ermittlung eine Organisation als kriminelle Organisation zu betiteln, kenne man "vielleicht vom FBI, die sagen das bei islamistischen Terroristen oder der Mafia".

Beschwerde für möglich gehalten

Jahn kann sich gut vorstellen, dass die Letzte Generation bereits rechtliche Schritte gegen die Vorverurteilung und die Razzien einleite. Er stellte die Frage in den Raum, ob die Durchsuchungen und die Art und Weise, wie diese auch bei der Beschlagnahmung der Homepage durchgesetzt wurden, rechtlich zulässig sind.

Auf Basis dieser Frage würde eine Beschwerde seitens der Aktivisten zuerst über das Landgericht München und nach Erschöpfung des Rechtswegs direkt bis zum Bundesverfassungsgericht führen.

Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Matthias Jahn
Rechtswissenschaftler Matthias Jahn Bild © Privat

Die Aktivisten hatten sich am Mittwoch entrüstet darüber gezeigt, dass eine staatliche Stelle gegen Extremismus und Terrorismus, welche die Verfassung schützen wolle, Aktivisten ins Visier nehme, die selbst für die Einhaltung verfassungsrechtlicher Ziele einstehen.

Bundesinnenministerium: Angeblich kein politisch motiviertes Handeln

Kritiker werfen der bayerischen Landesregierung vor, angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen besonders hart durchzugreifen. Das sieht auch Jahn so: "Das ist ein Symbol, mit dem sie allen sich in ihren Rechten und Freiheiten bedrohten Bürgern sagen: Wir halten Eure Straßen frei."

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faesers Aussage, der "Rechtsstaat lässt sich nicht auf der Nase herumtanzen", griff Jahn im Kontext der bevorstehenden hessischen Landtagswahlen auf.

Faeser, die bei den Landtagswahlen im Oktober SPD-Spitzenkandidatin ist, ließ über einen Sprecher ausrichten, es gebe keine Verbindung zwischen dem Gesagten und bevorstehenden Wahlkämpfen.

Einige Voraussetzungen für Einordnung als "kriminelle Organisation" erfüllt

Die Einordnung als kriminelle Organisation setzt laut Jahn Punkte voraus, von denen die Aktivisten einige erfüllen würden: Mindestens zwei Personen müssen sich auf Dauer zusammenschließen, um Straftaten zu begehen.

Die Generalstaatsanwaltschaften München und Neuruppin gingen wegen Erfüllung dieser Voraussetzungen von einer kriminellen Organisation aus. "Man darf da aber nicht stehen bleiben", so Jahn. Ein wichtiger Punkt fehle nämlich:

Rechtswidrige Aktionen dienen übergeordnetem Zweck

Wenn die Begehung von Straftaten einen nur untergeordneten Zweck darstellen - wie in diesem Fall, für die Bekämpfung des Klimawandels - sei der Tatbestand nicht erfüllt.

"Die Letzte Generation begeht die Straftaten einerseits ja, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Und andererseits, um eine Botschaft zu transportieren. Es geht ihnen um einen existenziellen Konflikt, der von der Regierung nicht ernst genommen wird", so Jahn.

Die Aktivisten deshalb im selben Atemzug mit kriminellen Gruppen wie den Hells Angels zu nennen, sei "unverhältnismäßig".

Anm. d. Red. v. 30.05.2023: Wir haben eine frühere Version des Berichts präzisiert: So hatten wir berichtet, dass Ermittler aus Sicht des Juristen Jahn wegen unzulässigen Handelns in diesem Fall rechtlich belangt werden könnten. Jahn stellte klar, dass dies irreführend formuliert war - es sei lediglich um die Frage der rechtlichen Zulässigkeit der Durchsuchungsbefehle gegangen und um die Art und Weise ihrer Vollstreckung. Der Beschluss des Amtsgerichts München wurde von Jahn außerdem nicht im Wortlaut gelesen. Der Begriff "Wahlkampfgetöse" - welcher nicht als Zitat wiedergegeben war - liege Jahn fern, merkte er an. Er wurde deshalb entfernt.

Weitere Informationen

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 24.05.2023, 19.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de