80 Jahre Hitler-Attentat Ludwig Beck: Der Mann, den Hitler eine "Heulboje" nannte
Wäre das Attentat auf Adolf Hitler vor 80 Jahren gelungen, hätte Ludwig Beck neues Staatsoberhaupt werden sollen. Die Großnichte des Widerstandskämpfers blickt zurück und findet: Der pflichtbewusste Soldat aus Wiesbaden hat seinen Eid guten Gewissens gebrochen.
Marianne Tobeck sitzt in ihrem Haus in Friedrichsdorf (Hochtaunus), umringt von Büchern und Fotoalben. Sie zeigen die Familiengeschichte, die Mitglieder und die Villa Beck im Wiesbadener Stadtteil Biebrich, das Elternhaus ihres Großonkels Ludwig Beck.
Beck war einer der Drahtzieher des Hitler-Attentats am 20. Juli 1944. Er wurde nach dem Scheitern der Aktion erschossen.
Im Treppenhaus der Villa habe früher der Leitspruch der Familie gehangen, erzählt Tobeck: "Hier schlief ich und träumte, das Leben wäre Freude. Ich erwachte und siehe, das Leben war Pflicht. Ich handelte und siehe, Pflicht ist Freude."
Das Pflichtgefühl habe in ihrer Familie eine große Rolle gespielt – besonders für ihren Großonkel. Es war die Pflicht, die Beck als Teil einer Offiziersfamilie nach dem Abitur zum Soldaten machte und ihn Karriere machen ließ, auch unter Adolf Hitler. Und es war die Pflicht, die ihn später gegen Hitler putschen ließ. "Die Pflicht war für ihn ganz klar: ich muss das Vaterland retten", sagt die heute 86 Jahre alte Tobeck.
Ludwig Beck nannte Zweifrontenkrieg "Irrsinn"
Hitlers Visionen, Deutschland nach Ende des Ersten Weltkrieges wieder stark zu machen, teilte Beck zunächst. 1935 wurde er Chef des Generalstabs im Reichswehrministerium und hatte die Aufgabe, die Wehrmacht aufzubauen.
Allerdings in dem Glauben, dass es sich um eine Verteidigungsarmee handelte, wie Tobeck erzählt. "Er hat gesagt, wir müssen uns darauf einstellen, dass wir uns gut verteidigen können, aber ein Angriffskrieg war nicht in seiner Vorstellung."
Beck kamen Zweifel auf. Schon früh warnte er als Generalstabschef davor, dass ein von Hitler geplanter Zweifrontenkrieg gegen die Großmächte "Irrsinn" und nicht zu gewinnen sei. Doch niemand wollte auf ihn hören. "Hitler hat ihn immer die Heulboje genannt und gesagt, der hat immer zu meckern und zu jammern", berichtet Tobeck.
Vom Generalstabschef zum Zivilisten
Vieles über ihren Großonkel, den sie immer bei seinem vollen Namen nennt, weiß die Rentnerin nur aus Erzählungen und Büchern. An manches Detail erinnert sie sich aber doch selbst. Zum Beispiel, wie sie mit zwei Jahren auf seinem Schoß saß, in einem großen braunen Ledersessel.
Sie erinnert sich an seine "schöne Uniform", die sie beeindruckt hat, auch wenn sie weiß, dass sie das nur von Bildern kennen kann – denn zu der Zeit war Beck schon Zivilist.
1938 trat Beck im Alter von 58 Jahren als Chef des Generalstabs zurück. Zuvor hatte er vergeblich versucht, die anderen Generäle ebenfalls von einem Rücktritt zu überzeugen. "Das war schrecklich für ihn", weiß seine Großnichte.
Er habe ein Zeichen setzen wollen gegen Hitler, doch er habe keine Unterstützung gefunden. "Dieses Moralische, das in ihm steckte, dass er gesagt hat: wir sehen, was Hitler vorhat, wir sehen, dass das Wahnsinn ist – und ich kann das nicht einfach laufen lassen."
Eidbruch mit gutem Gewissen
Nach seinem Rücktritt engagierte sich Beck, der in Wiesbaden-Biebrich geboren und aufgewachsen ist, aus einer Berliner Wohnung heraus im Widerstand. Er vernetzte sich mit Intellektuellen, Unternehmern und Militärs. Verbündete zu finden unter jenen, die Hitler einen Eid geschworen hatten, war allerdings nicht leicht.
"Doch das Argument war: Hitler hat auch einen Eid geleistet auf das Wohl des deutschen Volkes und Hitler hat diesen Eid gebrochen", erklärt Tobeck. Dadurch hätten auch die Widerständler ihren Eid guten Gewissens brechen können – so auch ihr Großonkel. Der Plan, Hitler zu töten, nahm Formen an.
Tobeck erinnert sich, dass ihr Großonkel des Öfteren ihre Großmutter in Biebrich besuchte. Gertrud Beck war die Frau von Ludwig Becks jüngerem Bruder Walter, eine Art "Frau-Ersatz", nachdem Becks Ehefrau Amalie 1917 an einer Lungenentzündung gestorben war. "Und dann gingen sie in den Garten, damit sie von niemandem gehört wurden, und sprachen sich aus", erzählt Tobeck.
Marianne Tobeck: "Hitler war ein Ekel"
Innerhalb der Familie schwelte deshalb die Angst, ob der Plan gut gehen würde. Wäre die "Operation Walküre" erfolgreich gewesen, hätte Ludwig Beck neues Staatsoberhaupt werden sollen. Warum ausgerechnet er?
"Seine intellektuelle Art, sein Wissen, seine Ruhe, die er ausgestrahlt hat, seine Lebenserfahrung auch als Soldat", sieht Tobeck als Gründe. Er sei bewundert worden.
Doch die Operation "Walküre" misslang. Hitler überlebte das Attentat vom 20. Juli 1944. Fünf der Verschwörer starben noch in derselben Nacht im Hof des Bendlerblocks in Berlin-Tiergarten, darunter der Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Ludwig Beck.
Am 20. Juli 1944 versuchte eine Gruppe um Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Adolf Hitler zu töten. Doch der "Operation Walküre" genannte Umsturzplan deutscher Offiziere scheiterte: Hitler überlebte den Bombenanschlag in seinem Kriegsquartier Wolfsschanze in Ostpreußen im heutigen Polen leicht verletzt. Nur wenige Stunden später wurde unter anderem Stauffenberg im Hof des Berliner Bendlerblocks erschossen. In den folgenden Wochen und Monaten richten die Nazis rund 90 weitere Beteiligte und Unterstützer hin. Heute erinnern Bundeswehr und Politik jedes Jahr an das gescheiterte Attentat, das auch den Zweiten Weltkrieg beenden sollte.
- 20. Juli 1944 — das Stauffenberg-Attentat (Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg)
- Attentat auf Adolf Hitler (Bundesarchiv)
Das Attentat auf Hitler vor 80 Jahren
Am 20. Juli 1944 versuchte eine Gruppe um Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Adolf Hitler zu töten. Doch der "Operation Walküre" genannte Umsturzplan deutscher Offiziere scheiterte: Hitler überlebte den Bombenanschlag in seinem Kriegsquartier Wolfsschanze in Ostpreußen im heutigen Polen leicht verletzt. Nur wenige Stunden später wurde unter anderem Stauffenberg im Hof des Berliner Bendlerblocks erschossen. In den folgenden Wochen und Monaten richten die Nazis rund 90 weitere Beteiligte und Unterstützer hin. Heute erinnern Bundeswehr und Politik jedes Jahr an das gescheiterte Attentat, das auch den Zweiten Weltkrieg beenden sollte.
- 20. Juli 1944 — das Stauffenberg-Attentat (Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg)
- Attentat auf Adolf Hitler (Bundesarchiv)
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) würdigt Beck als einen "der vielen tapferen Männer, die mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 Freiheit und Demokratie über das Unrechtsregime der Nationalsozialisten siegen lassen wollten und dafür ihr Leben ließen".
"Es war in Ordnung", sagt Tobeck heute. Sie weiß, dass ihr Großonkel womöglich schlimmeren Folgen entkommen ist, wenn sie bedenkt, wie andere Verschwörer hingerichtet wurden. "Und wie Hitler sich das auch noch angeguckt hat, er war ein Ekel, das muss man wirklich sagen," so Tobeck. Manche Widerstandskämpfer wurden in Schauprozessen zu Tode verurteilt und hingerichtet.
In der Heimatstadt verehrt
Das Attentat hatte auch Auswirkungen auf Tobecks Familie. Ihre Großeltern kamen ins Gefängnis. Ihre Großmutter, Ludwig Becks engste Vertraute, starb kurze Zeit später im Frauengefängnis Preungesheim. Angeblich durch Suizid, doch an diese Geschichte glaubt niemand in der Familie.
Marianne Tobeck selbst spricht als Kind lange nicht über ihren Großonkel – so war es damals eben.
"Aber ich hatte auch den Stolz auf diese Familie, weil ich wusste, die waren im Grunde ehrlich und gegen Hitler", erzählt sie. Dass ihr Großonkel auch in seiner Heimat Biebrich verehrt wird, beweist ihr eine Anekdote, die ihre Mutter ihr einst erzählt hat.
An der Mauer der Villa Beck am Rhein hängt ein Schild zu Ehren Ludwig Becks. Jedes Jahr habe dort jemand eine Rose abgelegt, so Tobeck. "Das ist doch sehr rührend."
Wenn sich das gescheiterte Attentat vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler an diesem Samstag zum 80. Mal jährt, gibt es weitere Bezüge zu Hessen. Eine Reihe von Beteiligten und Unterstützern hat hier zumindest zeitweise gelebt und gewirkt. Dazu zählen neben dem aus Wiesbaden stammenden früheren Generalstabschef Ludwig Beck der einstige hessische Innenminister Wilhelm Leuschner und der spätere Vizepräsident des Wiesbadener Landtags, Cuno Raabe.
An Ludwig Beck erinnern heute neben der Gedenktafel an der elterlichen Villa in Wiesbaden-Biebrich und der Ludwig-Beck-Preis der hessischen Landeshauptstadt an den einstigen hohen Offizier. Die Auszeichnung wird alle zwei Jahre - das nächste Mal 2025 - für den besonderen Einsatz für das Allgemeinwohl, die Demokratie und den Rechtsstaat verliehen. Hinzu kommen etwa in Biebrich eine Grundschule und in mehreren Städten Straßen, die nach Beck benannt sind. Mehr zur Rolle Becks erfahren Sie im oben stehenden Beitrag.
Wilhelm Leuschner, geboren 1890 in Bayreuth, arbeitet als Holzbildhauer, zieht 1924 für die SPD in den hessischen Landtag ein und wird 1928 Hessens Innenminister. Vergeblich versucht er vor Hitlers Machtergreifung, ihn wegen Landesverrats vor das Reichsgericht zu bringen. 1933 verliert Leuschner sein Regierungsamt. Er koordiniert den gewerkschaftlichen Widerstand und hält Kontakt auch zu Beck.
Nach dem gescheiterten Attentat 1944 wird Leuschner denunziert, verhaftet, gefoltert, verurteilt und hingerichtet. Hessen verleiht einmal im Jahr die Wilhelm-Leuschner-Medaille, die höchste Auszeichnung des Landes. Diese bekommen schon seit 60 Jahren Persönlichkeiten, die sich laut Staatskanzlei "aus dem Geist Wilhelm Leuschners hervorragende Verdienste um die demokratische Gesellschaft und ihre Einrichtungen erworben haben".
Cuno Raabe, 1888 in Fulda geboren, studiert Jura und kämpft als Oberbürgermeister von Hagen gegen den wachsenden Einfluss der NSDAP. Er schließt sich dem Widerstand um Carl Friedrich Goerdeler an, der ihn als Verkehrsminister einer künftigen Regierung vorsieht. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli wird auch Raabe verhaftet und misshandelt. Bei einem Bombenangriff auf Berlin verbrennt nach Angaben des Deutschen Historischen Museums die Anklageschrift gegen ihn. Beim Einmarsch der Sowjetarmee im Frühling 1945 in der Hauptstadt wird Raabe aus dem Gefängnis entlassen.
1946 wird der Jurist für ein Jahrzehnt Stadtoberhaupt von Fulda. Ebenfalls 1946 wird Raabe als CDU-Mitglied in den hessischen Landtag gewählt und amtiert dort bis 1962 als erster Vizepräsident. Anlässlich seines 75. Geburtstags wird eine Grundschule in Fulda nach ihm benannt. 1971 stirbt er bei einem Kuraufenthalt in Gersfeld in der Rhön.
Hessen im Widerstand
Wenn sich das gescheiterte Attentat vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler an diesem Samstag zum 80. Mal jährt, gibt es weitere Bezüge zu Hessen. Eine Reihe von Beteiligten und Unterstützern hat hier zumindest zeitweise gelebt und gewirkt. Dazu zählen neben dem aus Wiesbaden stammenden früheren Generalstabschef Ludwig Beck der einstige hessische Innenminister Wilhelm Leuschner und der spätere Vizepräsident des Wiesbadener Landtags, Cuno Raabe.
Ludwig Beck
An Ludwig Beck erinnern heute neben der Gedenktafel an der elterlichen Villa in Wiesbaden-Biebrich und der Ludwig-Beck-Preis der hessischen Landeshauptstadt an den einstigen hohen Offizier. Die Auszeichnung wird alle zwei Jahre - das nächste Mal 2025 - für den besonderen Einsatz für das Allgemeinwohl, die Demokratie und den Rechtsstaat verliehen. Hinzu kommen etwa in Biebrich eine Grundschule und in mehreren Städten Straßen, die nach Beck benannt sind. Mehr zur Rolle Becks erfahren Sie im oben stehenden Beitrag.
Wilhelm Leuschner
Wilhelm Leuschner, geboren 1890 in Bayreuth, arbeitet als Holzbildhauer, zieht 1924 für die SPD in den hessischen Landtag ein und wird 1928 Hessens Innenminister. Vergeblich versucht er vor Hitlers Machtergreifung, ihn wegen Landesverrats vor das Reichsgericht zu bringen. 1933 verliert Leuschner sein Regierungsamt. Er koordiniert den gewerkschaftlichen Widerstand und hält Kontakt auch zu Beck.
Nach dem gescheiterten Attentat 1944 wird Leuschner denunziert, verhaftet, gefoltert, verurteilt und hingerichtet. Hessen verleiht einmal im Jahr die Wilhelm-Leuschner-Medaille, die höchste Auszeichnung des Landes. Diese bekommen schon seit 60 Jahren Persönlichkeiten, die sich laut Staatskanzlei "aus dem Geist Wilhelm Leuschners hervorragende Verdienste um die demokratische Gesellschaft und ihre Einrichtungen erworben haben".
Cuno Raabe
Cuno Raabe, 1888 in Fulda geboren, studiert Jura und kämpft als Oberbürgermeister von Hagen gegen den wachsenden Einfluss der NSDAP. Er schließt sich dem Widerstand um Carl Friedrich Goerdeler an, der ihn als Verkehrsminister einer künftigen Regierung vorsieht. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli wird auch Raabe verhaftet und misshandelt. Bei einem Bombenangriff auf Berlin verbrennt nach Angaben des Deutschen Historischen Museums die Anklageschrift gegen ihn. Beim Einmarsch der Sowjetarmee im Frühling 1945 in der Hauptstadt wird Raabe aus dem Gefängnis entlassen.
1946 wird der Jurist für ein Jahrzehnt Stadtoberhaupt von Fulda. Ebenfalls 1946 wird Raabe als CDU-Mitglied in den hessischen Landtag gewählt und amtiert dort bis 1962 als erster Vizepräsident. Anlässlich seines 75. Geburtstags wird eine Grundschule in Fulda nach ihm benannt. 1971 stirbt er bei einem Kuraufenthalt in Gersfeld in der Rhön.
Redaktion: Bernhard Böth
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 20.07.2024, 19.30 Uhr