Pionier-Arbeit am Klinikum Fulda Wie Herz-Patienten von neuer OP-Methode profitieren
Nach Herz-OPs liegen Patienten lange flach. Am Klinikum Fulda kommen sie dank neuer und schonender Techniken schneller auf die Beine. Denn Operateure greifen hier neuerdings seltener zur Säge - und setzen auf ein Schlüsselloch.
Wenn Harald Schuppich morgens mit nacktem Oberkörper beim Rasieren vor dem Spiegel steht, wird er täglich an die für ihn lebensrettende Operation erinnert. Narben auf der Brust zeugen von einem großen Eingriff am Herzen.
Doch bei dem Mann aus Fulda sind die Spuren der OP am dortigen Klinikum dank neuartiger Methoden derart klein, dass er jeden Tag "dankbar und demütig" ist - und sich denkt: "Irre, was in der Medizin machbar ist."
Brustbein aufsägen als Standard
Normalerweise hätten Operateure Harald Schuppich mit einer Stichsäge das etwa 25 Zentimeter messende Brustbein der Länge nach durchtrennt. Dann hätten sie mit einem Spreizgerät den Brustkorb geöffnet und auf konventionelle Weise operiert.
Doch der 57 Jahre alte Schuppich ist an den Fuldaer Mediziner Hilmar Dörge geraten. Der Direktor der dortigen Fachklinik beschreitet neue Wege in der Herzchirurgie. Er verwendet Techniken, die das Klinikum Fulda als weltweit weitgehend einzigartig, gar "revolutionär" bezeichnet.
Patienten profitieren durch raschere Genesung
Dörge ist der erste Herzchirurg in Deutschland, der mit seinem Team schon mehr als 700 Patientinnen und Patienten mit einer neuen Methode erfolgreich behandelt hat, wie das Klinikum am Dienstag mitteilte. Er habe sich zu einem Pionier bei Herz-OPs entwickelt, heißt es in der Mitteilung weiter.
Es sind vor allem schonende, minimal-invasive Methoden.Von denen profitieren die Patienten: kürzere Liegezeit im Krankenhaus, frühere Beweglichkeit, schnellere Genesung und dadurch mehr Lebensqualität, so das Klinikum.
Nach drei Monaten wieder aufs Rad
Harald Schuppich hat es selbst erlebt. Zwei Monate nach der Herz-OP konnte er wieder arbeiten und sich nach drei Monaten wieder aufs Fahrrad schwingen. Bei einer seiner Touren im Frühjahr 2024 hatte er die Schmerzen in seiner Brust bemerkt. Folge: Er musste wegen eines Herzklappen-Defekts operiert werden.
Nach der OP lernte Schuppich beim Sport in der Reha andere Herz-Patienten kennen und konnte die Nachwirkungen vergleichen. Konventionell operierte Menschen hätten oft viele Monate gebraucht, um körperlich so wiederhergestellt zu sein, wie er es nach wenigen Wochen war, so seine Beobachtung.
Der Knackpunkt dafür war, dass ihm nicht das Brustbein durchgesägt wurde (Sternotomie). Nach dem Eingriff muss es mit OP-Draht wieder fixiert werden. Es dauert, bis es zusammenwächst. Patienten dürfen sich drei Monate nicht belasten und können nicht mal die Hände über den Kopf heben. Schuppich konnte rasch wieder Badmintonspielen, wie er sagte.
Kleiner Rippen-Schnitt statt Brustkorb-Öffnung
Schuppich bekam bei der OP zwei Bypässe gelegt und eine neue Herzklappe. Statt - konventionell - zentral den Brustkorb zu öffnen, wurde - innovativer - lediglich ein kleiner Schnitt seitlich zwischen den Rippen vorgenommen. Durch den nur etwa acht Zentimeter kleinen Spalt können Bypässe (Umleitungen für Blutbahnen) an betroffene verstopfte Herzkranzgefäße gelegt werden. Vor allem auch an der schwer zugänglichen Hinterwand des Herzens.

Um an alle Stellen des Herzens zu kommen, verwenden Dörge und sein Team mehrere Seilschlingen. Damit können sie das Herz drehen und in anderen Positionen behandeln. Diese neuartige Methode hatte Dörge bei einem Kongress in Frankfurt erstmals gesehen.
"Auf manch einen meiner Kollegen wirkte das recht wild und sehr unorthodox", erinnert sich Dörge an den Kongress im Jahr 2019. Doch Dörge sah nicht nur Probleme, sondern das Potenzial der Methode.
Vertrauen auf Bewährtes verhindert Experimente
Der Fuldaer Klinikum-Vorstand Thomas Menzel weiß um die generelle Zurückhaltung von Herzchirurgen gegenüber Innovationen. "Sie sind sehr konservativ. Sie verändern ungern etwas. Es geht schließlich um Leben und Tod." Wenn sich eine Methode etabliert habe, vertraue man gern darauf - mitunter jahrzehntelang.
Dörge aber wollte nach dem Kongress mehr wissen - und vor allem sehen. Er reiste nach in die Ukrainer nach Kiew und ließ sich die Methode von seinem Erfinder Oleksandr Babliak zeigen. Sein Wissen brachte er mit nach Fulda und überzeugte die Krankenhaus-Leitung, dass die Fuldaer Herzklinik sich auf die Methode spezialisierte.
Doch das war kein Selbstläufer: Denn die OPs dauern länger. Statt drei bis dreieinhalb Stunden sind es viereinhalb Stunden und mehr. Und Zeit ist Geld - auch im Krankenhaus. Das weiß Klinikum-Chef Menzel nur allzu gut.
Gäste aus dem In- und Ausland hospitieren in Fulda
Nichtsdestotrotz haben Dörge und sein Team mit neuer OP-Methode rund 700 Patientinnen und Patienten Bypässe verpasst - nach dem Schlüsselloch-Prinzip mit dem kleinen Schnitt an den Rippen statt der großen Sägearbeiten am Brustkorb.
Dutzende von Herzchirurgen aus der ganzen Welt kamen bereits nach Fulda ins Klinikum, um die bahnbrechende OP-Technik kennenzulernen. Mittlerweile wird die vom Fuldaer Dörge transferierte Methode auch in anderen renommierten Häusern verwendet.

Auch am Deutschen Herzzentrum in München wird die OP-Methode mittlerweile eingesetzt. Der Direktor der dortigen Klinik, Markus Krane, lobte sie als "wegweisende Weiterentwicklung der Herzchirurgie".
Weitere Innovation mit einzigartiger OP-Kombination
Seit Mai 2024 gibt es eine weitere Innovation: Das Klinikum Fulda verwendet eine weltweit einzigartige Kombination von Bypass-OP und Herzklappenersatz. "Diese kombinierte Technik ist außer in Kiew bislang nur in Fulda durchgeführt worden", betonte Dörge. Elda Dzilic vom Deutschen Herzzentrum bestätigte, dass dies bislang einzigartig sei.
In Dörges Team arbeitet mit Volodymyr Demianenko auch ein Mediziner aus Babliaks Kiewer Kollegium. Daneben gibt es auch einen Wissenstransfer. Dass Erkenntnisse in der Medizin weitergereicht werden, ist gang und gäbe. Im Gegensatz zur freien Wirtschaft. "Dort würde eine Firma sicher nicht Betriebsgeheimnisse preisgeben", verglich Klinikum-Chef Menzel.
Wissenstransfer statt Patente
Doch in der Medizin sind OP-Techniken mit Patenten ohnehin nicht zu schützen. Deswegen arbeitet man zusammen. Die höchsten Ehren, die Mediziner erlangen können, ist, dass Methoden mit ihren Namen verbunden werden. So wie der Kiewer Babliak mit der sogenannten TCRAT-Methode - minimal-invasiv ohne Öffnung des Brustbeins
Der Erfolg der OP-Methode, die mit wissenschaftlichen Publikationen und Studien am Klinikum Fulda begleitet werden, ist ein großer Glücksfall für das Klinikum. Es verzeichnet eine steigende Nachfrage nach den neuen Herz-OPs wegen der koronaren Herzkrankheit.
Positiv auch für die Medizin: Die Medizin-Studenten am Campus Fulda lernen die neue Methode als Operateure der Zukunft kennen. In Deutschland werden pro Jahr 70.000 Menschen am offenen Herzen operiert, etwa die Hälfte davon sind Bypass-OPs.
In Fulda erfolgen 80 Prozent solcher Herz-OPs minimal-invasiv. In ganz Deutschland sind es bislang nur zwei Prozent. Gut möglich, dass diese Zahl steigt, wenn sich OP-Erfahrungen von Harald Schuppich und anderen Herz-Patienten weiter herumsprechen.