Muslime über Rassismus "Die erste Frage ist immer: Woher kommst Du eigentlich?"

Jeder zweite in Deutschland stimmt muslimfeindlichen Aussagen zu - das ist das Ergebnis einer nach den rassistischen Anschlägen in Hanau veröffentlichten Studie. Hunderttausende Menschen in Hessen haben einen muslimischen Hintergrund. Wie fühlt es sich an, regelmäßig Anfeindungen zu erleben? Betroffene berichten.

Collage: an einem Tisch sitzt eine Frau an einem Computer, vor ihr liegt ein Buch mit dem Titel "Muslimfeindlichkeit - eine deutsche Bilanz". Hinter/ dem Tisch - dargestellt durch eine pinkfarbene abstrahierte Fläche - sind ein "ausgeschnittenes" Foto einer Frau und eines eines Mannes zu sehen.
Politikwissenschaftlerin Saba-Nur Cheema, Schülerin Salma Moussa, Sozialarbeiter Mehmet Koc (v.l.n.r.) Bild © hr, Collage: hessenschau.de

Salma Moussa ist eine engagierte, zugewandte Jugendliche. Die 16-Jährige ist Mitglied im Kinder- und Jugendparlament der Stadt Offenbach, im Gymnasium hat sie gute Noten. Sie zeichnet gerne oder geht mit ihren Freunden aus.

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Muslime über Rassismus: "Woher kommst Du eigentlich?"

hs  20.02.2025
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Deutsche Staatsbürgerin ist sie schon lange – als Dreijährige war sie mit ihrer Mutter aus Marokko nach Deutschland gekommen. Salma Moussa lebt mit ihren Eltern und ihrer Schwester seit ihrer Kindheit hier. Trotzdem fühlt sie sich immer wieder nicht als vollwertige Bürgerin akzeptiert.

"Indirekter" Rassismus in Deutschland

"Die erste Frage ist immer: Woher kommst Du eigentlich?", erzählt Salma Moussa. Auch wenn es in Offenbach ein bisschen besser sei als anderswo: "Ich werde von vielen als die Ausländerin angesehen, als Marokkanerin". Dabei habe sie die gleichen Erlebnisse gehabt wie die anderen Kinder in Deutschland, die gleichen Cartoons geguckt, die gleichen Kinderbücher gelesen.

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Der Rassismus hier sei nicht so direkt, sagt Salma Moussa. Aber man merke es an den Nachfragen. Einmal habe sie sich bei einer Werbeagentur beworben. "Der Mann im Bewerbungsgespräch hat mich herablassend gefragt: Ist es ok für deine Eltern, wenn Du was Kreatives machst?" Er habe das Klischee im Kopf gehabt, "dass arabische Eltern total streng sind und ihren Töchtern nicht erlauben zu arbeiten." Den Praktikumsplatz wollte die Schülerin dann nicht mehr haben.

Klischees: Gewalttätig, rückständig, isoliert

Wie sich Muslimfeindlichkeit in unterschiedlichen Bereichen wie Bildung, im Kulturbereich und in den Medien äußert, damit hat sich nach dem rassistischen Anschlag vor fünf Jahren in Hanau eine von der Bundesregierung beauftragte unabhängigen Expertenkommission beschäftigt, zu der auch die Frankfurter Politologin Saba-Nur Cheema gehört. Ein Ergebnis der seit 2023 veröffentlichten Studie: Jeder zweite in Deutschland stimmt muslimfeindlichen Aussagen zu.

Dabei gebe es vier Facetten muslimfeindlicher Annahmen, erklärt Cheema: "Dass Muslime zu Gewalt neigten, dass sie nicht fähig seien, sich in der deutschen Gesellschaft zu integrieren. Dass sie wegen ihrer Religion besonders rückständig seien und dass sie lieber in einer Parallelgesellschaft unter sich blieben." Die Folge dieses negativen Bildes sei strukturelle Diskriminierung.

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Gedenken an den Anschlag von Hanau

Am 19. Februar 2020 erschoss ein 43 Jahre alter Deutscher in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst. Zum fünften Jahrestag des Anschlags fand am Mittwoch eine offizielle Gedenkveranstaltung des Landes Hessen und der Stadt Hanau statt.

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Diskriminierung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt

Auch eine Studie der Europäischen Grundrechte-Agentur FRA vom Oktober 2024, für die 9.600 Muslime in ganz Europa befragt wurden, kommt zu dem Ergebnis: In Deutschland und Österreich werden Muslime im europaweiten Vergleich besonders stark diskriminiert, vor allem auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Besonders betroffen sind Frauen, die religiöse Kleidung tragen.

Diese Erfahrung hat auch der Rüsselsheimer Sozialarbeiter Mehmet Koc gemacht. Der 31-Jährige klärt über antimuslimischen Rassismus auf und arbeitet in der Extremismus-Prävention. Er schätzt beruflich ein, ob sich Schüler radikalisiert haben. Koc erzählt, dass seine Einschätzung schon mal mit größerer Skepsis beurteilt worden sei als von anderen Kollegen – "weil man sich bei mir als Muslim nicht sicher war, wie neutral ich eigentlich sei".

Spätestens, wenn Koc mit seiner Kopftuch tragenden Frau unterwegs sei, nehme er negative Reaktionen wahr. Ein Klischee sei, dass muslimische Männer ihre Frauen dazu zwängen, das Kopftuch zu tragen. Ein anderes Beispiel: "Würde ich mir einen längeren Bart wachsen lassen, könnte das als salafistisch gelesen werden, während der Bart bei einem Stefan als hip angesehen wird."

Expertin fordert mehr positive Berichte über Muslime

Was müsste geschehen, damit sich muslimische Menschen sicher und gewollt in Deutschland fühlen? Saba-Nur Cheema sagt: "Wir brauchen eine Korrektur der negativen Darstellung von Muslimen insgesamt." Es müsse mehr positive Berichte über Muslime geben. "Eigentlich existieren sie nur als Problemgruppe", so Cheema.

Auch Schulbücher und Lehrpläne müssten überarbeitet werden. Die Expertenkommission, der Cheema angehört, fordert zudem einen Bundesbeauftragten für Muslimfeindlichkeit.

Die Schülerin Salma Moussa wünscht sich, dass Menschen, die schon so lange in Deutschland leben, als Teil der Gesellschaft akzeptiert werden. "Wenn ich jemandem begegne, der perfekt deutsch spricht, aber anders aussieht, sollte der erste Gedanke sein: Oh toll, ich lerne jemanden kennen - und nicht: Von wo könnte der wohl kommen?"

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de