Mehr muslimische Bestattungen in Hessen Hier ist meine Heimat, hier will ich begraben werden
Immer mehr Muslime lassen sich in Hessen beisetzen. Der Gesetzgeber hat das in den vergangenen Jahren deutlich erleichtert. Doch es gibt auch weiter gute Gründe für eine Auslandsüberführung.
Ali Naqi Shah besucht jede Woche das Grab seiner Eltern auf dem Hanauer Hauptfriedhof. Er zündet dann eine Kerze an und macht den großen weißen Marmorstein sauber, auf dem steht: "Siehe, wir sind Allahs, und siehe, zu ihm kehren wir heim". Für muslimische Verhältnisse sei das Grab eigentlich zu schick, sagt Shah. Muslime sollten sich da bescheiden zeigen, doch als 1998 seine Mutter starb, war ihnen das egal, wie er schmunzelnd erzählt.
Damals gab es das islamische Gräberfeld noch nicht. Ali Naqi Shahs Familie musste mehrere Gemeinden abtelefonieren und war froh, dass es der Hanauer Hauptfriedhof schon damals ermöglicht hat, eine Bestattung nach den Regeln des Islam zu gestalten und das Grab nach Mekka auszurichten. "Damals ist mein Vater mit seinem besten Freund und einem Kompass hierhergekommen und hat sich voller Trauer diesen Ort ausgesucht", berichtet Shah. Vor zwei Jahren musste er dann auch seinen Vater dort begraben.
Schnell muss es gehen
Seit einer Anpassung des Friedhofs- und Bestattungsrechts im Jahr 2013 sind muslimische Begräbnisse viel leichter in Hessen möglich. Dazu gehört die Bestattung im Leichentuch ebenso wie die Beisetzung innerhalb von 48 Stunden mittels Eilantrag, da Muslime ihre Toten möglichst schnell bestatten möchten.
In Hessen ist die Zahl der muslimischen Bestattungen zum Teil kräftig gestiegen. In Gießen gab es seit 1995 insgesamt 231 muslimische Bestattungen, wobei es 1995 nur eine und 2022 bisher bereits 23 gab, wie die dortige Stadtverwaltung mitteilt. Die Stadt Frankfurt berichtet von 218 muslimischen Beisetzungen im Jahr 2021 - von insgesamt 5.124. Im Vergleich zu 2014 sei die Zahl der muslimischen Bestattungen um 145 Prozent gestiegen. Auch Sprecher der Verwaltungen in Kassel und Wiesbaden berichten von einer deutlichen Zunahme der Fälle.
Weniger Auslandsüberführungen
Dieser Anstieg kann mehrere Gründe haben, sagt Thomas Bäder, Abteilungsleiter des Friedhofswesens beim Frankfurter Grünflächenamt. Zum einen seien während der Corona-Pandemie Auslandsüberführungen lange nicht möglich gewesen. Zum anderen lebten viele Muslime seit 20 oder 30 Jahren in Frankfurt und wollten dann auch hier beigesetzt werden. "Oder die hier aufgewachsenen Kinder möchten, dass ihre Eltern hier beigesetzt werden, um das Grab besuchen zu können", sagt Bäder.
Hassan Moghnieh ist Bestatter bei Aman Bestattungen mit Niederlassungen in Frankfurt und Maintal (Main-Kinzig). Das Institut hat sich auf muslimische Beisetzungen und Auslandsüberführungen spezialisiert. Zwei Fahrer haben gerade Särge geliefert, die sie in einen der Kühlräume schieben und jeweils mit einem grünen Tuch mit goldenen Schriftzeichen zudecken. Im Kühlraum stehen auch mit schwarzen Tüchern verhängte Särge.
Die Farben stehen für verschiedene Glaubensrichtungen innerhalb des Islams, erklärt Moghnieh: "Grün nehmen meistens die Sunniten. Die Schiiten bevorzugen das schwarze Tuch." Manche Särge haben außerdem eine etwas andere Form. "Die sind für Auslandsüberführungen", sagt der Bestatter.
Nur Muslime dürfen die rituelle Waschung vornehmen
Hassan Moghnieh ist 28 Jahre alt und buchstäblich in seinen Beruf hineingewachsen. Schon mit 16 hat er seinem Vater im Bestattungsinstitut geholfen. Heute ist er selbst Profi. Das Handwerk hat er bei seinem Vater gelernt, eine Spezialausbildung war nicht nötig, wie er sagt.
Wichtig sei nur, dass man selbst Muslim sei, damit man die verschiedenen Rituale durchführen dürfe, erläutert Moghnieh. Wie etwa die islamische Totenwaschung Ghusl. Gewaschen wird mit Wasser und Seife, aber auch mit Sidr (Christusdornpulver) und Kafur (Kampferpulver). Diese Pulver werden seit langer Zeit verwendet, um austretende Flüssigkeiten aufzusaugen und Gerüche des Toten zu überdecken.
Manchmal geht die Bestattung im Ausland schneller
In der Regel waschen Angehörige des gleichen Geschlechts den Körper des Toten und richten ihn nach Mekka aus. Ali Naqi Shah vollzog die rituelle Waschung des Leichnams seines Vaters unter Anleitung des Bestatters Hassan Moghnieh und mit Unterstützung von Freunden und Verwandten. Er erinnert sich: Um keine Zeit für eine schnelle Beisetzung zu verlieren, fand der Ghusl-Termin um fünf Uhr morgens statt.
"Wenn jemand stirbt, soll er, so schnell es geht, begraben werden. Wir warten dann auch nicht auf Verwandte", sagt Shah. Seinen Vater so zu verabschieden und ihm diese Ehre zu erweisen, war ihm sehr wichtig. Sein Vater hatte fünfmal täglich gebetet und sich sehr in der muslimischen Gemeinde engagiert. Umso wichtiger war es für ihn und seine Familie, dass er sich auch in Hessen nach den Regeln seines Glaubens bestatten lassen konnte.
Dass trotzdem immer noch viele Muslime im Ausland beigesetzt würden, habe auch etwas mit Zeit und Geld zu tun, sagt Bestatter Hassan Moghnieh. Je nach Zielregion könnten Überführung und Beisetzung schneller erfolgen als auf einem deutschen Friedhof. Meistens sei eine Erdbestattung in Deutschland auch teurer, zum Beispiel aufgrund der Grabgebühren.
Ewige Totenruhe kostet in Hessen extra
Auch deswegen überführen nach wie vor viele Muslime ihre Toten ins Ausland. Im Islam gilt die ewige Totenruhe, deutsche Gräber bleiben oft nur 20 Jahre bestehen. Eine Verlängerung ist bei Wahlgräbern vielerorts möglich, kostet aber Gebühren.
Doch die Nachfrage steigt auch in Hessen. Die Antwort in Frankfurt darauf ist ein neues islamisches Gräberfeld auf dem Friedhof im Stadtteil Höchst. Seit September stehen hier über 300 neue muslimische Grabflächen zur Verfügung, die zur Kaaba in Mekka hin ausgerichtet sind.
Bislang gab es solche Flächen nur auf dem Friedhof Heiligenstock und auf dem Südfriedhof. Die nächste Erweiterung des Angebots an muslimischen Grabflächen könnte schon im kommenden Jahr auf dem Hauptfriedhof folgen. "Ich denke, dass die Nachfrage mit der Zeit weiter steigen wird", sagt Thomas Bäder von der Friedhofsverwaltung.
Froh, dass das Grab der Eltern so nah ist
Für das Grab seiner Eltern mussten Ali Naqi Shah und seine Geschwister bereits die Verlängerungsgebühr bezahlen. Dennoch ist er sehr froh, dass er das Grab seiner Eltern so oft besuchen kann. "Der Friedhof ist quasi mein zweites Zuhause", scherzt er.
Humor hilft dem 47-Jährigen, mit der Trauer umzugehen - genauso wie das Totengebet, das er bei jedem Besuch abhält. Für ihn und seine fünf Geschwister sei es sehr wichtig, dass das Grab ihrer Eltern so nahe an ihrem Wohnort liegt, sagt Shah: "Oft kommen meine Geschwister und beten dann hier oder lesen im Koran. Das Grab ist für uns eine Art Pilgerstätte."
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 30.11.2022, 19.30 Uhr
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