Nach Unwetter in Gottsbüren "Ich würde es nicht schaffen, das noch einmal durchzustehen"

Anfang August rollte eine Schlammlawine durch den Trendelburger Ortsteil Gottsbüren. Noch Monate später sind Häuser zum Teil unbewohnbar. Besuch bei einer Familie, die sich aus der Katastrophe kämpft.

Foto einer Frau und eines Mannes, mit kleinem Kind auf dem Schoß. Das Foto ist ausgeschnitten und mit einer weißen Umrandung versehen. Im Hintergrund Foto eines Flures, in welchem an den Wänden Spuren einer Wasserflutung zu sehen sind.
Das Leben nach dem Unwetter findet auf der Baustelle statt: Kathrin Budzinski und Daniel Wiegand mit ihrer Tochter Frieda. Bild © hr
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Rückblick: Unwetter in Gottsbüren

Von einem Unwetter zerstörte Straße
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Kathrin Budzinski steht auf einer Leiter und verspachtelt die Fensterlaibung im Erdgeschoss. Tochter Frieda flitzt durch den Raum. Die Dreijährige will helfen und schnappt sich ein Stück Fußleiste, das ihr Vater Daniel Wiegand gerade anschrauben will.

Spachteln, schrauben, bohren - so sieht hier seit gut vier Monaten der Alltag aus. Das Paar saniert das alte Fachwerkhaus, das für sie und Daniels Eltern Gerd und Inge das gemeinsame Zuhause war. Bis zur dieser einen Nacht Anfang August.

Eine Frau steht auf einer Leiter und spachtelt die Laibung an einem geöffneten Fenster. Unten steht ein kleines Mädchen und schaut zu.
Renovierung in Eigenleistung: Kathrin Budzinski und Tochter Frieda sind ein eingespieltes Team. Bild © hr/Isabell Kramer

Immer wieder Überschwemmungen in Gottsbüren

Ein Unwetter hinterlässt im Trendelburger Ortsteil Gottsbüren im Landkreis Kassel eine Schneise der Verwüstung. Auf den Straßen reihen sich große Krater, im Asphalt meterlange Risse. Dazu türmen sich weggeschwemmte Autos und Heizöltanks. Wie durch ein Wunder wird niemand verletzt.

Doch der Schock über die Naturgewalt sitzt tief. Wenige Stunden nach dem Unwetter schildert Daniel Wiegand unter Tränen den geplatzten Traum vom Urlaub. Das Wohnmobil der Familie ist fertig gepackt, morgens um acht sollte es losgehen. Stattdessen gleicht das Haus einem Trümmerfeld. Das komplette Erdgeschoss und der Keller stehen unter Wasser, die Einrichtung ist zerstört.

Foto eines Wohnmobils von hinten, das in einer Einfahrt steht, die überflutet von Schlamm ist. Auch die umgebenden Gärten sind voller Schlamm, Wasser und Zerstörung und ein Feuerwehrmann steht darin.
Das Wohnmobil fertig gepackt - doch nach dem Unwetter war nicht an Urlaub zu denken. Bild © hr

In Gottsbüren gehören Unwetter zum Dorfleben. In den vergangenen sechs Jahren hat es drei Überschwemmungen und Schlammlawinen gegeben, doch das Unwetter in diesem Jahr hat alle Dimensionen gesprengt. Die Infrastruktur in dem kleinen Ort ist völlig zerstört. Das Haus der Familie ist eines von rund 60 beschädigten Häusern im Dorf.

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Land und Landkreis zahlen 280.000 Euro an Betroffene

Doch nicht nur in Gottsbüren geht in dieser Nacht die Welt unter. Neben Trendelburg sind im Landkreis Kassel vor allem Hofgeismar, Bad Karlshafen, Reinhardshagen und Wesertal betroffen.

Nach den extremen Starkregenfällen unterstützt das Land Hessen die Betroffenen jetzt mit einer Finanzhilfeaktion. Insgesamt wurden 34 Anträge eingereicht, 28 davon aus Trendelburg und Wesertal.

Über 280.000 Euro werden laut hessischem Innenministerium nun ausgezahlt, davon trägt der Landkreis Kassel rund 57.000 Euro als Eigenanteil. Die Menschen aus diesen Regionen hatten laut Innenministerium Schäden in Höhe von 747.000 Euro geltend gemacht.  

Sanierung der Infrastruktur dauert

Trendelburgs Bürgermeister Manuel Zeich (parteilos) hofft jetzt auch für die Infrastruktur des Dorfes auf ein schnelleres Vorankommen. Viele Menschen aus Gottsbüren wünschten sich endlich eine aufgeräumte und sanierte Ortsmitte. Doch die Schadensbeseitigung dauere an - auch wegen der Einhaltung formaler Dinge wie Ausschreibungen und der Bereitstellung des Geldes.

Fünf kaputte Brücken, dazu mehrere Straßen - all das muss noch saniert werden. Der Bürgermeister ist dennoch zuversichtlich, auch wenn sich die restlose Beseitigung der Schäden wohl "noch zwei Jahre hinziehen" werde.

Bürgermeister stolz auf Solidarität im Dorf

Zuletzt wurden ein Nachtragshaushalt verabschiedet und 700.000 Euro freigegeben. Der neue Kanal im Pilgerweg soll so Wassermassen künftig besser aufnehmen können. Gottsbüren müsse für künftige Ereignisse besser gerüstet sein, so Zeich.  

Eine Garantie ist das nicht. Wenn es morgen in so kurzer Zeit wieder 175 Liter auf den Quadratmeter regne, so der Bürgermeister, "dann sieht Gottsbüren genau so aus, wie es am 2. August ausgesehen hat".

Foto eines großen Rasenmähers zum Aufsitzen, bis zur Unkenntlichkeit zerstört, durchdrungen von Schlamm und Grünzeug.
Der Aufsitzrasenmäher von Daniel Wiegand nach dem Unwetter. Bild © hr

"24/7 auf der Baustelle"

Die vergangenen Monate waren stressig für die Familie Budzinski. Saniert wird vor allem in Eigenleistung. Neben Kind und Job hat Mutter Kathrin "24/7 nur die Baustelle im Kopf". Immer wieder habe sie Bilder aus der Nacht im Kopf, sagt sie. "Dann bekomme ich Gänsehaut."

Ihr Partner Daniel befürchtet weitere Wetterextreme für das Dorf - und dass seine Energie dann nicht mehr reicht. "Das nochmal so durchzustehen, das würde ich nicht schaffen."

Die vergangenen Monate haben das Leben der beiden stark verändert. Das Hochwasser ist allgegenwärtig. Seitdem haben sie nur an die Renovierung gedacht und auf alles andere komplett verzichtet. Ihr Leben findet neben dem Job nur noch zu Hause auf der Baustelle statt. Beide wünschen sich "so schnell wie möglich wieder Normalität".

Ein Mann in Arbeitskleidung hält eine Fußleiste aus Holz an eine Wnad. Mit dem Bleistift zeichnet er die richtige Länge ein.
Letzte Handgriffe: Daniel Wiegand bringt im Erdgeschoss Fußleisten an. Bild © hr/Isabell Kramer

Dorf nicht mehr so, wie es war

"Wenn es regnet, kommt die Angst zurück." So drastisch schildert Ortsvorsteher Andreas Haupt die Erlebnisse aus dem Sommer. Sie haben bei ihm, wie bei vielen Menschen im Dorf, Spuren hinterlassen - auch wenn er persönlich nicht betroffen war. Sein Haus liegt oberhalb im Neubaugebiet.

Er selbst war in der Nacht als Feuerwehrmann im Einsatz. Zunächst habe sich "nur der berühmte kleine See bei der Gaststätte Zum Anker gebildet", doch nachdem es immer weiter geregnet habe, "sah die Welt ganz anders aus".

Am nächsten Morgen habe er seiner Frau die erschreckenden Eindrücke geschildert und zu ihr gesagt: "Unser halbes Dorf ist nicht mehr so, wie es vorher war." Bei all der Arbeit, die noch vor den Menschen in Gottsbüren liegt, schaut Haupt nach vorn: "Wir schaffen das!"

Ein Container mit Schutt und kaputten Steinen. Im Hintergrund ist ein Kirchturm zu sehen. Der Himmel ist blau und die Sonne scheint.
Noch immer sind nicht alle Schäden beseitigt, im Dorf steht noch Schutt. Bild © hr/Isabell Kramer

Ein ganzes Dorf, ein Team

Bürgermeister Zeich ist stolz auf "die Solidarität, die Gottsbüren oder die Stadt Trendelburg erfahren hat". Gerade im privaten Bereich habe die Bevölkerung ihre eigenen Belange zurückgestellt und "erstmal da mitgeholfen, wo die Not noch größer war".

Auch Kathrin Budzinski hat die Hilfsbereitschaft im Dorf begeistert. Diese sei schon immer groß gewesen, doch nach der Katastrophe nochmal stärker geworden. "Jeder hilft jedem. Selbst die, die davon betroffen sind, unterstützen." Man sei ein Team - ein Team im Dorf.

Bis Weihnachten will die Familie das Erdgeschoss fertig haben, damit die Eltern Gerd und Inge wieder einziehen können. Bisher wohnen sie in einer Ferienwohnung. Dank der Hilfe von Freunden und Bekannten sieht es gut aus. Und dann will die Familie so schnell wie möglich ihren Urlaub nachholen.

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de mit Material von Isabell Kramer