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Neue Studie zu Post Covid

Nahaufnahme Krankenschein, auf welchem unter der Rubrik "Diagnose" "Post Covid" steht. Daneben liegt ein Kugelschreiber.

Ein Marburger Forscherteam hat einen neuen Ansatz zur Behandlung von Post-Covid-Symptomen gefunden: Cholesterin- und Blutdruck-Medikamente zeigen erstaunliche Erfolge. Eine Entwarnung vor dem Coronavirus will Studieninitiator Bernhard Schieffer im Interview aber nicht geben.

Forschende in Marburg sind einen Schritt weitergekommen bei der Linderung von Corona-Spätfolgen: In einer neuen Studie identifizierten sie ein Protein, das bei Post-Covid-Patientinnen und -Patienten verändert ist. Dann behandelten sie diese Menschen mit einer Kombination von Cholesterinsenkern und Medikamenten gegen Bluthochdruck.

Das Resultat: Bei bis zu 90 Prozent der Betroffenen milderten sich die Symptome wie Müdigkeit, Schwindel, Schlafstörungen oder Herzrasen ab oder verschwanden sogar ganz. Bernhard Schieffer, Leiter der Post-Covid-Ambulanz an der Universitätsklinik Marburg und Mitverfasser der Studie, erklärt im Interview, warum das eine gute Nachricht, aber noch keine Heilung von Long- und Post-Covid ist.

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hessenschau.de: Herr Professor Schieffer, wo stehen wir im mittlerweile fünften Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie aus Sicht der Long- oder Post-Covid-Forschung?

Bernhard Schieffer: Aus Sicht der Long- und Post-Covid-Forschung haben wir es mit zwei Problemen zu tun. Das eine Problem ist, dass jede Corona-Welle weiterhin zwischen acht und 15 Prozent neue Long- oder Post-Covid-Fälle generiert, was laut WHO und RKI auch so bleiben wird. Die Zahlen variieren sehr stark, je nachdem, welche Geschlechts- oder Altersgruppe man anschaut. Das ist ein sehr aktuelles Problem, weil die Menschen nicht mehr akzeptieren, dass es Corona überhaupt noch gibt.

Das zweite Problem ist, dass bei bestimmten Patienten eine Chronifizierung in Richtung einer ME/CFS-Erkrankung droht, dass diese Patienten also dauerhaft krank oder eingeschränkt bleiben. Gemeint sind die Patienten, die während der heißen Phase der Corona-Pandemie bis etwa Ende 2022 infiziert wurden oder die durch den Impfstoff in eine Post-Vac-Symptomatik gestürzt sind. Und die biochemischen Ursachen dieser Chronifizierung kennen wir noch nicht.

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Long- und Post-Covid, ME/CFS

Long-Covid bezeichnet längerfristige, gesundheitliche Beeinträchtigungen nach einer Corona-Infektion, die über die akute Krankheitsphase von etwa vier Wochen hinausgehen. Nach zwölf Wochen wird bei Erwachsenen in der Literatur von Post-Covid gesprochen, bei Kindern und Jugendlichen bereits nach acht Wochen.

ME/CFS kann nach einer Virusinfektion wie dem Pfeifferschen Drüsenfieber, der echten Grippe und COVID-19 auftreten. Eines der Hauptsymptome ist, dass die Patientinnen und Patienten nicht mehr belastbar sind. Diese so genannte post-exertionelle Malaise (PEM) kann durch körperliche oder geistige Anstrengung, und sogar durch Überreizung - etwa durch Licht oder Geräusche - ausgelöst werden.

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hessenschau.de: Sind Lösungsansätze für die Probleme in Sicht?

Schieffer: Es gibt unterschiedliche Ansätze. Es gibt die Strategie des Bundesgesundheitsministers, der in den nächsten Wochen unter anderem einen Off-Label-Medikamentenatlas zur Behandlung freigeben möchte (Off-Label-Medikamente werden bei Krankheiten eingesetzt, für die sie eigentlich nicht zugelassen sind, Anm.d.Red.). Außerdem haben das Bundesministerium für Bildung und Forschung und das Bundesministerium für Gesundheit verschiedene Initiativen angestoßen.

Aber, wie das häufig bei wissenschaftlichen Projekten ist: Sie brauchen einfach Zeit. Die Projekte müssen initiiert werden, müssen anlaufen, begutachtet werden. Es ist weltweit viel getan worden, nicht nur in Deutschland, aber die Mühlen mahlen einfach langsam.

hessenschau.de: Wo setzt nun Ihr aktuelles Forschungsprojekt an?

Schieffer: Unser Projekt zielt auf die Suche nach neuen Biomarkern, die sich für eine Überwachung von Post-Covid-Patienten eignen (Biomarker sind Merkmale, die im Blut oder Gewebeproben gemessen werden können. Sie können Krankheiten anzeigen, Anm.d.Red.) Wir haben das so genannte HDL identifiziert, das High Density Lipoprotein. Es wird auch das "gute Cholesterin" genannt.

Es ist eines der wenigen Moleküle, das in jedes Organsystem hinein- und wieder hinauswandern kann und Zellabbauprodukte mit sich nimmt. Das ist seine biologische Aufgabe. Es wandert am Ende in die Leber zurück, wo diese Abbauprodukte verstoffwechselt werden.

Die Hypothese unseres interdisziplinären Teams war, dass Veränderungen im Cholesterinstoffwechsel und eine langanhaltende Fehlsteuerung des Blutdrucks zumindest teilweise für Post-Covid- oder Post-Vac-Symptome verantwortlich sein könnten.

hessenschau.de: Und Ihre Hypothese hat sich bewahrheitet?

Schieffer: Ja, Hintergrund ist, dass das HDL wie ein Staubsaugerbeutel funktioniert. Es ist für uns ein Blick in die Glaskugel von Post-Covid. Wir finden darin sehr viele aufschlussreiche Moleküle, die auch auf neue biochemische Prozesse hindeuten, die durch Corona beeinträchtigt oder teilweise zerstört werden.

Im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen wies das HDL-Cholesterin der Patientinnen und Patienten signifikante Veränderungen auf. Wir haben den Patientinnen und Patienten dann einen Cholesterinsenker und ein Medikament gegen Bluthochdruck verabreicht.

Vier bis sechs Monate später haben wir die Patientinnen und Patienten nachuntersucht und fast alle - also zwischen 85 und 90 Prozent - haben sich in ihren Symptomen deutlich gebessert oder die Symptome waren komplett verschwunden.

hessenschau.de: Welche Symptome hatten die Studienteilnehmenden? Es gibt ja eine ganze Bandbreite an Symptomen, die auf Post-Covid oder Post-Vac zurückzuführen sein können.

Schieffer: Die Frage nach den Symptomen ist eine sehr kritische. Wir haben die Patienten sehr gut ausgewählt. Wir haben die Symptome unserer vielen Patienten mithilfe eines KI-basierten mathematischen Algorithmus bestimmten Clustern zugeordnet. Darauf basierend haben wir die Patienten ausgewählt und sie dieser Therapie zugeführt.

Die Gruppe, die wir hier untersucht haben, hatte eine infektbedingte Fettstoffwechselstörung entwickelt, das ist die größte Gruppe der Patienten.

hessenschau.de: Es ist aber noch keine ursächliche Post-Covid-Behandlung.

Schieffer: Es ist ein schnell verfügbarer therapeutischer Ansatz, der gewählt werden kann, um die schlimmsten Symptome zu beseitigen. Wir sprechen nicht davon, dass wir ursächlich arbeiten. Wir wissen noch nicht, wie man das Corona-Virus aus dem Körper bekommt. Das ist so ähnlich wie beim Epstein-Barr-Virus oder wie beim HI-Virus. Die adäquate Entwicklung von Medikamenten für eine solche Erkrankung dauert sehr lange.

hessenschau.de: Wie weit ist die Ursachenforschung fortgeschritten?

Schieffer: Wir gehen heute davon aus, dass Covid-19 eine in der Lunge beginnende Erkrankung ist, die sich dann in eine generalisierte Gefäßentzündungserkrankung weiterentwickelt - mit entsprechender Thrombenbildung, mit Störung der Blut-Hirn-Schranke, mit Störung der Gehirndurchblutung und mit entsprechenden Nervenentzündungen.

Daher kommt auch die sehr bunte Post-Covid-Symptomatik von Sehstörungen über Entwicklung von neurodegenerativen Erkrankungen wie MS oder Parkinson bis hin zu entzündungsähnlichen Herz-Muskel-Symptomatiken, Herzschwächen, Elektrolytstörungen am Herzmuskel, und, und, und.

hessenschau.de: Ist Covid-19 auch der Grund dafür, dass die Dauer der Krankschreibungen im Herbst und Winter zuletzt immer länger wurde?

Schieffer: Absolut. Das, was wir von grippalen Infekten kennen, die nach fünf bis sieben Tagen mit oder ohne Arzt vorbei sind, das kennen wir von Corona nicht. Es ging auch jetzt wieder durch die Medien, dass der neue Stamm einen sehr verzögerten und sehr langwierigen Heilungsprozess braucht, damit die Patienten wieder halbwegs auf die Beine kommen.

hessenschau.de: Was brauchen wir vor diesem Hintergrund neben Forschungsgeldern an Ressourcen?

Schieffer: In Hessen sind wir dabei, ein Zentrum für postinfektiöse Erkrankungen wie Post-Covid zu etablieren. Dafür sind die ersten Gespräche geführt, es gibt die ersten Bekenntnisse dazu, dass wir so etwas brauchen. Wir brauchen es auch für zukünftige Pandemien von noch unbekannten Erregern.

Wir müssen verschiedenste Disziplinen zusammenbringen, die alle gebündelt schnellstmöglich dafür sorgen, dass die Patienten versorgt werden. Das ist auch auf Bundesebene sehr viel Überzeugungsarbeit, aber mir ist es noch nicht passiert, dass ich auf verschlossene Türen oder Ohren gestoßen bin.

Es muss auch in die Köpfe der Menschen hinein: Ja, die Pandemie ist vorbei. Nein, die Erkrankung ist nicht vom Tisch. Wir werden uns die nächsten Jahre, vielleicht Jahrzehnte mit weiteren Stämmen, mit weiteren Mutationen dieser Erkrankung auseinandersetzen müssen. Wir alle, denn Sie können sich jederzeit infizieren.

hessenschau.de: Das klingt beunruhigend.

Schieffer: Es geht keinesfalls um Angstmache. Wir verstehen Tag für Tag mehr, aber die Forschung zeigt uns auch, wie langwierig man denken muss, um drei, vier Ecken, und wie transdisziplinär man sich aufstellen muss. Die Biochemie dieser Erkrankung fordert uns komplett heraus.

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Bernhard Schieffer

Professor Bernhard Schieffer ist Leiter der Kardiologie am Fachbereich Medizin der Philipps-Universität Marburg. Er hat die Post-Covid-Ambulanz an der Universitätsklinik Marburg aufgebaut. Neben seiner Arbeitsgruppe beteiligten sich weitere Marburger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Studie.

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Der Marburger Kardiologe Bernhard Schieffer steht in seinem Arbeitszimmer und schaut besorgt.
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Hinweis zu Diskussion der Studie

Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass weitere Untersuchungen mit einer größeren Zahl als je acht PVS/PCS-Patienten notwendig ist. Unsicher sei, ob die Besserung der Symptome langanhaltend seien. Außerdem könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Senkung des Cholesterinspiegels und/oder des Blutdrucks allein zumindest teilweise für die beobachteten positiven Auswirkungen auf PVS/PCS bei Patienten verantwortlich ist.

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