Geplanter Bundeswehr-Fragebogen Was junge Hessen über den "Neuen Wehrdienst" denken
Mit einer Art Bereitschaftsabfrage unter 18-Jährigen möchte Verteidigungsminister Pistorius das Nachwuchsproblem bei der Bundeswehr angehen. Jugendliche aus Hessen haben sich dazu schon eine Meinung gebildet.
Seit dem Ukraine-Krieg wird verstärkt über eine personelle Aufstockung der Bundeswehr diskutiert. Eine allgemeine Wehrpflicht wiedereinzuführen, ist nach Ansicht von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kurzfristig nicht möglich. Daher schlägt er den "Neuen Wehrdienst" ab 2025 vor.
Wer dann 18 Jahre alt wird, soll online einen Fragebogen zugeschickt bekommen. Für Männer soll es verpflichtend sein, ihn auszufüllen, für Frauen freiwillig. Darin würde unter anderem abgefragt, ob sich die jungen Leute für sich den Dienst an der Waffe vorstellen können, erklärte Pistorius.
60.000 mögliche Adressaten in Hessen
Außerdem sollen die Motivation und die körperliche Fitness der jungen Menschen abgefragt werden. Ein entsprechendes Ergebnis vorausgesetzt, kann eine Musterung folgen - auch diese wäre nach Pistorius' Modell für die Männer, die dazu eingeladen werden, Pflicht. Die Entscheidung, überhaupt zur Bundeswehr zu gehen, soll aber freiwillig bleiben. Das Modell sieht mindestens sechs Monate Grundwehrdienst vor. Der Bundestag muss über dieses Modell noch beraten.
In Hessen dürfte es mehr als 60.000 Männer und Frauen betreffen. So viele Menschen im Land werden nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Jahr 2025 volljährig. Drei von ihnen schildern hier, was sie von dem Vorschlag des Bundesverteidigungsministers halten.
Protokolle: Milena Pieper
Ende der weiteren Informationen"Wehrpflicht sollte wiedereingeführt werden"
Roman Rönnefahrt, 17 Jahre alt, Frankfurt
"Ich glaube, der neue Vorschlag, Fragebögen zu verschicken, aber den Wehrdienst freiwillig zu lassen, ist Quatsch. Da würde ich einfach Nein ankreuzen, weil es mich sonst bei der Karriere ein Jahr zurückwirft im Vergleich zu anderen. Ich bin aber total für eine Wehrpflicht - wenn das mit der Option eines Zivildiensts einhergeht. Wenn sie keine Waffe tragen möchten, sollten junge Menschen entscheiden können, der Gesellschaft anders zu helfen. Das sollte für alle gelten, auch für Frauen.
Ich selbst würde mich dann für die Bundeswehr entscheiden. Mein Vater hat das auch gemacht, und ich finde es nicht schlecht, Disziplin zu lernen und vor allem mal mit anderen sozialen Schichten in Kontakt zu kommen. Wenn man in einer Kaserne ist, geht es nicht darum, wer mehr Geld hat oder mehr Macht.
Wenn ich in den Krieg berufen würde, wüsste ich aber nicht, ob ich am Ende Ja sagen würde. Ich will natürlich keinen Krieg, aber irgendwer muss ja die Menschen verteidigen - die Familien zum Beispiel.
Ich habe da in der letzten Zeit viel drüber diskutiert, auch mit meiner Familie. Und ich habe viele Gespräche von älteren Leuten mitgehört, die auch alle sagen, die Wehrpflicht sollte wieder eingeführt werden. Wir sehen jetzt mit dem Nahost-Konflikt, dass es immer mehr Krieg gibt. Mit dem Krieg in der Ukraine ist er immer näher nach Europa gerückt. Das hat auch dazu geführt, dass ich mehr darüber nachdenke."
"Der Fragebogen wird nicht viel ändern"
Malte Orf, 17 Jahre alt, Wolfhagen (Kassel)
"Ich habe mich in den letzten Tagen informiert, wie das genau gemeint ist, was Herr Pistorius vorgeschlagen hat. Ich finde es grundsätzlich gut, über die Bundeswehr zu informieren und auch Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass man da seine Ausbildung machen kann.
Ich finde aber, wenn man einen Fragebogen verschickt, dann sollte es nicht nur für Männer verpflichtend sein, ihn auszufüllen, sondern für alle. Das ist schwierig wegen unseres Grundgesetzes, weil eine Wehrpflicht da nur für Männer vorgesehen ist. Aber dann könnte man zumindest das Interesse beider Geschlechter erfassen.
Wenn ich den Bogen ausfüllen würde, müsste ich ja zum Beispiel meine Motivation und die körperliche Fitness angeben. Ich würde mit meiner momentanen Lebensplanung nicht gern zur Bundeswehr gehen. Ich könnte mir das zwar grundsätzlich vorstellen, habe aber einfach einen anderen Fokus und möchte nach der Schule lieber schnell studieren.
In meinem Umfeld ist der Wehrdienst ein Thema, weil einige überlegen, zur Bundeswehr zu gehen - auch ohne diesen neuen Wehrdienst schon. Ich glaube deshalb, dass so ein Fragebogen nicht so viel ändern wird: Diejenigen, die sowieso zum Militär gehen wollen, werden dann zwar nochmal erinnert, aber die, die nicht gehen wollen, werden das auch weiterhin nicht machen."
"Der Wehrdienst sollte freiwillig bleiben"
Alice Wagner, 17 Jahre, Frankfurt
"Ich verstehe nicht, warum man sagt, dass komplette Freiwilligkeit nicht ausreicht, aber nicht darüber nachdenkt, warum das so ist. Man müsste die Bundeswehr attraktiver machen für junge Menschen. Alles, was man hört, ist: zu wenig Personal, keine Waffen und keine Kapazitäten, Leute auszubilden. Was ich auch damit verbinde, sind Rechtsextremismus und strukturelle Probleme. Dagegen müsste etwas unternommen werden, anstatt Fragebögen zu verschicken. Gleichzeitig finde ich, es darf nicht normalisiert werden, Menschen zu töten.
In meinem Freundeskreis ist der Vorschlag für den 'Neuen Wehrdienst' bisher kein großes Thema. Ich würde den Fragebogen ausfüllen und eine Bereitschaft signalisieren, und es nicht lassen, nur weil ich als Frau die Option habe. Das finde ich auch angesichts von Gleichberechtigung auch nicht mehr zeitgemäß. Ich lehne die Option, zur Bundeswehr zu gehen, nicht komplett ab, aber ich finde, ein Wehrdienst sollte auf jeden Fall freiwillig bleiben.
Nach der Schule kommt für viele aber sowieso eine Zeit, in der man nicht genau weiß, was man machen soll. Ich mache zum Beispiel G8 (Gymnasialzeit in acht Jahren, Anm. d. Red.) und bin recht früh mit der Schule durch. Viele machen ein Gap Year (ein Überbrückungsjahr zwischen Schule und Studium oder Ausbildung, Anm. d. Red.), und ich glaube, auch bei der Bundeswehr kann man viel über sich selbst lernen und herausfinden, was man mit seinem Leben machen möchte. Da sollten wir aber auch über Freiwilligendienste sprechen, nicht nur über den Wehrdienst. Auch Freiwilligendienste machen in Zeiten von Fachkräftemangel ja total Sinn.
Für mich wären eine Grundausbildung bei der Bundeswehr und die Aufgabe, etwa bei einer Flutkatastrophe zu helfen, noch mal etwas ganz anderes als Kriegsdienst. Wenn ich darüber nachdenke, finde ich das angesichts dessen, dass ein Krieg in Europa wieder realistischer erscheint, beängstigend. Eine Wehrpflicht in Friedenszeiten war etwas anderes als die Option, jetzt zur Bundeswehr zu gehen."
Sendung: hr-iNFO, 12.06.2024, 11.09 Uhr
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