Fehlende Fachkräfte, mehr Fälle Personalnot im Frankfurter Jugendamt: "Der Kinderschutz ist gefährdet"

Wegen Personalmangel und Überlastung schlagen Mitarbeitende der Frankfurter Kinder- und Jugendhilfe Alarm. Die Stadt will zwar neue Stellen schaffen - doch schon jetzt sind viele unbesetzt. Gleichzeitig nimmt die Zahl gefährdeter Kinder immer mehr zu.

Menschen mit Plakaten haben sich vor dem Römer aufgestellt. Auf den Plakaten steht: "Wut", "Jugendamt am Limit", "Kinderschutz am Limit".
"Aktive Mittagspause" von Mitarbeitenden des Jugend- und Sozialamtes in Frankfurt am Römer. Bild © Nina Michalk (hr)

"Wir können den Kinderschutz, in der Qualität, wie er gefordert ist, nicht mehr sicherstellen", sagt ein Mann mit schwarzer Mütze. Er möchte anonym bleiben - genau wie die anderen wenigen, die auf der Kundgebung am Frankfurter Römer am Mittwochmittag überhaupt bereit sind, sich vor der Kamera zu äußern.

Sie alle sind Mitarbeitende aus dem Jugend- und Sozialamt der Stadt Frankfurt, die meisten von ihnen aus der Unterabteilung des Kinder- und Jugendhilfe Sozialdienstes (KJS). Sie wollen mit dem Protest während ihrer "aktiven Mittagspause" auf die aus ihrer Sicht unzumutbaren Arbeitsbedingungen aufmerksam machen, auf den gravierenden Personalmangel und die drohenden Folgen für Kinder und Jugendliche in der Stadt.

Videobeitrag

Jugendamtsmitarbeiter protestieren in Frankfurt

hs_22_01_25
Bild © hessenschau.de
Ende des Videobeitrags

"Wir arbeiten alle über unsere Kapazitäten hinaus", sagt der KJS-Mitarbeiter mit der schwarzen Mütze. Rund 60 Stellen allein im Bereich der KJS würden fehlen, heißt es auf Transparenten der Demonstrierenden am Römer.

Amtsleiterin: "Kinderschutz ist gefährdet"

Diese Zahl fehlender Stellen rechnete Amtsleiterin Nanine Delmas in einem internen Schreiben an die Sozialdezernentin der Stadt, Elke Voitl (Grüne) im November vor. Zusätzlich waren zu dem Zeitpunkt demnach weitere 17 Stellen zwar auf dem Papier vorhanden, aber unbesetzt. "Die Auswirkungen sind massiv: der Kinderschutz ist gefährdet!", schrieb Delmas in dem Schreiben, das dem hr in Ausschnitten vorliegt.

Menschen mit Plakaten haben sich vor dem Römer aufgestellt. Auf einem Plakat steht: "60 notwendige Stellen"
60 neue Stellen werden nach Angaben der Amtsleitung benötigt. Bild © Nina Michalk (hr)

Was bedeutet das für die Praxis? "Wir sind immer am Priorisieren, was gerade akuter ist", sagt eine Mitarbeiterin bei der "aktiven Mittagspause" am Römer. "Wenn wir Hilfen einleiten, können wir nicht mehr genau hingucken, ob die Hilfen auch greifen."

Überstunden, Krankenstände und Angst, etwas zu übersehen

Im Zweifel müsse ein Kind länger in einer Situation von Vernachlässigung oder Gewalt bleiben, weil diese nicht schnell genug erkannt werde, erzählt die Mitarbeiterin. "Wir gehen immer mit der Angst nach Hause, dass einem Kind was passiert. Dass wir irgendetwas übersehen haben in der Flut von Fällen."

Der Mitarbeiter mit der schwarzen Mütze schildert, viele seiner Kolleginnen und Kollegen hätten sich schon längst so sehr überarbeitet, dass der Krankenstand dauerhaft hoch sei. Deshalb versuche er, sich nicht in "unendlichen Überstunden zu flüchten". Manchmal blieben vier bis fünf Überstunden in einer Schicht für Inobhutnahmen - also für das vorläufige Aufnehmen und Unterbringen eines Kindes in einer Notsituation durch das Jugendamt - aber trotzdem nicht aus.

Lage bundesweit verschärft

Auf hr-Anfrage erklärt Christian Rupp, Sprecher der Sozialdezernentin Elke Voitl (Grüne), man kenne die Situation und nehme die Sorgen und immensen Belastungen der Mitarbeitenden sehr ernst. "Inhaltlich besteht keinerlei Dissens." Der Fachkräftemangel und gleichzeitig steigende Fallzahlen in der Kinder- und Jugendhilfe seien "bundesweit spürbar", so Rupp.

Auch in Hessen hat das Statistische Landesamt vor wenigen Monaten dazu Zahlen vorgelegt: Im Jahr 2023 waren die Fälle der Kindeswohlgefährdung demnach hessensweit um mehr als 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, die Fälle der Inobhutnahmen um rund 18 Prozent.

"Man hat das Gefühl, Corona hat die Büchse der Pandora geöffnet", sagt die KJS-Mitarbeiterin auf dem Römer. "Jetzt treten Probleme hervor, die vielleicht vorher schon unterschwellig da waren." Das sehe man auch an der Zunahme psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen.

Sozialdezernat: 40 neue Stellen ab Februar

Für die personellen Probleme in Frankfurt verspricht das Sozialdezernat kurzfristig Besserung: Seit man über die unbesetzten und fehlenden Stellen informiert worden sei, habe man 40 neue Stellen für den KJS in den laufenden Haushaltsverhandlungen der Stadt durchgesetzt. Dazu kämen weitere neue 34,5 Stellen in anderen Abteilungen des Jugend- und Sozialamtes. Ab Februar könne man anfangen, diese zu besetzen.

Für die demonstrierenden Mitarbeitenden, die darüber kurz vor ihrer Protestveranstaltung informiert wurden, ist das offenbar nur ein schwacher Trost. Schließlich müsse man erst einmal Bewerber finden, die die Stellen besetzen, sagt der KJS-Mitarbeiter.

Es brauche mehr Geld, aber auch beispielsweise feste Fallgrenzen, fordert seine Kollegin. Das könne das Personal in der Jugendhilfe nachhaltig vor Überlastung schützen - und damit auch die Kinder.

Redaktion: Pia Stenner

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de mit Informationen von Nina Michalk (hr) und Melanie Taylor (hr)