Peter Tauber twittert über Krisenjahr "Demokratie muss jeden Tag erklärt werden"

Peter Tauber twittert täglich über das von Unruhen und Inflation geprägte Jahr 1923. Im Interview sagt der ehemalige CDU-Generalsekretär: Die Lehren aus jenem Jahr sollte uns heute Mut machen.

Ehemaliger Verteidigungsstaatssekretär Peter Tauber (CDU)
Ehemaliger Verteidigungsstaatssekretär Peter Tauber (CDU) Bild © Imago Images
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Twitter ist im Zuge der Übernahme von Elon Musk in die Schlagzeilen geraten. Für Kritik sorgte sein Führungsstil und der mangelhafte Umgang mit Desinformation und Hetze auf der Plattform. Manche sagten schon das Ende des Kurznachrichtendienstes voraus oder brachten Alternativen wie Mastodon ins Gespräch. All das hat beim Gelnhäuser CDU-Politiker und frühen Twitter-Fan Peter Tauber keine Zweifel ausgelöst. Im Gegenteil.

Der ehemalige CDU-Generalsekretär, Bundestagsabgeordnete und Staatssekretär hat Anfang des Jahres bei Twitter ein neues Projekt gestartet. Auf dem Account "Krisenjahr1923" lässt der promovierte Historiker das Jahr wieder aufleben. In täglichen Tweets berichtet er, was vor jeweils genau 100 Jahren in Deutschland passiert ist oder die Menschen bewegt hat. Hier erklärt Tauber, was er mit seinem Projekt erreichen möchte und was sich aus dem Jahr 1923 lernen lässt.

hessenschau.de: Herr Tauber, Ihr Projekt heißt "Krisenjahr 1923". Warum der Blick ausgerechnet auf jenes Jahr?

Peter Tauber: Für uns heute ist spannend, sich an das Jahr zu erinnern. 1923 ist in der Weimarer Republik ein echtes Krisenjahr gewesen, in dem sich die Demokratie bewähren und behaupten musste gegen ihre Feinde. Am Ende des Jahres war es der Republik gelungen, sich zu behaupten, aber das war zum Jahresbeginn alles andere als klar. Und wir erleben heute auch unheimlich viele Krisen und wissen noch nicht so recht, wie wir da durchkommen. Es gibt auch Menschen in Deutschland, die zweifeln daran, dass die Demokratie die richtige Staatsform ist, um all diese Krisen zu meistern. Wie damals auch.

Und es gibt weitere Parallelen. Inflation war beispielsweise vor 100 Jahren in einem anderen Ausmaß als heute ein Riesenthema. Es gab eine Hyperinflation. Viele Menschen sind in Armut gefallen. Kinder haben in Deutschland massiv unter dieser Not gelitten. Es gab Hunger und Armut in einem kaum vorstellbaren Maße.

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hessenschau.de: Gleichzeitig wurde damals für vieles, was heute selbstverständlich ist, der Grundstein gelegt. Gab es neben der Krise auch eine Art Aufbruch oder Fortschritt?

Tauber: Wir haben 1923 - ähnlich wie heute - Kräfte, die miteinander ringen. Es gibt dann im Herbst des Jahres rechtsextreme Umsturzbewegungen in der Weimarer Republik, die in den Hitlerputsch am 8. November münden. Vorher musste die Republik Revolten von links abwehren. Aber es gibt auf der anderen Seite auch eine starke Liberalisierungstendenz. Die Stärkung der Frauenrechte zum Beispiel. Wir haben zum allerersten Mal einen Lehrstuhl an einer deutschen Universität, der von einer Frau besetzt wird. Frauen dringen in handwerkliche Berufe vor, die bisher ihnen verwehrt waren. Wir haben zum ersten Mal weibliche Schöffen bei Gericht. Die Frauen erschließen sich 1923 das öffentliche Leben, nicht vergleichbar zu heute, aber es gibt erste Schritte.

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Wir sind schnell mit dem Urteil über die Vergangenheit bei der Hand. Beim genaueren Hinsehen ist es doch selten schwarz-weiß, sondern es sind eher sehr viele Grautöne.
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Ähnliches sehen wir in der Sozialgesetzgebung: Wir haben zum ersten Mal ein Mieterschutzgesetz, zum ersten Mal ein Schwerbehindertenschutzgesetz. Und die Idee, dass Kinder eigene Rechte haben, entsteht auch aus dieser Zeit. 1923 wird in Berlin auch die erste LGBTQ-Vereinigung, wie wir heute sagen würden, gegründet, eine Art Interessenvertretung von Schwulen und Lesben in Berlin. Es gibt zum ersten Mal eine Art Gayguide in Berlin, der veröffentlicht wird. Schwule Männer wissen so, welche Kneipen zur "Szene" gehören. Auch das würde man dem Jahr 1923 nicht unbedingt zuschreiben.

Es gibt eine Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Entwicklungen: einerseits das Krisenhafte und die große Not, andererseits auch fortschrittliche Bewegungen. Wir sind schnell mit dem Urteil über die Vergangenheit bei der Hand, beim genaueren Hinsehen ist es doch selten schwarz-weiß, sondern es sind eher sehr viele Grautöne.

hessenschau.de: Die Inhalte der Tweets variieren von Ausschnitten aus Zeitungsartikeln bis hin zu Tagebucheinträgen. Wie gehen Sie bei der Auswahl der Inhalte vor? Wie entscheiden Sie, was Sie heute oder morgen twittern?

Tauber: Ich habe mir das natürlich für den Rest des Jahres schon überlegt. Ich sitze nicht abends da und überlege, was morgens getwittert werden kann. Mein Ziel ist es, eine Art Collage entstehen zu lassen. Eine spannende Quelle ist zum Beispiel das Tagebuch von Käthe Kollwitz (bekannte Künstlerin und Grafikerin aus Königsberg, Anm. d. Red.), die diese Not ihrer Zeit zeichnerisch und künstlerisch abbildet und beschreibt. Sie hat aber auch mit ganz eigenen Herausforderungen - Krankheit und familiäre Krisen - zu kämpfen. Dann gibt es viele Tageszeitungen dieser Zeit, die man sich online anschauen kann. Da habe ich von meiner Lokalzeitung, dem Gelnhäuser Tageblatt, bis zum Vorwärts, der großen sozialdemokratischen Zeitung, ganz unterschiedliche Zeitungen angeschaut und verschiedene Schlagzeilen aufgegriffen.

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Es sollen aber auch alltägliche Dinge, die die Menschen als befreiend, als erleichternd, als schön empfunden haben, Raum finden. Das Jahr 1923 ist mit Blick auf Literatur, Kunst und Theater sowie den Film ein spannendes Jahr. Und das, was dann auf den ersten Blick vielleicht Widerspruch zu sein scheint, ist eben auch die Fülle des Lebens, der wir heute ja auch gegenüberstehen.

hessenschau.de: Täglich ein Tweet - das klingt schon aufwendig. Haben Sie jetzt zu viel Zeit, nachdem Sie nicht mehr so auf der großen politischen Bühne stehen?

Tauber: Ich habe einen Lehrauftrag an der Universität der Bundeswehr am Historischen Seminar in München und habe auch ein kleines Buch über den Hitlerputsch und das Krisenjahr 1923 geschrieben, das voraussichtlich im Spätsommer erscheinen wird. Das war mein Ausgangspunkt.

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Ich finde es tröstlich, dass andere Generationen vor uns ebenfalls große Probleme hatten und diese am Ende bewältigt haben. Das darf uns ein wenig Mut machen für unsere Krisen heute.
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Ich beschäftige mich auch mit der Frage, wie man neue Medien für die Vermittlung von Geschichte nutzen kann. Und Soziale Netzwerke sind ein Ort, wo man ganz spannende Diskussionen führen kann, wo man Menschen auf Dinge aufmerksam machen kann. Da ist Twitter nach wie vor eine gute Plattform. Ich persönlich habe bei Twitter nach wie vor die größte Reichweite. So entstand letztes Jahr die Idee zu dem Projekt, es ist also eine Folge meines Buches.

Ich finde es außerdem tröstlich, dass andere Generationen vor uns ebenfalls große Probleme hatten und diese am Ende bewältigt haben. Das darf uns ein wenig Mut machen für unsere Krisen heute. Mut ist eine gute Sache.

hessenschau.de: Wir wissen heute aber auch, dass es doch ganz schlimm enden kann wie zehn Jahre nach 1923, als die Nationalsozialisten an die Macht kommen. Ist das nicht eher desillusionierend?

Tauber: Ich versuche immer, einen positiven Blick zu bewahren. Aber Sie haben natürlich Recht. 1923 gewinnt die Demokratie, aber sie zahlt einen hohen Preis, weil durch die wirtschaftliche Not, die Geldentwertung, die Vernichtung von Eigentum und von Vermögen viele Menschen zusätzlich Vertrauen in die Demokratie und in die Republik verlieren. Und die Republik schafft es auch nicht, trotz der dann folgenden sogenannten Goldenen Zwanziger dieses Vertrauen zurückzugewinnen.

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Wir müssen immer wieder überlegen: Was macht eine wehrhafte Demokratie aus?
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Deswegen ist es nach der Wirtschaftskrise für die extremen Kräfte und vor allem auch für die Nationalsozialisten am Ende möglich, die Demokratie zu stürzen. Aber das ist zum Jahreswechsel von 1923 auf 1924 offen. Und wir müssen uns auch gewahr werden, dass jede Krise, die die Demokratie besteht, sie auch reifen lässt und stärker macht. Das heißt aber nicht, dass sie die nächste Krise automatisch auch besteht.

Also wir müssen immer wieder uns überlegen: Was macht eine wehrhafte, eine starke, resiliente Gesellschaft in der Demokratie eigentlich aus? Da darf man nicht nachlassen. Das ist in der Auseinandersetzung mit Angriffen von außen wie jetzt mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine genauso wie mit inneren Kräften, die die Demokratie zerstören wollen, einem zunehmenden Rechtsextremismus - dem muss eine Demokratie wehrhaft entgegentreten.

hessenschau.de: Sind das also die Lehren, die man aus dem Krisenjahr 1923 ziehen kann?

Tauber: Da gibt's verschiedene, aber das ist eine ganz wichtige. Und sicherlich sollte man bedenken - das ist dann die spätere Folge von 1923 -, dass massive Veränderungen und auch Zumutungen für die Menschen damals die Demokratie sicher nicht gestärkt haben. Es ist in der Demokratie sehr wichtig, auch schwierige politische Entscheidungen gut zu erklären, gut zu begründen, nachvollziehbar zu machen. Demokratie muss jeden Tag erklärt werden von den Menschen, die politische Verantwortung tragen. Da haben wir heute sicher Luft nach oben.

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Peter Tauber

Der CDU-Politiker aus Gelnhausen hat im August 2021 aus gesundheitlichen sowie persönlichen und familiären Gründen sein Bundestagsmandat aufgegeben, wo er seit 2009 Mitglied war. Er war von 2013 bis 2018 CDU-Generalsekretär, danach Parlamentarischer Staatssekretär beim Verteidigungsministerium. Er ist nach wie vor Mitglied des Kreistags des Main-Kinzig-Kreises. Seit August vergangenen Jahres führt der provomierte Historiker eine Beratungsagentur. Tauber ist außerdem Reserveoffizier der Bundeswehr.

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Das Gespräch führte Meliha Verderber.

Quelle: hessenschau.de