Elternbeirat fordert neue Förderschule Platzmangel an Frankfurter Förderschulen

Nicht nur an den Regelschulen in Frankfurt ist es voll. Auch an vielen Förderschulen fehlt es an Plätzen, vor allem an Schulen mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung. Denn die Zahl der Kinder mit geistiger Behinderung steigt - in Frankfurt und hessenweit.

Unterrichtsmaterial liegt auf einem Tisch
In Frankfurt gibt es zu wenige Plätze in Förderschulen. Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)
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7 Uhr. Ein ganz normaler Morgen bei Familie Niederberger in Frankfurt. Alle wuseln durcheinander. Die Eltern müssen zur Arbeit, die Mädchen müssen sich fertig machen für die Schule: Anziehen, frühstücken, Zähne putzen. Die neunjährige Lea geht in die Grundschule um die Ecke. 

Ihre kleine Schwester Zoe hat einen weiteren Weg. Die Sechsjährige hat einen seltenen Gendefekt, das Phelan-McDermid-Syndrom. Sie wird deshalb jeden Morgen in eine Außenklasse der Weißfrauenschule in Frankfurt gebracht. Ihre Eltern hätten sie gerne an einer der öffentlichen GE-Förderschulen - also Förderschulen mit dem Schwerpunkt "geistige Entwicklung" angemeldet. Doch diese waren voll und hatten keinen Platz mehr für Zoe.  

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An diesem Morgen packt Zoes Mutter den Schulranzen, versucht sie zu überzeugen, die Zähne zu putzen. "Es kann sein, dass sie jetzt weiter gut mit macht. Oder, dass es völlig umschlägt und sie komplett dicht macht", so Anne Katrin Niederberger. Ihre Tochter kann kaum sprechen, versteht aber fast alles. Zoe hat auch eine Muskelschwäche und leicht autistische Züge.  

GE-Schulen in Frankfurt voll: 10 Außenklassen eingerichtet   

In der Weißfrauenschule, in die Zoe geht, gibt es zwei neue Klassen mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung. Die Schule selbst hat eigentlich einen ganz anderen Förderschwerpunkt: Dort werden Kinder unterrichtet, die Förderbedarf im Bereich Sprachheil haben, also zum Beispiel lispeln oder einen Sprachfehler haben. 

Nicht nur Zoe und ihre Mitschülerinnen und Mitschüler müssen ausweichen. Aus Platzmangel an GE-Förderschulen gibt es inzwischen zehn solcher Außenklassen in Frankfurt. Verteilt auf Schulen im gesamten Stadtgebiet, die noch freie Klassenräume hatten. In diesem Schuljahr mussten laut Frankfurter Bildungsdezernat 51 Kinder auf solche Außenklassen verteilt werden. 

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GE-Förderschulen

In Schulen mit dem Förderschwerpunkt "geistige Entwicklung" werden Kinder unterrichtet, die laut hessischem Schulgesetz "eine umfassende, schwere und lang andauernde Lernbeeinträchtigung" haben. 

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Doch das sei keine Dauerlösung, kritisiert der Frankfurter Stadtelternbeirat. Denn die Räume seien nicht für diesen speziellen Förderbedarf ausgelegt. "GE-Klassen haben zum Beispiel in der Regel eigene Küchen, um zusammen zu kochen und zu essen" , sagt die stellvertretende Stadtelternbeirätin Astrid Bissinger. Es gebe Differenzierungsräume, wenn Kinder überfordert sind oder ein herausforderndes Verhalten zeigen. All das gebe es an den ausgelagerten Außenklassen nicht.  

Elternbeirat fordert neue GE-Förderschule in Frankfurt  

Der Stadtelternbeirat fordert die Stadt und das Land Hessen deshalb auf, eine Lösung für das Problem zu finden und ein GE-Konzept vorzulegen. "Mit dieser Außenklassen-Mogelpackung kann es jedenfalls nicht weitergehen", meint Bissinger. Frankfurt brauche zeitnah eine neue Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung.

An den meisten Außenklassen ist die Unterrichtszeit kürzer als an einer GE-Förderschule und geht bei Zoes Klasse etwa nur von 9 bis 13 Uhr. Und: Eine GE-Förderschule geht üblicherweise über 12 Jahre oder länger. Zoes Außenklasse endet aber nach der vierten Klasse. Danach stellt sich für die Eltern erneut die Frage, wo sie ihre Tochter unterbringen sollen.  

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Förderschulen oft ausgelastet

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Hessenweit steigen die Zahlen im Förderbereich "geistige Entwicklung"

Einen Anstieg der Zahlen im GE-Bereich gibt es nicht nur in Frankfurt. Die Zahl der Kinder mit geistiger Beeinträchtigung wird laut hessischem Kultusministerium in ganz Hessen voraussichtlich weiter steigen. 

Der Prognose zufolge ist in den kommenden zehn Jahren mit einem Anstieg von gut 37 Prozent zu rechnen. Das ist mehr als ein Drittel. 244 zusätzliche Klassenräume und 397 zusätzliche Stellen für Förderlehrkräfte werden dafür benötigt. 

Grafik zu Förderschulen
Bild © hr

Platzmangel auch in Eschwege und Kassel

Die Förderschulen mit diesem Schwerpunkt spüren den Anstieg schon jetzt. Auch an der Paul Moor Schule in Eschwege, der zentralen Schule mit GE-Förderschwerpunkt im Werra-Meissner-Kreis. 

"In diesem Schuljahr haben wir 155 Schülerinnen und Schüler. Das ist enorm viel für den ländlichen Raum. Letztes Jahr waren es noch 141, das Jahr davor um die 130", sagt Schulleiterin Heike Henn. In diesem Jahr mussten sie deshalb einen Fachraum schließen und in einen Klassenraum umwidmen.

Die staatliche Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung in Kassel, die August-Fricke-Schule, kann sich ebenfalls vor Schülern und Schülerinnen kaum retten. "Jedes Jahr machen wir ein bis zwei Klassen mehr auf", sagt  Schulleiterin Anne Knecht. Es seien auch immer mehr Kinder aus dem Autismus-Spektrum. "Warum das so ist, ist meines Wissens noch nicht hinlänglich erforscht."  

Gründe für hohen Anstieg wissenschaftlich noch nicht geklärt  

Die Frankfurter Inklusionsforscherin Vera Moser von der Goethe-Universität hat mehrere Ansätze dafür, warum es immer mehr Kinder mit der Diagnose "geistige Entwicklungsstörung" gibt. Eine Erklärung könnte sein, dass Kinder, die an den Regelschulen als problematisch empfunden werden und dort nicht klarkommen, zunehmend der sonderpädagogischen Diagnostik zugeführt werden und dann in den GE-Bereich eingestuft werden. 

Moser betont, dass das auch mit den fehlenden Ressourcen an den Regelschulen zu tun haben könnte. Kurz gesagt: Aufgrund des ohnehin schon hohen Lehrkräftemangels und der hohen Arbeitsbelastung auch an den Regelschulen, können Kinder mit größerem Förderbedarf dort oft nicht aufgefangen werden. Und werden in Richtung Förderschulen weitergeleitet. 

Inklusion funktioniere also längst nicht immer gut, so die Wissenschaftlerin: "Hier fehlt es auch an einer konsequenten Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im deutschen Schulsystem." 

Frankfurter Schulpolitik lenkt ein  

Das Thema ist auch in der Frankfurter Schulpolitik angekommen. Bildungsdezernentin Sylvia Weber (SPD) räumt dem hr gegenüber ein, dass möglicherweise eine neue Förderschule mit GE-Schwerpunkt in Frankfurt gebaut werden muss. Vorher wolle man aber die Ergebnisse der Studie abwarten, die die Stadt bei der Inklusionsforscherin Moser in Auftrag gegeben hat. Sie soll die Ursachen der steigenden Zahlen im GE-Bereich untersuchen.

Bisher hatte sich Weber immer gegen den Bau neuer Förderschulen ausgesprochen. Momentan plane man erst einmal die GE-Förderschule Panoramaschule mit einem Holzmodul auf dem Schulhof zu erweitern. "Dafür haben wir alte Pläne wieder ausgegraben, die wir gerade der Realität anpassen", so Weber.   

Die Panoramaschule, eine der beliebtesten GE-Förderschulen in Frankfurt, hatte bereits Überlastungsanzeige gestellt. Zu groß sei mittlerweile die Arbeitsbelastung, zu heftig die Situation für die Lehrkräfte an der Schule. 

Redaktion: Susanne Mayer

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de