Zu wenig Geld, zu viel Bürokratie Platzmangel: Frauenhäuser müssen hunderte Schutzsuchende zurückweisen

Seit Jahren klagen die Frauenhäuser über zu wenige Plätze. Regelmäßig müssten sie Schutzsuchende wegschicken. Die Landesregierung will nun das Angebot ausbauen. Expertinnen halten das gesamte System für unterfinanziert.

Eine Frau sitzt auf einem Sessel und rauft sich die Haare
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Häusliche Gewalt – wie sieht die Versorgungslage in Hessen aus?

hs
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Im September vergangenen Jahres erhielt Jana (Name von der Redaktion geändert) von der Polizei den Rat, ins Frauenhaus zu gehen. Es sei für sie zu gefährlich, bei ihrem gewalttätigen Mann zu bleiben. Jana wandte sich ans Frauenhaus Bergstraße. Dort sagte man ihr, man habe leider keinen Platz für sie. Jana musste bei ihrem Mann in der gemeinsamen Wohnung bleiben.  

In ein weiter entferntes Frauenhaus zu ziehen, hätte Jana ihren Job in der Pflege gekostet und war für sie daher keine Option. Ihr Versuch, selbst möglichst schnell eine eigene Wohnung zu finden, scheiterte, wie sie im Gespräch mit dem hr erzählt. Mitte November hielt sie es aber nicht mehr aus bei ihrem Mann. Sie rief erneut im Frauenhaus Bergstraße an.

Sie habe nicht mehr klar denken können, die Situation damals sei psychisch sehr belastend gewesen, sagt sie. Knapp eine Woche nach ihrem zweiten Anruf bekam sie einen Platz im Frauenhaus und die notwendige Unterstützung. 

Forderung nach deutlich mehr Plätzen

Zu wenige Plätze für schutzsuchende Frauen - kein neues Problem. 2022 standen nach Angaben des hessischen Sozialministeriums in den 31 hessischen Frauenhäusern 426 Plätze zur Verfügung. Im selben Jahr schlug die Landesarbeitsgemeinschaft Hessischer Frauen- und Gleichstellungsbüros (LAG) Alarm: Ihnen fehlten 300 Familienplätze, um gemäß der Istanbul-Konvention (siehe Infobox) ausreichend Schutz bieten zu können. Einer Correctiv-Recherche zufolge waren 2022 die hessischen Frauenhäuser durchschnittlich zu 90 Prozent belegt. 

Allein das Frauenhaus Bergstraße habe im vergangenen Jahr 112-mal eine schutzsuchende Frau nicht aufnehmen können, sagt Martina Evertz, die Vorsitzende des Trägervereins. Von diesen Zurückweisungen seien auch 135 Kinder betroffen gewesen.

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Istanbul-Konvention

Der Europarat fertigte 2011 die sogenannte Istanbul-Konvention aus: einen völkerrechtlicher Vertrag, um "Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen und Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen". Danach gilt unter anderem: ein Frauenhaus pro Region und ein Familienplatz pro 10.000 Einwohnerinnen.

Nach dieser Berechnung bräuchte Hessen nach Angaben des Sozialministeriums 639 Familienplätze in Frauenhäusern. Im Jahr 2022 gab es 426, neuere Zahlen liegen nicht vor. Maßgeblich ist ohnehin der tatsächlich Bedarf. Deutschland verpflichtete sich 2018, den Gewaltschutz für Frauen zu verbessern.  

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Damit ist die Einrichtung in Südhessen beileibe kein Einzelfall, wie eine hr-Anfrage bei mehreren Frauenhäusern in Hessen zeigt. Jede Zurückweisung könnte dazu führen, dass die Schutzsuchenden bei dem Gewalttäter im eigenen Zuhause bleiben müssen - ohne Schutz. 

Mehrere Häuser werden aus-, eines neu gebaut

Erst vor ein paar Tagen sei es wieder passiert, berichtet Evertz: Eine schwangere Frau habe beim Frauenhaus Bergstraße angerufen, sie habe geweint und Hilfe gesucht für sich und ihre drei Kinder. Doch leider habe man sie abweisen müssen, es gebe derzeit einfach keinen Platz bei Ihnen.

Das Sozialministerium in Wiesbaden teilt auf hr-Anfrage mit, man sehe den Bedarf an mehr Frauenhausplätzen durchaus. Insbesondere barrierefreie Plätze werden demnach benötigt. Fünf Projekte zum Aus-, Um- und Neubau würden seit 2020 in Marburg, Gießen und Kassel sowie den Kreisen Darmstadt-Dieburg und Rheingau-Taunus umgesetzt. Ein neues Frauenhaus soll noch in der ersten Jahreshälfte öffnen. An Fördergeld dafür fließen den Angaben nach rund 8,7 Millionen Euro vom Bund und weitere 700.000 Euro vom Land.

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Gewalt gegen Frauen

Im vergangenen Jahr erreichten die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt in Hessen laut Kriminalstatistik einen Höchstwert: Rund 12.000 Fälle wurden erfasst. Seit 2014 steigt diese Zahl jedes Jahr. Über 80 Prozent der Täter sind männlich, über 80 Prozent der Opfer weiblich.  

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Irmes Schwager ist Mitarbeiterin im autonomen Frauenhaus Kassel, einem der größeren Frauenhäuser in Hessen. Es freut sie, dass bei ihnen zu den bestehenden 32 Plätzen 14 neue hinzukämen, barrierefrei noch dazu. Das sei zwar immer noch nicht genug, aber ein großer Zugewinn und eine Erleichterung. 

Wegen bürokratischer Hürden sei es aber nicht einfach gewesen, an das Fördergeld zu kommen, sagt Schwager. Das habe insgesamt nur vereinzelt geklappt, berichtet Birte Prawdzik vom Frauenhaus Wiesbaden, Sprecherin der zehn hessischen Frauenhäuser in Trägerschaft. Dazu kommt, dass das Bundesinvestitionsprogramm nach Angaben des hessischen Sozialministeriums nach dem laufenden Jahr nicht verlängert wird.

Hessen hat Budget für Frauenhäuser erhöht

Die Soziologin Stella Schäfer von der Goethe-Universität Frankfurt hat zu den hessischen Frauenhäusern geforscht und findet: Es muss mehr passieren. Es sei gut, wenn mehr Plätze gebaut werden. Notwendig seien aber auch die Schulung von Personal in Frauenhäusern und dem Unterstützungsnetzwerk, etwa bei der Polizei, in Ämtern und unter Ärzten, sowie eine langfristige Finanzierung notwendig.

Die Finanzierung der Frauenhausplätze ist in Deutschland nicht einheitlich geregelt. Die Bundesländer entscheiden, wie viel Geld sie für Frauenhäuser ausgeben wollen. In Hessen sind das laut Sozialministerium in diesem Jahr rund 7,5 Millionen Euro, knapp zwei Millionen Euro mehr als zu Beginn der vergangenen Legislaturperiode. Doch dieses Geld bedeutet nicht unbedingt, dass Frauen sich die Angebote eines Frauenhauses auch leisten können.

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"Faktisch ist es momentan so, dass Gewaltbetroffene für die Plätze selbst bezahlen müssen - es sei denn, sie können Bügergeld beantragen", sagt Soziologin Schäfer. So würden die Kosten der Frauenhäuser gedeckt, doch das System schließe bestimmte Gruppen aus, die keinen Anspruch auf Bürgergeld haben, unter anderem Studentinnen, Rentnerinnen und EU-Bürgerinnen.

Expertin: Das System muss sich ändern

Für Schäfer ist klar: Das System muss sich ändern. Bisher werde bei den Kosten der Unterbringung einzelfallabhängig entschieden. Zusätzlich müssten Frauenhäuser einen Teil ihrer Betriebskosten über Spenden eintreiben.

Irmes Schwager vom Frauenhaus Kassel regt diese Regelung auf. Die Frauen suchten nach anonymem Schutz vor einer Gefährdung für Leib und Leben und müssten mit ihrem Vermögen für diese Leistung geradestehen. "Das ist keine Leistung, das ist ein Menschenrecht, das die Frau wahrnimmt: Schutz vor Gewalt", betont Schwager.

Auch ein Finanztopf für Kosten für Dolmetscherinnen und Dolmetscher sei momentan nicht nutzbar, kritisieren Schwager sowie Birte Prawdzik vom Frauenhaus Wiesbaden. Viele Frauen benötigten Unterstützung durch Übersetzungen, etwa bei juristischen Angelegenheiten.

Kritik an bürokratischen Hürden

Die Idee eines Sprachmittlungsprogramms sei super, so Prawdzik. Aber auch auch hier seien die bürokratischen Hürden zu hoch gewesen. Die Mittel seien ihnen Anfang Dezember vergangenen Jahres bewilligt worden, aber nicht auf das Jahr 2024 übertragbar gewesen, stattdessen hätten die Frauenhäuser sie zurückzahlen müssen. Laut Sozialministerium wird derzeit daran gearbeitet, das Geld für dieses Jahr zugänglich zu machen.

Das Sozialministerium teilte dem hr mit, die Landesregierung stehe im kontinuierlichen Austausch mit den Vertreterinnen der Frauenhäuser zu aktuellen Herausforderungen. Vertreterinnen mehrerer Frauenhäuser sagten auf hr-Anfrage, bei ihnen habe sich noch niemand aus Wiesbaden gemeldet.

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Redaktion: Stephan Loichinger

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 29.04.2024, 19.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de