Projekt in Stadtallendorf Bundeswehr will depressiven Soldaten besser helfen

Die Volkskrankheit Depression trifft auch Soldaten. Viele Betroffene holen sich erst spät Hilfe. Am Bundeswehrstandort in Stadtallendorf startet nun ein neues Projekt: Es soll psychische Erkrankungen beim Militär enttabuisieren.

Soldaten der Bundeswehr laufen über den Appellplatz. (dpa)
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Kampf gegen Depressionen in der Bundeswehr

hs 31.01.2023
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Übungsende, sagt man bei der Bundeswehr. Nichts geht mehr, das stellt vor drei Jahren auch Oberstleutnant Sebastian B. fest. In wenigen Tagen ist Silvester, aber B. kann nicht mehr aufstehen. Eine ganze Woche lang bleibt er im Bett liegen. Und er weiß nicht, warum.

"Alles war dunkel, düster und hoffnungslos", berichtet er. "Ich wusste nicht, was das ist." B. ist zu dieser Zeit Anfang 40, mehr als die Hälfte seines Lebens hat er als Berufssoldat in der Bundeswehr verbracht. Bisher funktionierte er immer gut, hat keine privaten Probleme, ist erfolgreich im Beruf.

Bis zu diesem Moment, in dem er nicht mehr anders kann, als zu erkennen: Irgendwas stimmt nicht. "Als hätte die Seele den Notausschalter gedrückt." Als er sich wieder hochraffen kann, packt er einen kleinen Koffer und fährt in ein Militärkrankenhaus. Im Flur spricht er einen Arzt an. "Ich brauche Hilfe", sagt er.

Jeder Fünfte ist betroffen

Jeder fünfte Deutsche leidet irgendwann im Laufe seines Lebens an einer depressiven Episode. Depressionen gelten als Volkskrankheit, die lange verschwiegen und häufig immer noch unterschätzt wird. Die Krankheitsrate unter den rund 250.000 Mitarbeitenden der Bundeswehr ist ähnlich hoch wie im Rest der Bevölkerung. Aber: Im auf Stärke und Durchhaltevermögen ausgelegten Militärbetrieb sind psychische Krankheiten immer noch ein besonderes Tabuthema.

"Es geht bei uns viel um Robustheit", berichtet Oberstleutnant Sebastian B. "Man ist darauf gepolt zu funktionieren und muss das auch, denn sonst funktioniert ja so eine Armee nicht." Die Bundeswehr sei noch immer sehr männerdominiert und streng hierarchisch gegliedert, bei vielen herrsche immer noch ein gewisses Bild an Männlichkeit und Führung vor, in das eine Depression einfach nicht hineinpasse. "Das ist dann nicht systemkonform", sagt er.

Neues Bündnis für psychische Gesundheit

Die Bundeswehr will daran arbeiten. Gemeinsam mit der Stiftung Deutsche Depressionshilfe hat sie das Bündnis "Psychische Gesundheit in der Bundeswehr" geschlossen. Das Ziel: mehr aufklären und die Hemmschwelle für ihre Mitarbeitenden senken, sich Hilfe zu suchen.

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Der Bundeswehrstandort im mittelhessischen Stadtallendorf (Marburg-Biedenkopf) ist einer von acht bundesweiten Pilotstandorten für ein dreijähriges Projekt, das auch wissenschaftlich begleitet wird. In Stadtallendorf fand diese Woche eine Auftaktveranstaltung statt.

Im Rahmen des Projekts sollen verschiedene Aufklärungsveranstaltungen stattfinden, auch das medizinische und psychologische Fachpersonal vor Ort soll mehr geschult werden. Zudem soll ein spezielles Online-Programm Betroffene mit leichteren Depressionsformen beim eigenständigen Umgang mit den Symptomen unterstützen.

"Depression ist kein Weicheiproblem"

Für Psychotherapeutin Hanna Reich de Paredes von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention ist die Bundeswehr eine hochaktuelle Zielgruppe. Bundeswehrangehörige seien zwar nicht häufiger betroffen als der Rest der Bevölkerung, aber sie seien durch ihre Arbeit häufig besonderen Belastungen ausgesetzt, etwa potentiell traumatischen Erlebnissen und anderen Stressfaktoren.

"Mein wichtigstes Ziel ist zu vermitteln, dass Depression eine schwere, potentiell gefährlich Erkrankung ist und kein Weicheiproblem und auch kein Burnout."

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Hilfe für Betroffene

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe hat auf ihrer Internetseite Telefonnummern und Adressen für Betroffene und deren Angehörige zusammengestellt.

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Oberstarzt Gerd-Dieter Willmund leitet die Forschungssektion des Zentrums für Psychiatrie und Psychotraumatologie der Bundeswehr. Er sagt: Das Rollenverständnis von Soldatinnen und Soldaten erschwere es ihnen manchmal sich Hilfe zu suchen.

"Viele versuchen erst mal alleine damit klar zu kommen, haben Ängste, dass Kameradinnen und Kameraden schlecht reden oder sorgen sich, was Vorgesetzte denken und wie die Karriere weitergeht." Man wolle das Vertrauen in die Versorgung stärken, so dass sich die Soldatinnen und Soldaten möglicherweise früher melden und eine Behandlung beginnen.

Es sei deshalb wichtig zu erklären, dass es sich nicht um eine persönliche Schwäche, sondern um eine Erkrankung des Gehirns handle, die man inzwischen auch sehr gut behandeln könne. Wie sie entstehe, sei häufig "multifaktoriell", erklärt Willmund. Eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund eines Auslandseinsatzes könne ein Faktor sein. Meistens gehe eine Depression bei Soldatinnen und Soldaten aber auf mehrere unterschiedliche Anlagen zurück, erworbene und angeborene.

Betroffener Soldat: Wieder voll im Dienst

Sebastian B. hat nach seinem Totalausfall inzwischen wieder Fuß gefasst. Ein ganzes Jahr lang verbrachte er in Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen, dann folgte eine berufliche Wiedereingliederungszeit. Inzwischen gehe es ihm wieder gut, sagt er, er sei wieder voll dienstfähig. Er habe gelernt, mehr auf sich zu achten und mögliche Warnsignale früh zu erkennen. Von der Bundeswehr als Arbeitgeber habe er in dieser Zeit viel Unterstützung erfahren.

Im Rahmen der neuen Initiative will der Oberstleutnant nun seine Kameradinnen und Kameraden aufklären über die Krankheit, damit eine Depression in Zukunft weniger als Makel gilt und schambehaftet ist. Er höre viel positives Feedback für seine Offenheit. "Immer wieder bekomme ich auch gesagt, wie mutig das von mir ist, darüber zu reden." Er meint: Solange es dafür in den Augen so vieler Soldatinnen und Soldaten offenbar noch viel Mut brauche, ist offenbar noch viel zu tun.

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Hilfe bei Suizidgedanken

Suizidgedanken sind häufig eine Folge psychischer Erkrankungen. Letztere können mit professioneller Hilfe gelindert und auch geheilt werden. Hier finden Sie Hilfsangebote für Betroffene und Angehörige.

Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr kostenfrei und anonym erreichbar unter der bundeseinheitlichen Telefonnummer: 0800 - 111 0 111 oder 0800 - 111 0 222.

Um die Anonymität der Anrufer zu wahren, ist die Übermittlung der Rufnummer gesperrt und wird somit in keinem Display der Telefonseelsorge angezeigt. Anrufe bei der Telefonseelsorge werden auch im Einzelverbindungsnachweis nicht aufgeführt.

Auch im Internet kann die Telefonseelsorge kontaktiert werden unter: telefonseelsorge.de

Weitere Informationen zu Hilfsangeboten - beispielsweise Selbsthilfegruppen - finden sich auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: suizidprophylaxe.de

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Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 31.1.2023, 19.30 Uhr

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Quelle: Rebekka Dieckmann, Jochen Schmidt, hessenschau.de