Prügel-Priester Josef Gutmann Amöneburg ändert jetzt doch umstrittenen Straßennamen

Er prügelte Schüler bewusstlos, zertrümmerte Trommelfelle, trat sie von Kopf bis Fuß. Nach jahrelangen Diskussionen wird die Dr. Josef-Gutmann-Straße in Amöneburg umbenannt. Für die Opfer ist das ein jahrzehntelang ersehntes Zeichen der Anerkennung ihres Leids.

Straßenschild mit der Beschriftung "Dr. Josef-Gutmann-Straße". Hinter dem Straßenschild liegt eine farbige Fläche, dahinter unscharf leicht verfärbt Strukturen eines Baumes.
Die Dr. Josef-Gutmann-Straße wird nun doch umbenannt Bild © hr, hessenschau.de (grafische Bearbeitung)
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Pure Erleichterung - so beschreibt Winfried Kaul seinen Gefühlszustand nach der Abstimmung. "Es war knapp", meint Kaul. "Knapper als wir erwartet hatten."

Seit mehr als zehn Jahren setzen sich der 78-Jährige und andere Opfer dafür ein, dass in Amöneburg (Marburg-Biedenkopf) keine Straße mehr nach dem Peiniger ihrer Kindheit und Jugend heißt. Der Priester und Schulleiter der Amöneburger Stiftsschule, Josef Gutmann, verprügelte in den 1950er- und 1960er-Jahren nachweislich zahlreiche Schüler brutal.

Für Kaul war das Straßenschild eine ständige Erinnerung an das, was Gutmann ihm und anderen damals antat - und daran, dass sich jahrzehntelang niemand darum scherte. Nun steht fest: Die Straße wird umbenannt. Am Sonntag sprachen sich 53,4 Prozent der Wahlberechtigten im Bürgerentscheid dafür aus. 46,6 Prozent stimmten dagegen.

Historische Aufarbeitung bestätigt schwere Misshandlungen

Vorausgegangen waren jahrelange, teils heftige Debatten in der Amöneburger Politik und Stadtgesellschaft um das Gedenken an Gutmann (1913-1997). Der Pädagoge und Theologe baute nach dem Zweiten Weltkrieg die Stiftsschule wieder mit auf.

In Amöneburg, einer katholischen Enklave im protestantischen Umland, wurde er dafür hochgeachtet. So sehr, dass 1977 noch zu seinen Lebzeiten eine Straße nach ihm benannt wurde - ein ungewöhnlicher Vorgang.

Historisches Bild
Josef Gutmann (1913–1997) leitete bis 1964 die Schule Bild © privat

Nachdem 2010 dann Vorwürfe gegen Gutmann laut wurden, wurden seine Gewaltorgien in einem Gutachten ausführlich dokumentiert und historisch eingeordnet. Sowohl Schule als auch Bistum Fulda distanzieren sich mittlerweile deutlich von Gutmann.

Demnach malträtierte der Lehrer Schüler mit Tritten, schmetterte sie gegen die Tafel, schlug Trommelfelle kaputt. Zum Teil prügelte Gutmann Kinder krankenhausreif und bis zur Bewusstlosigkeit. Laut Gutachten war er möglicherweise sogar für den Tod eines Schülers verantwortlich, was allerdings nie vollständig aufgearbeitet wurde.

Das Gutachten stellt auch fest: Diese "Züchtigungen" des Priesters lagen auch für damalige Verhältnisse weit außerhalb dessen, was zu dieser Zeit üblich und erlaubt war. Von den darüber informierten Verantwortlichen wurde sein Verhalten jedoch nicht geahndet.

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Prügelstrafe in Deutschland

Die Prügelstrafe gehörte in Deutschland lange Zeit zum Alltag vieler Menschen, ob in der Familie, im Strafvollzug, beim Militär oder in Schulen. Auch im Nachkriegsdeutschland wurden Kinder an vielen Schulen noch körperlich "gezüchtigt". In Hessen wurde dies offiziell 1946 verboten, in den meisten anderen Bundesländern erst deutlich später. Ein bundesweites Verbot kam 1973, obwohl man sich in Bayern noch zehn Jahre lang auf ein "gewohnheitsrechtliches Züchtigungsrecht" berief. Elterliche Prügel wurden erst im Jahr 2000 verboten.

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Langer Kampf der Opfer um Anerkennung

Auch Winfried Kaul wurde damals mit Füßen getreten und gedemütigt, wie er dem hr bereits vor rund einem Jahr ausführlich berichtete. Heute sagt er: Schlimm sei für die Opfer auch gewesen, dass ihnen in Amöneburg viele Jahre lang nicht zugehört worden sei.

Kaul meint: In vielen Amöneburger Familien habe man durchaus Bescheid gewusst über das, was in der Schule passierte. Aber man habe einen Mantel des Schweigens darüber gelegt. Die damalige Haltung sei gewesen: Wenn der Geistliche straft, dann muss es ja richtig sein.

Für viele bis heute ein Tabu-Thema

Für viele Ältere sei das Thema bis heute ein Tabu, meint Kaul. Viele Jüngere wüssten einfach nichts davon. Dieser "irgendwie verkorkste Zugang zur Vergangenheit" zeige sich auch daran, dass das Ergebnis nun so knapp ausgefallen sei.

Trotzdem habe sich in den vergangenen Jahren viel getan, meint er. Auf Infoveranstaltungen in den vergangenen Wochen hatten Kaul und andere frühere Gutmann-Schüler von ihren Erlebnissen berichtet. Von den Besuchern habe es dabei viel Verständnis und Unterstützung gegeben.

Mann mit hr-Mikrofon
Winfried Kaul begann vor 12 Jahren, öffentlich über die Vorfälle in seiner Kindheit zu sprechen Bild © hr

Auch eine Erziehungswissenschaftlerin und eine ehemalige Volksschullehrerin hätten die Vorgänge und die traumatischen, oft lebenslangen Folgen für die Betroffenen eingeordnet. "So genau beschrieben habe ich mich noch nie gefühlt", sagt Kaul.

Und: Es hätten sich dabei noch mehr Betroffene gemeldet und erstmals öffentlich von ihren Erlebnissen berichtet. "Das war sehr ergreifend."

Anwohner gegen Umbenennung

Trotz des Gutachtens hatte das Stadtparlament vor einem Jahr entschieden, die Gutmann-Straße beizubehalten. Besonders der Ortsbeirat war gegen die Umbenennung und berief sich auf eine Befragung unter den rund zwei Dutzend Hauseigentümern an der Straße.

Sie argumentierten unter anderem mit etwaigen Kosten und Umständen, obwohl ihnen die Stadt zwischenzeitlich pauschal 150 Euro dafür angeboten hatte. Ein CDU-Abgeordneter schlug damals vor, man könne den Straßennamen ja auch als eine Art Mahnung betrachten.

Eine Bürgerinitiative setzte sich jedoch weiterhin für eine Umbenennung ein und erreichte schließlich die nötigen Stimmen für einen Bürgerentscheid. Auch der Magistrat der Stadt widersprach damals dem Beschluss der Parlamentarier.

Wie es jetzt weitergeht

Bürgermeister Andre Schlipp (parteilos) sagte nun dem hr: Er habe mit einem eindeutigeren Votum für die Umbenennung gerechnet. Über das weitere Vorgehen soll nun die Stadtverordnetenversammlung in ihrer nächsten Sitzung im Mai beraten.

Auch im Ortsbeirat könnten Vorschläge für neue Namen gemacht werden. Ihm persönlich gefalle der Vorschlag eines Bürgers, die Straße in "Vergissmeinnichtweg" umzubenennen.

Zusätzlich soll in der Stadtverordnetenversammlung noch beraten werden, ob ein Zusatzschild unter dem neuen Straßennamen oder möglicherweise in direkter Nähe der Schule angebracht wird, das per QR-Code auf die Geschichte und das Gutachten zu Gutmanns Taten verweist.

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de