Studien zu Kindern und Jugendlichen Psychische Probleme und Essstörungen auch nach Corona auf hohem Niveau
Die Corona-Pandemie hat Kinder und Jugendliche nachhaltig beeinflusst. Die Zahlen zu psychischen Erkrankungen sind hoch. Vor allem Mädchen sind betroffen. Ärzte und Wissenschaftler fordern mehr Beachtung.
Hannah Helena Kroh machten psychische Probleme lange zu schaffen. Die junge Frau aus Südhessen litt unter Depressionen, Essstörungen und Magersucht. "Ich hatte überhaupt keine Lebensfreude mehr. Mir war alles egal", berichtet die heute 19-Jährige im Rückblick.
Während der Corona-Pandemie sei es besonders schlimm gewesen. "Im Jahr 2021 hatte ich den Tiefpunkt. Ich habe mich isoliert gefühlt, Angst und Unsicherheit gespürt", sagt Kroh. Doch mit Hilfe von Therapie arbeitete sich die Abiturientin aus dem Tief heraus. "Ich bin auf dem richtigen Weg." Mittlerweile genießt sie auch wieder Pizza, Kuchen und Eiscreme, wie sie in ihrem Instagram-Profil als Mutmacherin für andere gerne zeigt.
Psychische Erkrankungen auf hohem Niveau
So wie Kroh ergeht es laut Fachleuten aus Medizin und Wissenschaft erschreckend vielen jungen Menschen. Psychische Erkrankungen von Heranwachsenden sind in Deutschland einer neuen Analyse zufolge auf einem hohen Niveau.
Nach Anstiegen seit der Corona-Pandemie gab es 2022 im Vergleich zu 2021 zwar leichte Rückgänge in den ambulanten und stationären Behandlungszahlen, wie eine Auswertung der Krankenkasse DAK-Gesundheit ergab. So erhielten 2022 elf Prozent weniger jugendliche Mädchen eine Neu-Diagnose als 2021. Bei Jungen gebe es einen Rückgang von fünf Prozent.
Mehr Jugendliche als vor Corona betroffen
Trotzdem seien immer noch mehr Jugendliche betroffen als vor der Corona-Pandemie - insbesondere bei den Mädchen. Hier gab es 2022 im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 ein Plus von sechs Prozent. Insgesamt wurde 2022 bei rund 110 000 jugendlichen Mädchen eine psychische Erkrankung oder Verhaltensstörung neu diagnostiziert. Den Daten zufolge leiden jugendliche Mädchen am stärksten unter Depressionen, Angststörungen und Essstörungen.
Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit, sagte zur Studie: "Die Ergebnisse sind besorgniserregend. Leichte Rückgänge bedeuten nicht, dass jetzt alles wieder in Ordnung ist. Im Gegenteil: Das Leiden vieler Kinder und Jugendlicher verfestigt sich." Er fordere mehr Prävention in Schulen, Vereinen und der Kinder- und Jugendarbeit. "Denn es geht um die Zukunft unserer Kinder."
Jugendliche Mädchen besonders betroffen
Markant auch eines des Ergebnisse der aktuellen Analyse: Jugendliche Mädchen, so wie Hannah Helena Kroh aus Südhessen, sind im Alter von 15 bis 17 Jahren besonders gefährdet. Bei Ängsten und Essstörungen sind die Zahlen seit Corona hoch. Im Vergleich zu 2019 wurden 44 Prozent mehr Fälle registriert.
Deswegen sagt Thomas Fischbach, Präsident des "Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen" (BVKJ): "Die Ergebnisse sind sehr beunruhigend." Die Pandemie sei gerade für Jugendliche eine Grenzerfahrung gewesen. Sie seien aus einem sicher gewähnten Leben herausgerissen worden.
"Aus dem Lot gebracht"
Sorgen bereiteten den Heranwachsenden auch der Ukraine-Krieg und die dramatischen Folgen des Klimawandels. "Das hat die innere Stabilität vieler Jugendlichen nachhaltig aus dem Lot gebracht und psychischen Erkrankungen Vorschub geleistet", erläutert Fischbach.
Während sich viele Untersuchungen mit quantitativen Erhebungen zum Thema beschäftigen, ist Nachwuchs-Forscherin Katharina Rupprecht einen anderen Weg gegangen. Sie hat sich mit qualitativen Interviews dem Phänomen genähert. Für ihre Studienarbeit an der Hochschule Fulda wurde die 27-Jährige vor kurzem sogar ausgezeichnet. Der Berufsverband Oecotrophologie (VDOE) prämierte sie und weitere herausragende Nachwuchswissenschaftlerinnen.
Die Ernährungswissenschaftlerin untersuchte, wie die Covid-19-Pandemie Essstörungen bei Jugendlichen beeinflussten. Rupprecht befragte in einer stationären, psychotherapeutischen Einrichtung erkrankte oder rückfällig gewordene Jugendliche. Sie analysierte auch, wie Kontaktbeschränkungen, weniger Bewegung, mehr Medienkonsum und ein erschwerter Zugang zu Hilfsangeboten und Therapie sich auswirkten.
Forderung: Krisenfolgen für junge Menschen mitdenken
Ergebnis: Alle Jugendlichen berichteten von einer Beeinflussung ihrer Essstörungen durch die Auswirkungen der Pandemie. Sie seien "Mitauslöser" oder "Verstärker" gewesen. Besonders belastend: die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen sowie die veränderte Schulsituation.
Daher sagt Rupprecht mit Blick auf potenzielle Pandemien oder vergleichbare künftige Krisen: Es sei wichtig, Schutz- und Risikofaktoren als Anliegen der öffentlichen Gesundheit mitzudenken. "Vor allem in Krisenzeiten sollten die Auswirkungen, die ein veränderter Alltag für die Jugendlichen haben kann, politisch und gesellschaftlich berücksichtigt werden."
Sendung: hr4, 22.11.2023, 7.30 Uhr
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