Treffen in Gasthof Reichsbürger werben bei nordhessischem Unternehmer um Mitglieder
Bei einem Vortrag stellt der Autor des Buchs "Die BRD-GmbH" seine kruden Theorien vor. Eingeladen hat ihn ein Geschäftsmann aus Niestetal, der wiederholt öffentliche Aufträge erhielt. Und der auch sonst aktiv in der Reichsbürger-Szene ist.
Etwa 60 Menschen sitzen an einem Samstag Mitte November im alten Saal des Gasthofs Fuldagarten in Staufenberg-Spiekershausen gleich hinter der hessisch-niedersächsischen Grenze. Ihre Stimmen schwirren durcheinander. Am Eingang steht eine Spendenbox. Es werden Beitrittsformulare für den "Verband Deutscher Wahlkommissionen" verteilt, der der Reichsbürgerbewegung zugeordnet wird. "Erklärung zur Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung des Deutschen Volkes" steht darauf.
Ob die Weltgesundheitsorganisation bald die Weltherrschaft übernehme oder dass alle Terroranschläge wie der Anschlag vom 11. September 2001 in New York von den Regierungen inszeniert worden seien: Keine Frage, keine Verschwörungserzählung scheint den Anwesenden zu abstrus zu sein, um darüber nicht miteinander ins Gespräch zu kommen.
Vortrag über "Die BRD-GmbH"
Nach etwa einer halben Stunde betritt der erste Redner die Bühne. "Ich bin sehr dankbar, dass ich heute hier sprechen kann", sagt er ruhig, "denn wie wir alle wissen, leben wir in Zeiten faschistischer Zensur." Viele der Zuhörerinnen und Zuhörer nicken.
Wer hier spricht, ist der szenebekannte Psychiater Klaus Maurer. Er hält einen Vortrag über sein Buch "Die BRD-GmbH". Er ist der Auffassung, dass die Bundesrepublik Deutschland kein Staat sei und das Grundgesetz keine Verfassung.
Maurer arbeitete jahrelang als Gerichtsgutachter. Obwohl er derart öffentlich die Grundlage der Bundesrepublik leugnet, begleitete er während seines Berufslebens allein in Hessen 1.968 Verfahren als Gerichtssachverständiger, wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel herausfand.
Von der Meinungsfreiheit gedeckt
Der hr hat drei Staatsrechtler gefragt, was sie von solchen Aussagen halten. Die Juristen ordnen diese kruden Theorien als noch von der Meinungsfreiheit gedeckt ein. Dies gelte, solange die Grenze zu Volksverhetzung oder Antisemitismus nicht überschritten werde. Auch müsse sich eine Regierung mehr öffentlich kritisieren lassen als etwa eine Privatperson.
Der "Verband Deutscher Wahlkommissionen" versuche aber immer wieder, gezielt Menschen für Wahllisten zu gewinnen, um so eigene Wahlen durchzuführen. Letztlich gehe es den Mitgliedern darum, die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland zu überwinden, warnt das hessische Landesamt für Verfassungsschutz in einem Schreiben an den hr.
Organisator des Treffens kommt aus Niestetal
Rund 1.200 Reichsbürger gibt es laut Verfassungsschutzbericht in Hessen, Tendenz steigend. Deutschlandweit gehören der Szene nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamts und des Bundesamts für Verfassungsschutz rund 23.000 Menschen an.
"Neben Verschwörungsnarrativen finden sich geschichtsrevisionistische, fremdenfeindliche, rassistische, antisemitische sowie fundamentalistisch christliche und esoterische Positionen wieder", schreibt der hessische Verfassungsschutz in seinem Bericht. Eine Veranstaltung wie jene in Staufenberg-Spiekershausen ordnet der Verfassungsschutz der Bewegung der Reichsbürger und Selbstverwalter zu.
Organisiert hat sie hauptsächlich Dirk B. aus Niestetal (Kreis Kassel), der bei Maurers Vortrag in der letzten Reihe sitzt und applaudiert. Ihm gehört der Gasthof Fuldagarten.
Alternativer Veranstaltungsort
Mitte Oktober lud Dirk B. den Comedian Nikolai Binner in seinen Gasthof in Spiekershausen ein. Die Tageszeitung taz ordnet Binner der Neuen Rechten zu, 2022 erhielt er im Kasseler Live-Club Theaterstübchen ein Auftrittsverbot.
Er wolle kein "rechtsoffenes Programm" zulassen, lautete damals die Begründung des Kasseler Veranstalters. Dirk B. bot Binner mit dem Fuldagarten einen neuen Veranstaltungsort ganz in der Nähe an. Selbstsicher posieren die beiden auf Fotos bei Facebook und Telegram.
Auf Telegram schickt B. der Community Videos von vergangenen Veranstaltungen wie dieser, aber auch organisatorische Hinweise, Fotos und sogar die Speisekarte des Restaurants.
Den Gasthof kaufte B. im Jahr 2016. Ein Motiv dafür könnte auch die Geschichte des Ortes gewesen sein: Immer wieder teilt Dirk B. auch historische Postkarten aus Zeiten des Kaiserreichs in Sozialen Medien.
Umsturz-Metapher und Werbung für Hüpfburgverleih
Die Plattformen nutzt B. auch dazu, um zu den Reichsbürger-Veranstaltungen einzuladen. Dazwischen teilt er immer mal wieder aufrührerische Videos. Ein Video von Bienen, die eine Hornisse töten, versah er mit dem Kommentar: "Mehr als Metapher zu verstehen." Der Post steht mitten zwischen Werbeposts für einen Hüpfburgverleih und einen Bürgertreff.
B. reagiert zwar auf eine schriftliche Anfrage des hr, doch zur Sache äußert er sich nicht. Auch darauf, wie seine Anspielung gemeint sei, antwortet er nicht.
Als Unternehmer in Kassel und Umgebung gut vernetzt
Dirk B. ist auch als Unternehmer aktiv. Er besitzt eine Firma, die Garagen, Zäune und Rolltore verkauft. "Wir setzen schöne Grenzen", sei dort sein Motto, sagte er der Zeitung HNA in einem Interview 2018. Zudem habe er sich vorgenommen, "ausschließlich mit deutschen Herstellern zusammenzuarbeiten, um hierzulande Arbeitsplätze zu schaffen". Im Gasthof Fuldagarten vermietet er unter derselben Umsatzsteuer-Identifikationsnummer Wohnungen.
In der regionalen Wirtschaft scheint B. gut vernetzt. Er ist nicht nur Vorsitzender eines Gewerbevereins in Staufenberg. Trotz seiner Nähe zu Reichsbürgern und möglicherweise völkischen Ansichten erhielt er nach hr-Informationen Aufträge an öffentlichen Institutionen, etwa im Kasseler Museum Grimmwelt und an einer Bahnanlage in Sontra (Werra-Meißner).
Co-Organisatorin arbeitet für Unfallkasse Hessen
Bei der Organisation von Klaus Maurers Vortrag in seinem Gasthof hatte Dirk B. Unterstützung: Ute P. aus Kassel hat die Telegram-Gruppe erstellt, in der alle Informationen dazu verbreitet wurden. Die 57-Jährige arbeitet nicht nur als Auszeit- und Wandercoach, sondern ist auch seit mehr als 20 Jahren für die Unfallkasse Hessen als Aufsichtsperson und Seminarleiterin tätig.
Auf ihrer Website schwärmt P. von esoterischen Selbsterfahrungsseminaren. Sie schildert Begegnungen mit Engeln und erklärt, wie Körperzellen mit lichtvollen kosmischen Energien und Schwingungen neu programmiert werden könnten.
Ute P. schreibt dem hr, sie stehe hinter der demokratisch-freiheitlichen Grundordnung, dem Rechtsstaat und unserer Verfassung. Ob sie das Grundgesetz als diese Verfassung anerkennt und wie diese Grundordnung aussehen soll, lässt sie dabei offen.
Schamanen, Lehrer und Unternehmer: Buntes Publikum
Ein genauerer Blick auf das Publikum bei dem Maurer-Vortrag in Spiekershausen und auf die Mitglieder der einschlägigen Telegram-Gruppen zeigt: Wer Veranstaltungen der Reichsbürger besucht oder sich dafür interessiert, variiert stark. Einige arbeiten bei Behörden, ein Mitglied ist Lehrer an einer Schule in Bad Arolsen (Waldeck-Frankenberg), ein anderes arbeitet in der Kasseler Kreisverwaltung.
Auch ein stadtbekannter Kasseler Gastronom, ein Kasseler Unternehmensberater, ein Immobilienmakler, ein Autotuner und eine Suchtberaterin verfolgen den Austausch über Verschwörungserzählungen. Aus Dirk B.s Heimatort Niestetal sind eine Eisdielenbesitzerin und ein Zahnarzt in der Gruppe.
Die größte Gruppe machen die Heilpraktiker und die sogenannten Schamanen aus, wie aus der Mitgliederliste der Telegram-Gruppe hervorgeht. Die Veranstaltung mit dem Comedian Nikolai Binner hat auch ein Mitarbeiter der Kasseler Agentur für Arbeit mit "Gefällt mir" markiert.
Milieu-Kenner sieht "immense Gefahr"
Tobias Ginsburg hält Treffen wie jenes vor wenigen Tagen im Gasthof Fuldagarten an der hessisch-niedersächsischen Grenze für gefährlich. Der Journalist, Schriftsteller und Theaterregisseur recherchiert für seine Stücke zu Fanatismus und politischen Themen. Für sein Buch "Die Reise ins Reich. Unter Reichsbürgern" bewegte er sich undercover ein Dreivierteljahr lang in der Szene. Er kennt die Mechanismen des Milieus.
Von dem vermeintlichen Quatsch gehe eine "immense Gefahr" aus, ist Ginsburg überzeugt. Viele Anhänger von Verschwörungstheorien verschlechterten bestenfalls nur ihr eigenes Leben. Diejenigen, die komplett in der Ideologie versinken, stellten "irgendwann womöglich eine Gefahr für andere" dar, findet der Autor.
Wenn diese glaubten, von Feinden, bösen Machenschaften, unsichtbaren Herrschern und bösen Eliten umzingelt zu sein, "dann ist die einzige logische Konsequenz Notwehr", befürchtet Ginsburg.