Rückblick auf den Corona-Ticker Drei Jahre, 10.000 Einträge und ein Ausnahmezustand in Hessen
Vor fünf Jahren erreichten die ersten Corona-Fälle Hessen. Von Anfang an begleiteten wir in unserem Corona-Ticker die Pandemie. Ein Rückblick auf 10.000 Einträge, besondere Momente und die Herausforderungen der Berichterstattung.
Als im Januar vor fünf Jahren die ersten Fälle einer "mysteriösen Lungenkrankheit" in Europa und kurz darauf auch in Deutschland auftauchen, stellen auch wir uns auf dieses Thema ein. Noch scheint es weit weg. Manch ein Experte warnt schon vor einer Pandemie, der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht Deutschland dagegen angesichts der ersten nachgewiesenen Infektion in Bayern "gut vorbereitet".
Ende Januar beschäftigen uns die ersten hessischen Nachrichten zum Coronavirus, sie kommen vom Frankfurter Flughafen: "Spahn will Deutsche aus Wuhan ausfliegen", "Lufthansa streicht alle Peking-Flüge".
Langsam werden auch bei uns Auswirkungen spürbar - obwohl immer noch kein hessischer Fall bekannt ist. Am 26. Februar 2020 fassen wir zusammen: Mit der Light + Building wird eine große Messe verschoben, die Lufthansa verhängt einen Einstellungsstopp, eine Hochschule in Offenbach nimmt vorerst keine chinesischen Studierenden auf.
Nur einen Tag nach dieser Meldung verändert sich die Situation grundlegend.
Der erste hessische Fall - der Beginn des Tickers
Das Virus erreicht Hessen. Eine Person aus dem Lahn-Dill-Kreis habe sich infiziert, meldet das Sozialministerium und kündigt eine Pressekonferenz an. Überraschend ist das bei all den Neuinfektionen in der Welt und Deutschland nicht, im Gegenteil - und doch beginnt damit auch in Hessen, auch für uns, eine Ausnahmesituation.
An diesem Freitag sind alle Blicke nach Wetzlar gerichtet. Das Interesse am "Premierenfall" ist groß, die Verunsicherung und Anspannung ebenso. Der damalige Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne) sitzt selbst auf dem Podium, daneben der Landrat, die Leiterin des Kreis-Gesundheitsamts und ein Virologe.
Unsere Kollegen und Kolleginnen von Fernsehen und Radio sind vor Ort. Wir Online-Redakteure sitzen im Funkhaus in Frankfurt im recht neu bezogenen Großraumbüro und können die Pressekonferenz von dort aus verfolgen. Schnell ist entschieden: Wir übertragen sie live auf hessenschau.de.
Bei einer anderen Frage diskutieren wir im Redaktionsteam an diesem Morgen: Reicht es, im Anschluss einen Artikel zu veröffentlichen? Er käme mit einer Verzögerung auf die Seite, frühestens einige Minuten nach Ende der Pressekonferenz. Oder sollten wir die wichtigsten Erkenntnisse nicht sofort veröffentlichen, sobald sie verkündet werden, damit unsere Nutzerinnen und Nutzer sie quasi ohne Verzug lesen können? Wir entscheiden uns für letzteres und schreiben im Verlauf:
+++ Patient ist 31 Jahre alter Wetzlarer +++ Kontaktpersonen noch nicht ermittelt +++ Virologe: Mehr Fälle werden auftreten +++Zitat Ende
Es ist die Geburtsstunde des Corona-Tickers. Dass er uns drei Jahre lang begleiten wird, ahnen wir da noch nicht. Zum Glück. Mehr als 10.000 Einträge werden wir bis zum Ende verfasst haben. Meldungen, deren Inhalt auch für uns Ende Februar 2020 noch unvorstellbar war.
Nach fünf Jahren ist nur noch ein Teil der Einträge im Ticker sichtbar, die Mehrheit wurde aufgrund der Bestimmungen zur Verweildauer im Telemedienänderungsgesetz automatisch depubliziert.
Ende der weiteren InformationenNach rund einer Stunde endet die Pressekonferenz mit Minister Klose in Wetzlar. Noch am Abend werden zwei weitere Fälle gemeldet, am nächsten Tag steigt die Zahl auf acht. Von da an überschlagen sich die Ereignisse. Meldungen rund um das Coronavirus fluten das Redaktionspostfach und unsere anderen Nachrichtenkanäle.
+++ Flüge gestrichen +++ ICE gestoppt +++ Fußball-Fans verbannt +++Zitat Ende
Die Landesärztekammer meldet, das Gesundheitswesen sei gut vorbereitet. Die Katholische Kirche bittet, mit Symptomen nicht zum Gottesdienst zu kommen. Lufthansa streicht alle Flüge nach Italien und Asien. Ein ICE wird wegen eines Verdachtsfalls in Frankfurt gestoppt. Die ersten Apotheken installieren Plexiglasscheiben. Eintracht Frankfurt muss vor leeren Rängen spielen. Großveranstaltungen ab 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern werden untersagt.
Der Ticker füllt sich. Fast täglich berichtet das Sozialministerium über neue Fälle. Zu dieser Zeit werden sie noch einzeln aufgelistet - mit Alter, Geschlecht und Wohnort der oder des Infizierten. Auch über ihre Symptome wird berichtet und darüber, wo sie sich mutmaßlich angesteckt haben. Aus heutiger Sicht wirkt es grotesk, aber das Interesse an den ersten Fällen war groß. Genauso wie die Angst, der nächste Fall könnte im eigenen Wohnort nachgewiesen werden.
Die erste Bouffier-Pressekonferenz - drastische Einschnitte
Mitte März, zwei Wochen nach dem ersten Corona-Fall: Nach einer Sondersitzung des Landtags will der damalige Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) die Bevölkerung informieren. Schon vorab verdichteten sich die Hinweise, dass er drastische Maßnahmen verkünden wird. Und so kommt es.
Auch für uns ist das eine außergewöhnliche Situation: Wir hören zu, tippen mit, fassen zusammen, schreiben Ticker-Einträge. Wieder und wieder, so schnell wie möglich. Um bei der Fülle an Informationen nichts zu verpassen und Wichtiges direkt zu veröffentlichen, verfolgen wir die Pressekonferenz zeitweise zu dritt.
Es sind Einschnitte, mit denen auch wir so nicht gerechnet hätten: Der Schulbetrieb in Hessen wird bis zu den Osterferien eingestellt, Kitas bleiben ebenso geschlossen, und der Vorlesungsbeginn an der Universität wird verschoben. Besuche in Alten- und Pflegeheimen werden eingeschränkt. Während der Pressekonferenz bleibt keine Zeit, darüber nachzudenken, was das auch für uns als Team und für jeden Einzelnen und die Privatsituation bedeutet.
Sechs Millionen Klicks im ersten Monat
Immer mehr Mails und Meldungen erreichen uns. Anfangs besteht ein Flickenteppich an Regeln, viele Kommunen beschließen eigene Maßnahmen. Wir durchforsten ihre Internetseiten, wieder und wieder, und tragen die Informationen zusammen.
+++ Kassel schließt Museen und Kurhessentherme +++ Wiesbaden schließt Schwimmbäder +++ Offenbach verbietet Veranstaltungen ab 100 Menschen +++ Marburg-Biedenkopf: Veranstaltungen nur bis 50 Leute +++Zitat Ende
Der Ticker ist nun mit Abstand das meistgelesene Dokument auf unserer Seite. Bis Ende März 2020 wird er fast 6,1 Millionen Mal geklickt werden. Ein Erfolg für uns. Und eine Bestätigung, dass wir augenscheinlich ein Format gefunden haben, das unsere Nutzerinnen und Nutzer interessiert und ihnen einen Mehrwert bietet.
Gleichzeitig ist uns bewusst: Dieser Erfolg ist einer diffusen Bedrohungslage geschuldet, deren direkte und indirekte Auswirkungen jeden Einzelnen treffen. Die Krise und unmittelbare Betroffenheit für alle in Hessen sorgen für diese enorme Zahl an Abrufen.
Mehr als 50 Einträge pro Tag
Wenige Tage später folgen die nächsten drastischen Einschnitte: Sportanlagen, Fitnessstudios und Diskotheken müssen schließen, Spielplätze und Geschäfte ebenso. Corona hat nun alle Lebensbereiche erfasst. Wir spüren das auch an der Schlagzahl im Ticker: Teilweise schreiben wir mehr als 50 Einträge pro Tag.
Darunter ist am 17. März auch die Meldung über den ersten Todesfall in Hessen im Zusammenhang mit dem Virus. Ein 68 Jahre alter Mann ist in einer Klinik in Wiesbaden an einer Lungenentzündung infolge der Infekion gestorben. Bis zum Ende der Pandemie wird die offizielle Zahl der Toten in Hessen auf rund 12.200 ansteigen.
Hinweis in eigener Sache: "Uns geht es wie vielen anderen"
Ausnahmsweise erscheint im Ticker auch eine Meldung in eigener Sache. Denn natürlich wirken sich das Virus und die Corona-Regeln auch auf uns aus. Privat und beruflich. "Viele von uns haben Kinder, die in den Kindergarten oder die Grundschule gehen und jetzt betreut werden müssen. Zudem gibt es auch in unserer Redaktion Kolleginnen und Kollegen, die wegen Vorerkrankungen besonders achtsam sein müssen. Und wir müssen für den Fall vorbereitet sein, dass es einen Corona-Fall im Team gibt. Mit anderen Worten: Uns geht es wie vielen anderen Unternehmen und Familien in Hessen."
Das Großraumbüro mit fast 50 Schreibtischen, das wir mit Kolleginnen und Kollegen von Fernsehen, Hörfunk und Social Media teilen, erweist sich in der Pandemie schnell als Nachteil. Ein Teil unseres Teams wechselt ins Homeoffice. Wir kommunizieren über Chats, Mail und Telefon. Alles soll ohne Verzögerung funktionieren, als säßen wir wie vor der Pandemie auf wenigen Quadratmetern zusammen.
"Wir werden Ihnen natürlich weiterhin zuverlässige und verlässliche Informationen zu allem liefern, was in Hessen passiert", informieren wir in unserem Eintrag: "Im Fokus steht die Berichterstattung über das Coronavirus und die Frage, welche Auswirkungen es auf Ihr Leben hat. Im besten Fall merken Sie gar nicht, dass wir unsere Arbeitsabläufe massiv verändert haben. Falls doch, möchten wir Sie um Verständnis bitten."
Viele Rückfragen zu Regeln
Täglich erreichen uns Fragen von Nutzerinnen und Nutzern. Denn die Corona-Regeln sind oft kompliziert und ändern sich mitunter wöchentlich. Welche Berufsgruppen haben einen Anspruch auf die Notbetreuung ihrer Kinder in den Kitas? Wer muss nach welchen Reisen in Quarantäne? Wer darf seine Angehörigen in den Alten- und Pflegeheimen besuchen - und wie oft?
Wir klicken uns durch die Corona-Beschlüsse, fragen beim zuständigen Sozialministerium nach. Wir versuchen, so schnell wie möglich Antworten zu finden und verständlich formuliert auch zu tickern. Neben dem Corona-Ticker entstehen weitere Beiträge, die sehr oft geklickt werden und uns bis zum Ende der Pandemie begleiten werden: zum einen Fragen und Antworten zu den Regelungen in den einzelnen Lebensbereichen, zum anderen unser Statistik-Dokument, anfangs vor allem mit den aktuellen Fallzahlen und Inzidenzen, später auch mit der Krankenhausbelegung und Impfzahlen.
Selbst Themen setzen - Reporterstärke nutzen
Was interessiert die Nutzerinnen und Nutzer? Wie können wir selbst einen Mehrwert generieren? Corona beschäftigt anfangs den Großteil unserer Reporterinnen und Redakteure im Sender. Sie sprechen mit Arbeitsrechtlern, Psychologen, Verbraucherschützern. Wir tauschen uns mit den Kollegen aus, sichten Fernsehbeiträge, hören Interviews an. Die wichtigsten Informationen verarbeiten wir zu kurzen Texten und verlinken Beiträge für alle, die mehr zu dem Thema wissen wollen.
Bei aller Fokussierung auf Hessen wollen wir in dieser globalen Krisenlage auch über die Grenzen hinausschauen. Aus dem Corona-Ticker der tagesschau wählen wir bald täglich die wichtigsten Meldungen aus Deutschland und der Welt aus und tickern sie.
Ein neuer Service entsteht: der Corona-Newsletter, den wir per E-Mail versenden. Er fasst das aktuelle Geschehen zusammen, bietet aber auch positive Impulse, zum Beispiel Fitnesstipps und Empfehlungen aus der Mediathek.
Wie schlimm ist die Lage?
So intensiv wir uns auch mit allen Auswirkungen der Pandemie beschäftigen: Das Risiko, das von dem Virus ausgeht, können wir nicht fundiert beurteilen. Ebenso wenig wie die Angemessenheit der Maßnahmen zu seiner Eindämmung.
Schon früh begibt sich eine Gruppe aus hr-Kolleginnen und -Kollegen gemeinsam auf die Suche nach einem geeigneten Experten. Die Wahl fällt auf Martin Stürmer. Der promovierte Virologe, Leiter eines Labors und Dozent für medizinische Virologie an der Uni Frankfurt ordnet die Corona-Lage immer wieder für uns ein.
Später wird auch Sandra Ciesek in unseren Beiträgen und im Ticker öfter zu Wort kommen. Sie ist Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Uni-Klinikum Frankfurt sowie Professorin für medizinische Virologie an der Goethe-Universität. Gemeinsam mit dem Berliner Virologen Christian Drosten wird sie später ein regelmäßiger Gesprächsgast im preisgekrönten NDR-Podcast "Coronavirus-Update" sein. Sie wird schließlich für ihr Engagement das Bundesverdienstkreuz erhalten.
Neue Regeln - neue Rekordzahl an Einträgen
Nur gut drei Wochen nach Bekanntwerden des ersten Falls wird die Marke von 1.000 bestätigten Infektionen in Hessen geknackt. Auch bundesweit steigen die Fallzahlen rasant. Bund und Länder stimmen sich nun bei den Corona-Regeln ab und beschließen weitere Maßnahmen: Restaurants, Friseursalons und Kosmetikstudios müssen schließen. Draußen dürfen sich, abgesehen vom eigenen Hausstand, nur noch zwei Menschen gemeinsam aufhalten.
Damit steigert sich auch die Dynamik im Ticker weiter: Bis zu 70 Einträge pro Tag verfassen wir nun. Auf die Veränderung der Schlagzahl reagieren wir mit Flexibilität. In Wochen wie diesen arbeiten drei Redakteurinnen oder Redakteure über den Tag verteilt am Ticker. Online-Kollegen, die sonst vor allem in der Sportredaktion arbeiten, helfen zur Hochzeit vermehrt bei uns aus - beim Sport ist nach Absage aller Veranstaltungen kaum etwas zu tun.
Verschnaufpause im Sommer
Nach den ersten Wochen im Ausnahmezustand haben wir uns gut eingespielt. Der erste Schock ist überwunden, die viel zitierte "neue Normalität" setzt auch bei uns ein.
Dann kommt der Sommer, und mit ihm die ersehnte Verschnaufpause. Die Zahl der Neuinfektionen stabilisiert sich auf niedrigem Niveau, die Zahl der Einträge im Corona-Ticker ebenso. Unter der Woche sind es rund ein Dutzend kleiner Meldungen täglich. Zeitweise ist nicht mal mehr ein eigener Redakteur nötig, der Ticker wird neben dem Tagesgeschäft durch die Nachrichtenredakteure befüllt. Er wandert, entsprechend der sonstigen Themenlage, auf der Startseite weiter nach unten.
Trotzdem wird er bis zum Ende des Jahres in jedem Monat das meistgeklickte Dokument sein. Für uns bleibt er ein wichtiges Werkzeug, um Informationen schnell weiterzugeben und Meldungen online zu stellen, deren Nachrichtengehalt für einen längeren Beitrag nicht reicht.
Trauriger Rekord - eine Hoffnung
Im Herbst 2020 beginnt, wie von vielen befürchtet, die zweite Welle. Sie fällt deutlich heftiger aus als die erste. In der Zeit rund um Weihnachten sterben mehr als 500 Covid-Patientinnen und -Patienten pro Woche - der traurige Höhepunkt der Pandemie.
Je nach Inzidenz gilt in den Kreisen ab Ende Dezember eine nächtliche Ausgangssperre. Das Jahr 2021 beginnt im Lockdown und mit Distanzunterricht, in sogenannten Corona-Hotspots wird die 15-Kilometer-Regel eingeführt. Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer: die Impfungen.
Neben den hohen Infektionszahlen und den Einschränkungen sind sie im Ticker das beherrschende Thema.
+++ Erste sechs Impfzentren öffnen am 19. Januar +++ Impfstoff-Engpass bleibt vorerst bestehen +++ Konsequenzen nach Impfvordrängelei +++ Bouffier will Impfreihenfolge lockern +++ 150.000 Dosen lagern ungenutzt in Impfzentren ein +++Zitat Ende
In den ersten Monaten schreiben wir wieder bis zu 40 Einträge pro Tag. Erst im März werden die Kontaktbeschränkungen gelockert, Museen, Zoos und Fitnessstudios öffnen wieder. Dann folgen schon die nächste Corona-Welle und im April die Bundesnotbremse: inzidenzabhängige Schul- und Kitaschließungen, Testpflicht an Schulen.
Im Mai 2021 werden Lockerungen für Geimpfte und Genesene beschlossen. Im Juni entspannt sich die Lage weiter: Ein Viertel der Hessen ist durchgeimpft, die Inzidenz ist gering, es gibt kaum noch Covid-19-Intensivpatienten. Im September schließen die Impfzentren.
Im Oktober 2021 bleibt der Corona-Ticker zum ersten Mal seit seinem Start eineinhalb Jahre zuvor unter einer Million Klicks in einem Monat.
Das ändert sich ab November wieder. Auch die Zahl der Einträge steigt mit der nächsten Herbst- und Winterwelle erneut. An vielen Tagen werden über 2.000 Neuinfektionen gemeldet, manchmal sogar über 3.000. Wir tickern die neuen Einschränkungen: Clubs müssen schließen, Treffen sind auf zehn Menschen beschränkt, Profi-Kicker spielen vor leeren Rängen.
Adieu, Corona-Ticker!
Zum Jahresbeginn 2022 steigt die Zahl der Neuinfektionen noch drastischer: bis auf rund 20.000 pro Tag. Weil viele inzwischen geimpft oder genesen sind, erkrankt nur ein kleiner Teil von ihnen schwer.
Dann folgt das Frühjahr. Ab Mitte April 2022 bleibt die Zahl unserer Einträge bis auf wenige Ausnahmen einstellig. Immer wieder diskutieren wir im Team: Wird es nicht Zeit, den Ticker einzustellen? Corona verliert im Alltag an Bedeutung, die meisten Regeln sind passé. Doch dieses Dokument nach so einer langen, teils sehr intensiven Zeit zu beenden, fällt uns wohl schwer.
Am 6. Februar 2023 ist es soweit. Nachdem die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen gefallen ist und das Robert-Koch-Institut das Corona-Risiko als moderat eingestuft hat, entscheiden wir gemeinsam: Der Corona-Ticker hat ausgedient. Das ist unser letzter Eintrag:
"Liebe Nutzerinnen und Nutzer, aufgrund der entspannteren Corona-Lage und nach dem Ende fast sämtlicher Corona-Regeln wird dieser Ticker nicht mehr aktualisiert. Wir sagen nach fast drei Jahren: Vielen Dank fürs Lesen! Aktuelle Corona-News aus Hessen werden wir weiter auf hessenschau.de vermelden."Zitat Ende
Die Nachbetrachtung
Kam dieser Abschied zu spät? Das ist wohl Ansichtssache. Denn jeden Einzelnen hat das Virus mit unterschiedlicher Intensität beschäftigt, gerade gegen Ende der Pandemie. Genauso unterschiedlich waren auch die Reaktionen auf den Ticker, auf unsere Berichterstattung und die des öffentlich-rechlichten Rundfunks im Allgemeinen.
Haben wir uns zum "Sprachrohr der Regierung" gemacht, weil wir jede Pressekonferenz übertragen haben und auch sonst viele Regierungsstimmen abgebildet haben? hr-Programmdirektorin Julia Krittian sieht das nicht so. Man müsse schauen, in welcher Situation sich auch wir Redakteurinnen und Redakteure befunden hätten: in einer existenziellen Krise mit einer Einschränkung der Freiheitsrechte, wie wir sie in der Bundesrepublik noch nie erlebt haben.
Da habe man das Bedürfnis, erst mal abzubilden, was ist, findet Krittian: "Das bedeutet natürlich in einer Situation, in der täglich Entscheidungen getroffen wurden, dass man erst einmal diese Entscheidungen erklärt - und dadurch natürlich Raum öffnet für die, die entschieden haben." In der Nachbetrachtung sagt Krittian aber auch: Kritische Oppositionsstimmen hätten möglicherweise häufiger vorkommen können.
Auch andere Stimmen hätten öfter erscheinen müssen, sagen Kritiker - die von Experten anderer Fachrichtungen. Es sei anfangs sehr viel um gesundheitliche Folgen gegangen, weniger um wirtschaftliche und soziale, findet auch Krittian. Man habe zum Beispiel zu wenig mit Pädagogen und Psychiatern gesprochen. "Das ist ein Aspekt, bei dem ich heute sagen würde: Wir haben eine Lücke gelassen, weil wir nicht verschiedenste Fachrichtungen ergänzend zu Wort haben kommen lassen."
Aus heutiger Sicht würde man das vermutlich anders machen, so Krittian. Ebenso wie einen anderen Punkt: Es sei möglicherweise nicht genug gelungen zu vermitteln, dass Wissenschaft immer ein Prozess sei und niemand die absolute Sicherheit habe. Um dennoch so verlässliche Aussagen wie möglich zu erhalten, habe man sich an diejenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gewandt, die als Koryphäen in ihrem Bereich galten. Auch das, findet Krittian, hätte man deutlicher erklären können.
Diese Erkenntnisse behalten wir im Hinterkopf - für die nächste Konfrontation mit einem folgenreichen Virus, die hoffentlich noch lange auf sich warten lässt.