Sechs Monate danach Situation in türkischen Erdbeben-Gebieten noch immer katastrophal

Notunterkünfte und Trümmerfelder: Sechs Monate nach den Erdbeben in der Türkei und Syrien leiden die Betroffenen noch immer unter den Folgen. Viele Helfer aus Hessen engagieren sich weiterhin. Doch die Aufräumarbeiten gehen nur schleppend voran - und an Wiederaufbau ist noch nicht zu denken.

Der neunjährige Yakup steht am Stadtrand von Antakya vor seinem Zelt, in dem er seit dem Erdbeben lebt.
Der neunjährige Yakup steht am Stadtrand von Antakya vor seinem Zelt, in dem er seit dem Erdbeben lebt. Bild © picture-alliance/dpa
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So ist die Lage in der Türkei nach den Erdbeben

hs
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Meterhoch stapeln sich die Trümmer zwischen beschädigten und zerstörten Häusern, hindurch schlängelt sich eine kleine Gasse. "Alles ist zerstört", sagt Nedim Tosun und schiebt hinterher: "Es hat sich nichts getan." Immer wieder fährt der 43-Jährige durch das, was mal seine Heimat war: Antakya in der Region Hatay, im Südosten der Türkei. Tosun schickt regelmäßig Videos und Fotos an seine Schwester und seinen Schwager in Trebur (Groß-Gerau).

Dort schüttelt Schwager Zeki Yildirim beim Anblick der Bilder mit dem Kopf. "Wir sind wirklich verzweifelt. Es geht nur sehr, sehr langsam voran." Und tatsächlich: Die Bilder ähneln denen, die nur wenige Tage nach dem verheerenden Erdbeben, das sich am 6. Februar ereignete, entstanden sind.

An Neubauten ist noch nicht zu denken

Anfang März hatte Familie Yildirim ihre Verwandten aus der Türkei zu sich geholt: Vater Nedim, dessen Frau und die beiden Kinder. "Als wir uns gesehen haben, haben wir alle geweint", erinnert sich Gülümser Yildirim. Knapp zwei Monate blieben die Tosuns in Hessen, ehe sie in die Türkei zurückkehrten. Mittlerweile leben sie in einer Art Ferienwohnung, mehrere Kilometer entfernt von ihrem einstigen Wohnort.

Die Yildirims haben die Miete für ihre Familienangehörigen ein Jahr im Voraus bezahlt. "Sonst müssten sie in einem Container leben", erklärt Zeki Yildirim. Antakya sei zur Container-Stadt geworden. Weil die Trümmer der zerstörten Häuser noch nicht abgetragen wurden, sei an Neubauten nicht zu denken.

Das Erdbeben in der Türkei und Syrien hinterließ nicht nur Trümmerfelder. Es forderte mehr als 50.000 Todesopfer, über 100.000 Menschen wurden verletzt. Und weiterhin sind viele Betroffene auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Trümmer liegen in der Altstadt von Antakya und an der bekannten Einkaufsmeile Uzun Çarsi.
Trümmer liegen in der Altstadt von Antakya und an der bekannten Einkaufsmeile Uzun Çarsi. Bild © picture-alliance/dpa

Medico International: "Der Wiederaufbau wird Jahrzehnte dauern"

Das kann die in Frankfurt ansässige Hilfsorganisation Medico International bestätigen. "Die Situation ist immer noch katastrophal", sagt Anita Starosta dem hr. Die Helferin war vor Kurzem selbst im Erdbebengebiet in der Türkei unterwegs - unter anderem in Antakya. Dort seien 80 Prozent der Häuser zerstört worden.

"Unsere lokalen Projektpartner beschäftigten sich hauptsächlich mit Nothilfe für die Erdbebenopfer", so Starosta. "Es wird noch Jahre bis Jahrzehnte dauern, bis von Wiederaufbau überhaupt die Rede sein kann." Die Abriss- und Aufräumarbeiten in der Türkei und in Syrien gehen zwar voran, aber nur schleppend. In kurdischen Gebieten komme staatliche Hilfe kaum an, kritisiert Starosta.

In den Wochen nach dem Erdbeben erhielt die Organisation rund drei Millionen Euro Spenden für die Überlebenden. Die Hilfsbereitschaft sei groß gewesen, sagt die Helferin. Die Verwüstung, die das Erdbeben angerichtet hat, sei aber enorm. "Die akute Phase, in der es um die Erstversorgung der Erdbebenopfer geht, ist zumindest in der Türkei so langsam abgeschlossen", berichtet sie. Nun gehe es um die psychosoziale Betreuung der Betroffenen und ihre medizinische Versorgung. Viele Menschen dort seien stark traumatisiert.

Erdbebenhilfe des Landes: Zelte, Feldbetten, Schlafsäcke

An einer schnellen Erstversorgung der Überlebenden beteiligte sich auch das Land Hessen. Es seien drei Hilfstransporte mit einem Gesamtwert von rund 970.000 Euro durchgeführt worden, wie das Innenministerium dem hr mitteilte. Die Bundeswehr transportierte demnach zunächst 20 große Zelte sowie 3.000 Feldbetten und 3.000 Schlafsäcke in die Türkei. Der Hilfstransport wurde vor Ort dem türkischen Katastrophenschutz übergeben.

Später brachten Lastwagen 1.600 Lebensmittelpakete in die betroffenen Gebiete. Zuletzt transportierte Turkish Airlines laut Ministerium Medikamente und medizinische Artikel für Intensivstationen in die Region. Über die Türkisch-Deutsche Gesundheitsstiftung aus Gießen wurden gezielt Krankenhäuser und Behandlungsplätze versorgt.

Die gerettete zweijährige Fatma-Nur lag 56 Stunden unter Trümmern in Kahramanmaras. Nun lebt sie mit ihrer Familie in einer Zeltstadt.
Die gerettete zweijährige Fatma-Nur lag 56 Stunden unter Trümmern in Kahramanmaras. Nun lebt sie mit ihrer Familie in einer Zeltstadt. Bild © picture-alliance/dpa

650 Tonnen Hilfsgüter vom THW

Einen immensen Teil der Nothilfe übernahm das Technische Hilfswerk (THW): Es stellte rund 650 Tonnen Hilfsgüter über seine Logistikzentren für die Erdbebenopfer in der Türkei und in Syrien zur Verfügung. Dabei handelte es sich laut Sprecherin Petra Roith um Zelte, Heizlüfter, Decken, Matratzen, Lebensmittel und Hygieneartikel. Auch Werkzeugkisten sowie Stromerzeuger und Trinkwasseraufbereitungsanlagen wurden transportiert. 

Auch viele THW-Helfer aus Hessen engagierten sich. So waren 16 ehrenamtliche Helfer der 50-köpfigen Schnell-Einsatz-Einheit Bergung Ausland (SEEBA) im Einsatz vor Ort. Das THW entsandte aus Hessen auch Logistiker, Koordinatoren in Camps und mehrere ehrenamtliche Helfer, die sich um die Wasserversorgung kümmerten. Zudem stellte das Hilfswerk einen türkisch-sprachigen THW-Spezialisten für einen Monat nach Hatay zu "United Nations Disaster Assessment and Coordination" (UNDAC) ab.

Der Gesamtwert der Hilfsgüter beläuft sich laut THW auf 7,5 Millionen Euro. Die Gelder stammen vorwiegend vom Auswärtigen Amt, aber auch von der Europäischen Union.

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Mehr als 250 Millionen Euro Geldspenden für Erdbebenopfer

In Deutschland wurden bisher 251 Millionen Euro für die Menschen in der Türkei und in Syrien gespendet, die von den Folgen des schweren Erdbebens am 6. Februar 2023 betroffen sind. Dies ergab eine Umfrage des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI) mit Antworten von 53 Hilfswerken und Bündnissen. Zeit- und Sachspenden seien nicht eingerechnet. (Stand März 2023). 

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Soforthilfen von Unternehmen

Es floss nicht nur staatliche Hilfe. Auch Firmen wie Fraport stellten Soforthilfen für die Erdbebenopfer zur Verfügung. Zusammen mit dem Unternehmen TAC Airports Holding spendete der Flughafenbetreiber eine Million Euro an die Opfer. Die Hilfsorganisation Luftfahrt ohne Grenzen/Wings of Help mit Sitz am Frankfurter Flughafen brachte erst vergangene Woche mit einem Frachtflugzeug vier Tonnen an Medikamenten in die kurdische Hauptstadt Erbil. Zuvor versorgte sie Erdbebenopfer mit tausenden warmen Schlafsäcken und Zelten. 

Die Betroffenen des Erdbebens sind dankbar über jede Hilfe. Von der einstigen Hilfsbereitschaft sei vor Ort aber nur noch wenig zu spüren, sagt Zeki Yildirim aus Trebur. Den Menschen sei versprochen worden, in zwölf Monaten wieder in Häusern leben zu können. "Inzwischen ist ein halbes Jahr schon rum und es hat sich nicht viel getan."

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Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 06.08.2023, 19:30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de