Erschossener Regierungspräsident Lübcke-Sohn: "Mord an meinem Vater hätte verhindert werden können"

Christoph Lübcke gibt den Sicherheitsbehörden eine Mitschuld an der Ermordung seines Vaters Walter Lübcke. In einem Interview prangert er nicht geahndete Internethetze an und spricht über fehlende Unterstützung – auch aus der CDU.

Christoph Lübcke sitzt im Gerichtssaal
Christoph Lübcke - als Nebenkläger im Dezember 2020 Bild © picture-alliance/dpa
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Könnte Walter Lübcke heute noch leben, wenn die Sicherheitsbehörden an verschiedenen Punkten anders gehandelt hätten? Mit hundertprozentiger Sicherheit könne man das nicht wissen, aber er sei "überzeugt, dass sein Tod hätte verhindert werden können", sagte Christoph Lübcke dem Nachrichtenportal t-online in einem am Freitag veröffentlichten Interview.

Man hätte damals dem Rechtsextremismus genauso viel Aufmerksamkeit widmen müssen wie etwa dem islamistischen Terror. "Aber der Staat war auf dem rechten Auge blind", so der Lübcke-Sohn, der sich dreieinhalb Jahre nach der Tat in Wolfhagen-Istha zum ersten Mal öffentlich geäußert hat.

Internet-Hetze blieb ungeahndet

Der damalige Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke war 2019 auf der Terrasse seines Privathauses von einem Rechtsextremisten erschossen worden. Der Tat waren massive öffentliche Anfeindungen wegen dessen Haltung zur Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland vorausgegangen. Im Prozess gegen den Mörder traten die Witwe und die beiden Söhne als Nebenkläger auf. 

Wenn Erika Steinbach oder die AfD gegen seinen Vater gehetzt hätten, "standen in den Kommentaren darunter oft Sätze wie 'Die Walther erledigt den Rest' – Gemeint war die Pistole. Das war ein klarer Aufruf zum Mord an meinem Vater", sagte Lübcke. Passiert sei aber nichts. "Diese Aufforderungen wurden zum damaligen Zeitpunkt in keiner Weise geahndet. Sie blieben stehen", kritisierte Lübcke.

Lübcke: "Mein Vater hat sich schon sehr allein gefühlt"

Auch aus Lübckes Partei, der CDU, sei damals wenig Unterstützung kommen. "Mein Vater hat sich schon sehr allein in dieser Situation gefühlt." Lübcke appellierte darum auch: "Wenn jemand angegriffen wird, dann muss man gemeinsam Flagge dagegen zeigen – gerade, wenn der Angriff aus dem rechten Lager oder aus anderen gefährlichen Spektren kommt." Er wünschte, sein Vater hätte diese Unterstützung gehabt.

Enttäuscht sei die Familie auch über die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, den Mord nicht neu zu verhandeln. "So froh wir über die Verurteilung des Haupttäters sind, so sind wir zugleich überzeugt, dass er nicht allein gehandelt haben kann", sagte Christoph Lübcke.

Die Familie gehe davon aus, dass ein später freigesprochener Komplize mit vor Ort war und den Vater ablenkte, während der Mörder schoss. "Das Gericht wollte dieser Spur aber nicht nachgehen, hielt an der Einzeltäter-Theorie fest. Das können wir bis heute nicht nachvollziehen."

Frage nach Versäumnissen sei legitim

Auch zu einem umstrittenen Beitrag, den die hessische SPD kürzlich in sozialen Medien veröffentlichte, äußerte sich Lübcke. In ihrem Posting hatten die Sozialdemokraten gefragt: "Hätte der Mord an Dr. Walter Lübcke verhindert werden können? Die verantwortlichen Innenminister Bouffier, Rhein und Beuth waren offensichtlich mit der politischen Führung des LfV überfordert." LfV steht für Landesamt für Verfassungsschutz.

Die gepostete Collage zeigte unter anderem den früheren hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier, den amtierenden Regierungschef Boris Rhein und Hessens Innenminister Peter Beuth (alle CDU).

Natürlich sei es nicht angemessen, den Tod seines Vaters für Wahlkampfzwecke zu instrumentalisieren, sagte Lübcke. "Aber ich sage auch klar: Für uns als Familie ist die Aufklärung das oberste Gebot. Die Frage, wo gab es Versäumnisse und Fehler, dass mein Vater sterben musste, ist deshalb legitim."

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Quelle: hessenschau.de, epd, dpa/lhe