Sorge um Pflege Bewohner von Altenzentrum demonstrieren in Darmstadt

Pflegekräfte werden in Deutschland dringend gebraucht. Was passiert, wenn sich die Migrationspolitik verschärft? Droht das Pflegesystem zusammenzubrechen? Das befürchten die Bewohner eines Altenzentrums. In Darmstadt machten sie ihren Sorgen Luft.

Bewohner eines Altenzentrums in Darmstadt mit Plakaten
Vor dem Altenzentrum auf der Rosenhöhe demonstrieren Bewohner. Bild © Uwe Gerritz (hessenschau.de)

"Wir sind bunt, wir sind viele", "Remigration ist unser Tod", "Wer übernimmt dann unsere Pflege?" – das sind einige der Slogans, die am Freitag auf den Plakaten der rund 150 Demonstrierenden vor dem Altenzentrum auf der Rosenhöhe in Darmstadt stehen, während aus Lautsprechern Protestsongs in Dauerschleife abgespielt werden.

Videobeitrag

Wie wichtig Pflegekräfte aus dem Ausland sind

hs.14.02.205
Bild © hessenschau.de
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Rollstühle, Rollatoren, Plakate

Die, die die Plakate in den Händen halten, sind sichtbar fortgeschrittenen Alters. Sie haben sich zum Teil in Rollstühlen an der Dieburger Straße aufgereiht, andere stützen sich auf ihren Rollator. Bewohner des Altenzentrums demonstrieren gemeinsam mit dem Pflegepersonal. Auch vom Bündnis "Omas gegen Rechts" sind einige gekommen.

Der Protest richtet sich gegen fremdenfeindliche Tendenzen und eine mögliche Verschärfung der Migrationspolitik. Die Sorge: das System könnte zusammenbrechen, wenn die ausländischen Pflegekräfte fehlen.

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Pflegesituation in Hessen

Nach Angaben der Sozialverbände haben bis zu 40 Prozent der rund 90.000 Fach- und Hilfspflegekräfte in Hessen einen Migrationshintergrund. Der Fachkräftemangel ist nicht nur, aber auch in der Pflegebranche zu spüren. Verschärft wird das Problem durch die sogenannten Babyboomer, die allmählich in Rente gehen. Durch sie dürfte in den nächsten 10 bis 20 Jahren die Zahl der Pflegefälle signifikant ansteigen

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Einer dieser Pfleger ist Mohammed Albayyouk. Der 28-Jährige stammt aus dem Gaza-Streifen, ist seit sieben Jahren in Deutschland. Weil er ein Medizinstudium nicht finanzieren konnte, ging er in die Pflege.

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Pfleger aus Gaza: "Im Dienst fühle ich mich sicher"

"Das ist hier alles sehr familiär", erzählt er in bestem Deutsch. Bewohner, Mitarbeiter, Vorstand, Angehörige – "wir lieben uns hier alle gegenseitig. Hier fühle ich mich sicher."

Seitdem in seiner Heimat gekämpft wird, plagen den Palästinenser Ängste. Das Zentrum ist für ihn Rückzugsort. "Da kann ich echt abschalten. Wenn ich im Dienst bin, versuche ich zu vergessen, was in Gaza abgeht."

"Politische Situation hat sich verändert"

Initiiert wurde die Demo von Wolfgang Pomowski. Der 79-Jährige ist promovierter Philologe und wohnt seit fünf Jahren in dem Zentrum. Das Geld für die meisten Plakate hat er aus eigener Tasche vorgestreckt. "Wir mögen unsere Pflegekräfte alle, aber vor allem brauchen wir sie dringend", erklärt er seine Gründe.

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"Remigration" - Unwort 2023

Der Begriff der "Remigration" wurde von der Gesellschaft für Deutsche Sprache zum Unwort des Jahres 2023 gekürt. Ursprünglich die Rückkehr von Menschen in ihr Heimatland bezeichnend, wird er im politischen Kontext heute häufig von rechtsextremen oder rechtspopulistischen Gruppen verwendet, um Forderungen nach massenhaften Rückführungen von Migranten zu legitimieren. 

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Die politische Situation im Land habe sich verändert. Seine Sorge ist, dass "Aristokraten", wie er sagt, in Deutschland Regierungsgewalt bekommen könnten und nennt namentlich die AfD. "Und was das bedeuten könnte, sehen wir gerade in den USA."

Es betrifft auch die junge Generation

Pomowski fragt, was wohl mit dem Pflegesystem passieren würde, wenn Migranten gehen müssten und keine neuen kämen – und gibt sich die Antwort gleich selbst: "Dann müssten die Kinder der Pflegebedürftigen einspringen." Aber die seien selbst teilweise schon über 60.

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Lucas Kiermeier ist 24 und demonstriert ebenfalls. Er unterstützt seine Großeltern, die in dem Zentrum leben. "Es betrifft ja auch die junge Generation", sagt er. Ohne die ausländischen Pflegekräfte müsste diese mehr Zeit für die Pflege ihrer Eltern oder Großeltern aufwenden. "Dann haben sie wieder ein Problem, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren."

Angst um die eigene Versorgung

Neben ihm steht seine Oma. Sie hält ein Pappschild in Händen, in dem zwei überdimensionale Stricknadeln mit Wolle stecken. Darüber steht: "Rechts wird nur gestrickt!" Die 84-Jährige findet es wichtig, heute hier zu sein.

Frau mit Plakat mit Stricknadeln und Aufschrift "Rechts wird nur gestrickt", daneben ewin junger Mann und ein älterer Herr
"Rechts wird nur gestrickt" - Manche bewiesen viel Kreativität. Bild © Uwe Gerritz (hessenschau.de)

"Unser Pflegepersonal kommt hauptsächlich aus dem Ausland. Und wenn wir das nicht haben, werden wir nicht mehr versorgt." Dass man die entstehende Lücke mit Personal aus Deutschland füllen könnte, glaubt sie nicht.

Es ist nicht nur Pflege

Die Leiterin des Zentrums, Inka Kinsberger, betont, dass es nicht nur um reine Pflege, sondern auch um Betreuung geht. "Spazierengehen, Sport, Gedächtnistraining" – die Aufgaben des Teams sind vielfältig. Und die Belegschaft komme von überall her.

Spontan fallen Kinsberger die Türkei, Italien, der Iran, Afghanistan, Polen, Kasachstan, Ungarn und Bulgarien ein. Sie selbst hat litauische Wurzeln. "Durch den Pflegenotstand, den wir schon seit mindestens zehn Jahren haben, brauchen wir Menschen aus dem Ausland, weil wir sonst unseren Bedarf überhaupt nicht mehr decken könnten."

Ein Müllwagenfahrer hupt freundlich, als er an der Kundgebung vorbeifährt. Nach einer Stunde löst sich der Protest auf. Die Demonstrierenden begeben sich wieder in die Innenräume des Zentrums. Ihre Sorgen nehmen sie mit – und hoffen, dass etwas davon bei den Menschen draußen hängenbleibt.

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de