Stammzellspende "Die Chance auf ein zweites Leben zu geben, ist mein größtes Privileg"

"Stäbchen rein, Spender sein" - für Stammzellen. Das Registrieren geht fix, doch was passiert, wenn man als Spender ausgewählt wird? Ein Einblick in einen Eingriff, der für viele Betroffene die einzige Überlebenschance ist.

Maria sitzt in einem Krankenbett und macht eine Stammzell-Spende
Maria wird für ihre Stammzellspende vorbereitet - wer ihre Stammzellen bekommt, erfährt sie erst einmal nicht. Bild © hr/Mia von Hirsch
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Es ist ein Tag im November vergangenen Jahres, als Maria einen Anruf der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) bekommt: "Es gibt einen Menschen, den ihre Stammzellenspende retten könnte." Sie sagt sofort zu. Maria ist zu dem Zeitpunkt schon seit fast zehn Jahren als Spenderin registriert.

Wir nennen ihren Nachnamen nicht und auch nicht den exakten Zeitpunkt der Spende, denn die Spenden laufen anonym und sollen auch für die Empfänger nicht nachvollziehbar sein. Dass ihre Stammzellen zu jemandem passen, der Hilfe braucht, ist für Maria eine schöne Überraschung. "Ich war so aufgeregt, ich habe direkt meiner Mitbewohnerin eine Sprachmemo geschickt", erinnert sie sich lachend. 

Marias Vater ist vor drei Jahren an Krebs verstorben. Ihm habe man damals nicht helfen können. "Wenn ich jetzt jemand anderem die Möglichkeit auf ein zweites Leben geben kann, dann ist das mein größtes Privileg", findet die 28-Jährige.

Weltweit 41 Mio Spender registriert

Spenden zu können, das mache sie emotional, es sei immerhin keine Selbstverständlichkeit. In Marias Vorstellung sitzt irgendwo ein Vater, ein Kind oder eine Oma und freut sich, weil ihnen diese Spende mehr Zeit mit einer geliebten Person verschaffen könnte. 

Nicht jede und jeder kommt für eine Stammzellspende infrage. Etwa 41 Millionen Menschen sind weltweit als Spenderinnen und Spender registriert, ein Viertel kommt aus Deutschland. Jährlich finden hierzulande etwa 7.000 Spenden statt. Sie alle passen genetisch in etwa zehn bis zwölf verschiedenen Gewebemerkmalen zu je einem erkrankten Menschen, der auf ihre Spende angewiesen ist. Für viele Betroffene ist es die einzige Überlebenschance bei Blutkrebs oder bestimmten Immundefekten. 

Vorbereitung auf die Spende 

Fast ein halbes Jahr nach dem ersten Anruf ist es so weit. In der Zwischenzeit gab es eine Voruntersuchung. Einen Tag vor der Stammzellspende sitzt Maria mit ihrer Mitbewohnerin Anna am Esszimmertisch ihrer WG. Dass sie diese Spende mache, passe einfach so gut zu Maria, findet Anna. Sie brenne immer dafür, anderen zu helfen.

Im Gegenzug hilft Anna ihr mit den Einkäufen. Denn schwer tragen darf Maria vor der Spende nicht. Sie darf auch nicht schwanger werden, sich tätowieren oder piercen lassen. "Geht ja alles auch danach", schmunzelt Maria. 

Nebenwirkungen fühlen sich wie Grippe an

Vor ihnen auf dem Tisch liegt eine Spritze, eine kleine Glaskanüle mit einer Flüssigkeit und eine Schachtel mit medizinischem Zubehör. Maria zieht fachmännisch die Spritze auf und setzt sie sich in den Bauch. Sie ist Gesundheits- und Krankenpflegerin. Durch ihren Beruf habe sich ihr Blick auf die eigenen Probleme geändert, sagt sie. Vieles sei halb so wild. 

Seit vier Tagen spritzt sie sich morgens und abends einen körpereigenen, hormonähnlichen Stoff. Dadurch soll der Körper mehr Stammzellen produzieren. Die Nebenwirkungen sind grippeähnlich, sie fühlt sich schlapp. "Das ist kein Spaziergang", gibt Maria zu. Aber sie findet: "Es ist nichts dagegen, was die Empfängerin oder der Empfänger der Spende durchmachen." 

Der Tag der Spende 

Es ist halb acht Uhr morgens. Anna hat Maria mit dem Auto zur Klinik in Frankfurt gefahren. Maria steht vor der Tür, in der einen Hand eine große Wasserflasche, in der anderen einen Rucksack mit einigen Snacks. Geschlafen habe sie nicht viel, die Aufregung ist groß. 

Maria ist nicht die Einzige, die an diesem Tag Stammzellen spendet. Einige sind Patienten und spenden sich selbst Stammzellen für eine spätere Behandlung. Die anderen Menschen sind junge Spenderinnen und Spender, wie Maria. Sie wissen nicht, an wen oder wohin ihre Stammzellen gehen. Doch es könnte überall auf der Welt sein. 

Jährlich spenden in dieser Frankfurter Klinik 700 Menschen Stammzellen. Doch passende Spenderinnen und Spender zu finden, wird schwieriger. Laut DKMS haben sich vergangenes Jahr nur halb so viele Menschen registriert, wie noch vor fünf Jahren. Gleichzeitig werden viele der Registrierten immer älter und scheiden mit 60 Jahren als potenzielle Spender aus. Allein dieses Jahr sind es 150.000 Personen.

Stammzellen meist über Blutwäsche gewonnen

Maria hat ein weiteres Vorgespräch, um sie nochmal aufzuklären, dann geht es los. In einem offenen Saal stehen sich vier Betten gegenüber, daneben Geräte, die Stammzellen und Plasma aus dem Blut filtern. Eines davon ist für sie. In ihr steigt die Anspannung: "Ich hoffe, das klappt alles. Und ich hoffe, ich muss nicht aufs Klo", lacht sie. Denn zum Bad laufen darf sie während der Spende nicht.  

Sie bekommt an jedem Arm einen Zugang gelegt. Über die eine Seite fließt das Blut in die Maschine, über die andere wird es in ihren Körper zurückgepumpt. Der Prozess, die Stammzellen aus dem Blut zu filtern, dauert drei bis fünf Stunden. Währenddessen heißt es: abwarten und liegenbleiben. Etwa 90 Prozent aller Stammzellspenden werden mittlerweile durch diese sogenannte Apherese, die Blutwäsche, gemacht. Nur in zehn Prozent der Fälle werden die Stammzellen über eine Operation unter Vollnarkose aus dem Beckenkamm entnommen.  

Sie habe extra anderthalb Liter Wasser morgens getrunken, damit ihr Körper besser auf die Spende vorbereitet sei, erzählt Maria. Zwanzig Minuten nach Beginn der Spende ist es so weit, die Blase drückt. Der Toilettengang auf einem extra dafür angerollten Spezialstuhl, nur abgeschirmt von den umliegenden Spendern durch einen Vorhang, das ist auch für die gelernte Krankenpflegerin etwas gewöhnungsbedürftig. "Aber fünf Minuten nach mir mussten die drei in den anderen Betten auch alle pinkeln", lacht sie.  

Maria unterhält sich mit einer Krankenschwester während ihrer Stammzellspende.
Zwischen drei und fünf Stunden dauert eine Spende. Bild © hr/Mia von Hirsch

Die ganze Zeit durch kontrolliert immer wieder Fachpersonal Marias Werte am Monitor, versorgt sie mit Kopfhörern, Brötchen, Getränken und Wärmekissen. Insgesamt ist die Laune gut - trotz Müdigkeit, einiger Nebenwirkungen und einer benötigten Infusion gegen Krämpfe. 

Während die anderen drei Spenderinnen und Spender schon längst fertig sind, rattert Marias Maschine noch weiter. Ein Bildschirm zeigt den Fortschritt, der Balken bewegt sich langsam aufs Ende zu. Wie lange es dauert, hängt sowohl von Spenderin als auch dem oder der Empfängerin ab, es variiert je nach Körpergewicht. Als Maria fertig wird, sind die vollen fünf Stunden vorbei und sie freut sich auf ihre WG - endlich geht es heim.  

Nach der Spende ist vor der Spende? 

Ihre Spende wird am nächsten Morgen von einem Kurier abgeholt. Maria erfährt, dass ihre Stammzellen nach Frankreich geschickt wurden. An wen genau sie gingen bleibt anonym und ob die Person geheilt werden konnte, wird sie vielleicht in einigen Jahren herausfinden können. Sollte die Person in den kommenden zwei Jahren noch eine weitere Spende benötigen, wird Maria wieder einen Anruf bekommen. 

Für Maria stehen erstmal Ausruhen und Erholen auf dem Plan, sie fühlt sich ausgelaugt. Außerdem zwickt ihre Milz im Oberbauch, sie ist durch die Spritzen vor der Spende vergrößert. Schwer heben und Sport sind die kommenden Wochen erstmal nicht angesagt. Trotzdem steht für sie fest: "Ich würde es immer wieder machen." 

Weitere Informationen

Wie kann ich Stammzellen spenden?

Jeder gesunde Mensch kann sich ab 17 Jahren registrieren lassen. Entweder geht man zu einer Typisierungsaktion oder lässt sich von einer der Spenderdateien ein Registrierungsset schicken. Man kann sich zum 55. Lebensjahr registrieren lassen, spenden kann man von 18 bis 60 Jahren.

Alle Fragen beantwortet das Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschland.

Ende der weiteren Informationen

Redaktion: Caroline Wornath

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de