Drei Tage in Mittelhessen Wie Steinmeiers "Ortszeit" in Stadtallendorf begann
Ein Eintrag ins Goldene Buch, Konfrontation mit verkleideten Demonstranten und ein Besuch im Boxclub: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat seine Ortszeit in Stadtallendorf begonnen. Sein Ziel: Mit Menschen ins Gespräch kommen, die er ansonsten eher selten trifft.
Pünktlich um 11.40 Uhr fuhr die Limousine mit dem unverwechselbaren Kennzeichen vor: 0-1, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kam in Stadtallendorf (Marburg-Biedenkopf) an. Zum Auftakt seiner "Ortszeit Deutschland" in Mittelhessen wurde er von Bürgermeister Christian Somogyi (SPD) empfangen. "Danke, dass wir hier sein dürfen", sagte Steinmeier bei seiner Ankunft am Rathaus.

Nach dem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt nahm Steinmeier Gespräche mit Kommunalpolitikern auf. Der Austausch sei ihm wichtig, "weil dort hört man mal die gesammelte Übersicht, wo es brennt, wo es unter den Nägeln drückt, und was vielleicht auch zufriedenstellend verläuft in Stadtallendorf", sagte Steinmeier. "Und ich habe den Eindruck, das ist relativ viel hier vor Ort." Dies habe ihm auch Bürgermeister Somogyi so vermittelt.
Verkleidete Autobahngegner
Doch direkt bei seiner Ankunft wurde Steinmeier auch mit Kritik konfrontiert: Ein knappes Dutzend teils kostümierte Umweltschützer, die gegen den Ausbau der A49 demonstrierten, hatten sich vor der Stadthalle versammelt. Steinmeier gab einigen die Hand und tauschte sich mit ihnen aus.
Einer der Demonstranten, verkleidet als Wald, erklärte: "Die Natur kommt heute zu Ihnen, um darauf aufmerksam zu machen, dass wir eine Verkehrswende brauchen." Man wolle Steinmeiner als Staatsoberhaupt darum bitten, "sich auch weiterhin für mehr Naturschutz einzusetzen", so der Autobahn-Gegner.

In einem Pamphlet wiesen die Demonstranten auch darauf hin, dass die A49 in Steinmeiners Besuchsprogramm nicht vorkomme. Auf den Appell der Demonstranten, es müsse ein "Ruck durch Deutschland gehen", antwortete Steinmeier in lockerem Tonfall und sagte: "Die Deutschen mögen Ruck-Reden, aber nicht den Ruck."
Erste Bundespräsidenten-Ortszeit in Hessen
Stadtallendorf im Landkreis Marburg-Biedenkopf ist die erste hessische und die insgesamt 14. Station im Rahmen der Reihe "Ortszeit Deutschland", bei der der Bundespräsident bewusst kleinere Städte abseits der Metropolen bereist und dort für einige Zeit seine Amtsgeschäfte aufnimmt. Das Format war in der Corona-Pandemie entwickelt worden.
Dabei gehe es nicht darum, Urlaub in Hessen zu machen, erklärte Steinmeier. "Die Arbeit geht weiter, die findet nur anderswo statt", sagte er. Genau wie viele Bürgerinnen und Bürger blicke er zwischen seinen Terminen deshalb gespannt auf die Abstimmung im Bundestag zum milliardenschweren Finanzpaket.
Spontane und geplante Begegnungen
In Stadtallendorf steht für Steinmeier noch einiges auf dem Programm: etwa Besuche bei Vereinen, Gedenkstätten und Unternehmen. Auch mit Jugendlichen will er sich austauschen und an einem Boxtraining teilnehmen. Zwischendurch will er sich aber auch für spontane Gespräche Zeit nehmen.

Bei einem Gang durch die Stadt konnten die Einwohnerinnen und Einwohner bereits am Dienstag mit dem Staatsoberhaupt in Kontakt treten. Steinmeier besuchte eine Apotheke und die Stadtbücherei, aß ein Brötchen auf die Hand beim Metzger und stoppte kurz für einen Kaffee am Marktplatz.
Die beiden Café-Betreiber Christina und Volker Schindler unterhielten sich dabei mit dem Bundespräsidenten - hinterher schwärmten sie von seiner zugänglichen Art. Sehr aufgeregt seien sie gewesen, berichten die Schindlers. Aber Steinmeier habe schnell das Eis gebrochen.
Gespräch mit Investor
Auch vom Leerstand in der Stadtallendorfer Fußgängerzone verschaffte sich der Bundespräsident ein erstes Bild. Dabei sprach er mit Tim Thumberger, einem Immobilieninvestor aus Marburg, der derzeit Pläne entwickelt für ein Gebäude in Bahnhofsnähe, in dem neuer Wohnraum und Platz für Geschäfte entstehen sollen.

"Wir sehen Potenzial in Stadtallendorf", so Thumberger: "Wir haben ihm erklärt, was wir vorhaben." Er habe dem Bundespräsidenten aber auch mitgegeben, woran es derzeit aus seiner Sicht noch hake. "Er könnte zum Beispiel an Entscheidungsträger in Berlin herantragen, dass Genehmigungsverfahren besser und schneller laufen könnten."
Von Rente bis Döner
Immer wieder sprachen Bürgerinnen und Bürger Steinmeier zwischendurch auch spontan an. Probleme mit Abzügen bei der Rente thematisierte etwa eine ältere Dame, die extra 30 Kilometer angereist war, um mit ihm zu sprechen. Steinmeier ließ sich die Adresse geben - man wolle dem mal nachgehen.
Zwei Jugendliche kritisierten die aktuellen Dönerpreise. Da das aber offenbar außerhalb von Steinmeiers Verantwortungsbereich liegt, verwies er auf aktuell hohe Kosten für Personal und Fleisch.
Selfies und kontroverse Themen
Wie viele andere hoffte auch Passantin Ezgi Oksyz vor allem auf eines: ein Selfie mit Steinmeier - mit sich und ihrer kleinen Tochter. "Vielleicht geht sie ja auch mal in die Politik", so die 28-Jährige. Es sei schön, dass er hier sei - eine Anerkennung für die Stadt. Sie wohne sehr gerne hier und hoffe, durch die A49 sei man dann hoffentlich bald auch besser angebunden.
Während Oksyz das Zusammenleben der vielen verschiedenen Kulturen in Stadtallendorf lobte, sah eine andere Passantin das etwas anders. Die 78-jährige Gertrud Mohr meinte: Was Integration angehe, gebe es auch in Stadtallendorf noch "viel Luft nach oben".

Als ehemalige Lehrerin habe sie über Jahrzehnte beobachtet: Zuhause werde in vielen Familien mit Migrationshintergrund kein Deutsch gesprochen, manchmal auch in der dritten Generation nicht. "Um das dann in der Schule aufzuholen, fehlt die Zeit für anderes."
Schon beim ersten Gang durch die Innenstadt wurde klar: In Stadtallendorf gibt es tatsächlich einiges zu bereden. An kontroversen Themen wird es dem Bundespräsidenten kaum mangeln.