Studie aus Gießen Nach diesen Menschen sind Schulen am häufigsten benannt
Wie prägen Schulnamen das Bewusstsein für Geschichte und Werte? Eine Studie aus Gießen untersucht erstmals Namensgeber deutscher Schulen. In Hessen sind es besonders oft zwei NS-Widerstandskämpfer und zwei Kinderbuch-Autoren.
Ella und Kathalea wissen ganz genau, wer die Frau war, nach der ihre Schule benannt ist: "Sie war sehr mutig", sagen die Gießener Grundschülerinnen. "Und sie hat sich für alle Menschen eingesetzt - ganz egal, welche Haut- oder Haarfarbe sie hatten."
Die Mädchen gehen auf die Sophie-Scholl-Schule. So wie sehr viele andere Kinder: Nach keiner anderen Persönlichkeit sind in Hessen so viele Schulen benannt, wie nach der NS-Widerstandskämpferin.
Welche Namen prägen deutsche Schulen?
Welche Persönlichkeiten prägen die Namen deutscher Schulen? Welche Gruppen oder Einzelpersonen sind möglicherweise über- oder unterrepräsentiert? Und was bedeuten die berühmten Namenspatrone überhaupt für diejenigen, die Tag ein, Tag aus die Schulbank drücken?
Eine wissenschaftliche Studie, die am Dienstag in der Gießener Sophie-Scholl-Schule vorgestellt wurde, hat erstmals flächendeckend die Namen der mehr als 30.000 Schulen in Deutschland analysiert.
Das Ergebnis: Pädagogen stehen als Namensgeber an der Spitze. Doch auch Widerstandskämpfer, Geistliche und Schriftsteller spielen eine große Rolle. Frauen und Juden dagegen eher weniger.
JLU und KiKA arbeiten zusammen
Durchgeführt hat die Studie die Arbeitsstelle Holocaustliteratur der Justus-Liebig-Universität (JLU) Gießen. Beteiligt hat sich an dem Projekt "Wir geben Schulen Namen" der Kinderkanal KiKA von ARD und ZDF.
Er stellt zu diesem Anlass die häufigsten Schulnamensgeber in seinem Geschichts-Format "Triff…" vor. Die neuen Folgen sind seit dem 8. Januar im Fernsehen sowie in der Mediathek zu sehen. Auch der hr war an der Produktion beteiligt.
KiKA-Moderatorin Clarissa Corrêa da Silva stellte die neuen Erklärfilme vor den Schülerinnen und Schülern der Sophie-Scholl-Schule vor.
Regionale Unterschiede bei Namensgebern
Am häufigsten sind in Deutschland Schulen nach den Pädagogen Maria Montessori (273 Schulen) und Johann Heinrich Pestalozzi (253 Schulen) benannt, gefolgt von Hans und Sophie Scholl (182 Schulen).
Doch es gibt regionale Unterschiede: In Hessen werden die ersten Plätze von den Geschwistern Scholl und den Schriftstellern Astrid Lindgren und Erich Kästner belegt. In Baden-Württemberg sind dagegen Schiller-Schulen am häufigsten, in Rheinland-Pfalz werden Schulen besonders oft nach dem heiligen Martin benannt.
Laut Studie haben etwa 40 Prozent der deutschen Schulen eine Person als Namensgeber, insgesamt handelt es sich um 4.300 verschiedene Menschen.
Namen geben Werte mit
Die Namensgebung von Schulen sei ein zentrales Feld der Erinnerungskultur, das laut den Studienautoren bisher kaum systematisch untersucht wurde. "Namen sind eben mehr als Schall und Rauch - die erinnerten Personen geben uns schließlich auch ihre Werte mit", so Studienleiter Sascha Feuchert von der JLU.
In Bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus sind Widerstandskämpfer wie die Mitglieder der Weißen Rose oder die Akteure rund um das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 besonders häufig Schulnamensgeber. Grundsätzlich sei das gut, meint Professor Feuchert. Solche Namensgeber könnten starke Identifikationsfiguren sein, ihre Biographien könnten für die Demokratiebildung alltagsnah eingesetzt werden.
Jüdischer Widerstand selten gewürdigt
"Kritisch muss man aber auch feststellen, dass nicht-jüdischer deutscher Widerstand unter Schulnamen überproportional stark vertreten ist", sagt Feuchert. Dies könnte suggerieren, dass es sehr viel derartigen Widerstand gab - was nicht der Fall gewesen sei.
Jüdischer Widerstand werde dagegen selten gewürdigt. Weniger als 20 Schulen in Deutschland sind laut Studie nach jüdischen Widerstandskämpfern wie Else Hirsch oder Max Windmüller benannt. "Es gibt auch keine einzige Marek-Edelman-Schule in Deutschland", sagt Feuchert. Edelman war ein Kommandeur des Aufstands im Warschauer Ghetto.
Nur jede sechste Schule nach Frau benannt
Auch Frauen sind laut Studie insgesamt auffallend unterrepräsentiert: Obwohl mit Maria Montessori eine Frau die Rangliste anführt, hat nur jede sechste Schule in Deutschland eine Namenspatronin.
"Das hat uns doch überrascht", so Feuchert. Es spiegele aber wider, wie Geschichte immer noch oft wahrgenommen wird: männlich dominiert.
Anders als bisher angenommen, seien Schulnamensgeber in Deutschland keinesfalls nur deutsch, sondern durchaus europäisch, so Feuchert. "Menschen mit Migrationsgeschichte kommen aber quasi nicht vor."
Auch unklare Namen
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der JLU haben für ihre Analyse lange Listen der 16 deutschen Kultusministerien mit Spezialsoftware ausgewertet. Nicht immer sei das leicht gewesen, berichtet Jennifer Ehrhardt.
Die Schreibweise der Namen sei etwa nicht immer gleich. Teilweise gebe es auch Schulen, bei denen gar nicht klar sei, wer eigentlich Namensgeber ist. "Bei einer Johannesschule könnte es zum Beispiel Johannes der Täufer sein, aber auch der Apostel Johannes." Bei Unklarheiten habe man auf Schulhomepages recherchiert, zum Teil auch Schulen direkt kontaktiert.
Wenn Schulnamen für Kontroversen sorgen
Dass Schulnamen auch für heftige Diskussionen sorgen können, hatte zuletzt die Kontroversen um die NS-Vergangenheit des "Räuber Hotzenplotz"-Autors Otfried Preußler gezeigt. Ein nach ihm benanntes Gymnasium im bayerischen Pullach hatte vergangenes Jahr entschieden, seinen Namen ändern zu wollen. Vier hessische Otfried-Preußler-Schulen halten dagegen an dem Namen fest.
Auch Jennifer Ehrhardt stellte bei der Recherche fest: "Schulnamen sind ein kleines Pulverfass, in das wir manchmal reingestoßen sind." Zum Großteil sei der Umgang der Schulen mit ihren Namensgebern aktiv und offen gewesen. Vereinzelt hätten Schulen aber auch abwehrend reagiert und nicht bei der Studie mitmachen wollen.
"Umdenken wäre teilweise angebracht"
Ehrhardt sagt: Besonders interessant sei gewesen, wie Schulen mit NSDAP-Mitgliedschaften ihrer Namensgeber umgehen, wenn diese nach dem Zweiten Weltkrieg als Mitläufer eingestuft wurden.
"Hier ist uns aufgefallen, dass die meisten Schulen das auf ihren Internetseiten nicht kritisch besprechen und manchmal noch nicht mal erwähnen." Die Literaturwissenschaftlerin meint: Hier wäre ein Umdenken teilweise durchaus angebracht.