Studie vorgelegt Unternehmen und Behörden deckten Nazi-Arzt Werner Catel
Der Arzt Werner Catel war in der NS-Zeit an der Ermordung behinderter Kinder beteiligt. Nach dem Krieg machte er Karriere. Noch in den 1950er-Jahren führte er im Taunus illegale Medikamententests an Kindern durch - gedeckt von seinem Umfeld.
Das Ergebnis einer Studie zum Nazi-Arzt Werner Catel ist eindeutig: Der ehemalige Direktor der Landeskinderheilstätte Mammolshöhe in Königstein (Hochtaunus) hat nicht nur in Zeit des Nationalsozialismus Medikamentenversuche an Kindern durchgeführt.
Auch in den 1950er-Jahren seien die menschenverachtenden Versuche weitergegangen - gedeckt und akzeptiert von Ärzten, Pharma-Unternehmen und der Gesundheitsbürokratie. Das ist das Fazit der Studie, die der Landeswohlfahrtsverband (LWV) Hessen am Montag vorgelegt hat.
Auch andere an den Versuchen beteiligt
"Die ethische Bedenkenlosigkeit zahlreicher Verantwortlicher, die diese Studie zutage gefördert hat, ist erschreckend", sagt Andreas Jürgens, Erster Beigeordneter des LWV Hessen, laut einer Mitteilung.
Die Versuche in der damaligen Tuberkulose-Fürsorgeeinrichtung seien nicht nur als Auswüchse eines einzelnen ehemaligen Verantwortlichen der NS-Kindereuthanasie zu bewerten, auch andere Beteiligte hätten damit offenbar keine Probleme gehabt.
Systematische Ermordung von Kindern
Werner Catel (1894 bis 1981) war in der NS-Zeit als NSDAP-Mitglied und Professor für Kinderheilkunde in Leipzig maßgeblich an der systematischen Ermordung behinderter Kinder beteiligt.
Geistig schwer behinderte Kinder sah er als "untermenschliche" Geschöpfe an - die er mitunter auch selbst tötete, um sie und ihr Umfeld "zu erlösen", wie er es nannte. Nach aktuellem Forschungsstand wurden in der von Catel geleiteten Leipziger Kinderklinik wohl deutlich mehr als 100 behinderte Kinder getötet.
Nazi-Arzt machte Karriere in Hessen
Trotzdem wurde der Kinderarzt 1947 offiziell "entnazifiziert". Ein Ermittlungsverfahren wurde 1949 mit der Begründung eingestellt, ihm habe das subjektive "Bewusstsein für die Rechtswidrigkeit" der Taten gefehlt. Catel machte Karriere in Hessen.
Zwischen 1947 und 1954 leitete er die Tuberkuloseheilstätte Mammolshöhe, die 1953 vom Landeswohlfahrtsverband (LWV) übernommen wurde. In der Heilstätte testete Catel ein neues Tuberkulosepräparat, das später tatsächlich unter dem Namen Conteben auf den Markt kam.
Dieses Medikament funktionierte bei Erwachsenen, doch laut Studie sei bekannt gewesen, dass es bei Kindern zu heftigen Nebenwirkungen oder sogar zum Tod führen könne. Das wusste Catel und testete trotzdem an Kindern weiter - und zwar ohne Zustimmung der Kinder und ihrer Eltern.
"Verschweigen, Verleugnen, Verharmlosen, Verzerren"
Autor der Studie ist unter anderem der Gießener Medizinhistoriker Volker Roelcke. Catel habe kein Problem damit gehabt, "das Leben von Kindern aufs Spiel zu setzen, um den medizinischen Fortschritt voranzutreiben", sagt der Historiker.
"Die Vorgänge rund um die Versuchsreihe - und damit auch der Tod von mindestens vier Kindern - wurden im Zusammenhang mit einer von Verschweigen, Verleugnen, Verharmlosen, Verzerren und Verdrehen der historischen Fakten geprägten Neuerfindung der Biografie Catels umgedeutet", bilanziert er.
Eine Untersuchung der Todesfälle in der Kinderheilstätte sei im Sande verlaufen. Eklatante Verstöße gegen Recht und Berufsethik hätten die Verantwortlichen im hessischen Innenministerium nicht thematisiert. Stattdessen seien unter Verweis auf die Versuchsreihe Catels Verdienste um die Tuberkuloseforschung hervorgehoben worden.
Noch 1964 Rede von "Monstren"
Auch Mitarbeiterbiografien wurden untersucht. Nach seinem Dienstantritt im Taunus 1947 holte Catel zwei weitere an den Kindermorden beteiligte Ärzte aus Leipzig in die Heilstätte Mammolshöhe.
Kritik von Mitarbeitern habe Catel wirksam unterdrücken können - sodass es nie zu Konsequenzen kam. Catel verließ die Anstalt 1954 nur, um weiter die Karriereleiter hinaufzuklettern: Er wechselte als Professor an die Uni Kiel – auch die Marburger Fakultät hatte damals Interesse an ihm gezeigt. Die Berufung sei aber an seiner Rolle in der NS-Zeit gescheitert.
Bei seiner Ansicht zu "unwertem Leben" und seiner Forderung zur Euthanasie sei Catel bis zuletzt geblieben. Noch 1964 sprach er in einem Spiegel-Interview von "Monstren" in Bezug auf Kinder mit schweren Hirnschädigungen und Fehlbildungen.
Studie soll in Schriftenreihe erscheinen
"Der Fall zeigt exemplarisch, wie sich die ausbleibende kritische Auseinandersetzung der Medizin mit der eigenen Rolle im nationalsozialistischem Staat nach 1945 auswirken konnte", heißt es abschließend.
Der LWV, der die Studie in Auftrag gegeben hatte, will weiter daran arbeiten, die Geschehnisse aufzuarbeiten, wie er schreibt. In Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Hadamar soll die Studie im Herbst in der Schriftenreihe der Gedenkstätte erscheinen.
Redaktion: Sonja Fouraté
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 17.06.2024, 19.30 Uhr